ROLUX.ORG/TEXTS/ZUR_KRITIK_DES_STUDENTISCHEN_SPEKTAKELS

Zur Kritik des studentischen Spektakels

Vertrauen ist der Anfang von allem. Und so ist auch der Ausgangspunkt der Studentenbewegung von 1998 ihr unerschütterlicher Glaube an die Zuständigkeit der Institutionen, an die sie sich adressiert. Die Selbstverständlichkeit, mit der sie sich im Rahmen der für sie vorgesehenen Strukturen bewegt, zeugt von ihrer grenzenlosen Zuneigung zu den gegebenen Verhältnissen. So wie ihr Protest sich formal in vorauseilender Rücksichtnahme auf die öffentliche Meinung und allgemeine Stimmung erschöpft, so zielt er inhaltlich auf nichts anderes als die Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung unter freundlicher Berücksichtigung studentischer Interessen.

Noch vor einer Generation konnte sich der Student den Luxus von Kritik und Widerstand leisten, da er seine Privilegien damit nicht aufs Spiel setzte, vielmehr im Rahmen einer Modernisierungsrevolte noch ausbauen konnte. Heute aber, wo eben diese Privilegien in Frage stehen, zeigt sich, daß auch Kritik und Widerstand den Gesetzen von Angebot und Nachfrage gehorchen, genauso wie der Student selbst den Anforderungen einer sozial differenzierten Marktwirtschaft. Das Prinzip von Leistung und Konkurrenz hat er so sehr verinnerlicht, daß er selbst dessen Kritiker mit dem gebührenden Respekt behandelt. Sogar die großen Verweigerungen sind in seiner Erinnerung aufgehoben, indem er den rituellen Wiederaufführungen der immergleichen Revolutionsspektakel begeistert Beifall zollt, und sei es nur für die Professionalität der Inszenierung. Hier feiert der Student sich selbst; im Theater seiner Eitelkeiten wird er zur großen alten Dame der Samstagabendunterhaltung.

Das allgemeine Interesse an den kleinen und großen Dramen vergangener Revolten erklärt sich vor allem aus der Begeisterung für das Modell des tragischen Scheiterns, zumal die aktuellen Protestversuche in ihrer selbst die Sicherheitskräfte entwaffnenden Armseligkeit außer einer Situationskomik dritten Grades in der Tat nichts abwerfen als die für den Studenten beruhigende Gewißheit, es selber mal versucht zu haben. Und so wiederholt er nicht nur die Geschichte als Farce, sondern auch jede je dagewesene Subversion als Seifenoper, indem er mit der unerträglichen Originalität dessen, was er für Protest hält, noch all das unterbietet, was im öffentlichen Raum sonst noch um Aufmerksamkeit buhlt. Das Vertrauen in die Vergeblichkeit jeden Widerstandes war schon immer der eigentliche Antrieb des Studenten, und die Einsicht in die Geschichte der Motor seiner Trägheit. Heute jedoch, wo keine seiner Forderungen noch im Widerspruch zu den bestehenden Verhältnissen steht, fiebert er einer Enttäuschung entgegen, die niemals kommen wird.

Die Studentenbewegung von 1998 träumt von Gegnern und halluziniert Frontverläufe, wo längst alles eins ist. Wer selber für den Standort kämpft, sollte nicht mit Steinen werfen, und wer selber an den Sachzwang glaubt, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Unter allgemeinem Beifall rennt diese Bewegung eine offene Tür nach der anderen ein. Jede ihrer Forderungen kommt einer Einverständniserklärung gleich, und jedes Ultimatum, das sie stellt, spart die teure Zeit ihrer Kontrahenten. Gerade im Kampf der Studenten um die immer knapper werdenden öffentlichen Mittel bilden sich die Tugenden heraus, mit denen die deutschen Universitäten im internationalen Konkurrenzkampf bestehen sollen, eben wie die Arbeiter im Kampf um ihr Urlaubs- und Krankengeld sich auf die Verhältnisse einrichten, die das globale Kapital ihnen bescheren wird.

Die Logik des Standorts verlangt nicht die Aufstockung irgendwelcher Budgets, sondern deren permanente Kürzung. Eine Studentenbewegung, die das nicht wahrhaben will, möge wieder in ihren Vorlesungsräumen verschwinden, um sich am Beispiel ihrer Dozenten zu vergewissern, daß es auch an den Universitäten einzig und allein um die möglichst kostengünstige Produktion billiger Nachwuchskräfte geht. Studenten, die selbst das nicht begreifen, bekommen die Jobs, die sie verdienen. Allen anderen sei geraten, ihr politisches Unbehagen möglichst schnell in jenes kulturelle Rauschen zu transformieren, das uns die Arbeit zum Vergnügen, die Freizeit zum Spektakel und sogar den Deutschen Herbst ein wenig schneller macht.

Die Kultur ist in der Tat das liebste Kind des Studenten. Seine Begeisterung für alles Kulturelle ist so bodenlos wie seine Bereitschaft zum Konsum und stößt erst am Ende des Dispo-Kredits auf ihre natürliche Grenze. Trotz eindeutiger Anweisungen der einschlägigen Fachmagazine beharrt er dabei auf seinem individuellen Geschmack, und so trifft man ihn oft zu später Stunde in den hintersten Ecken drittklassiger Erlebnisparks, wo er noch das als Avantgarde feiert, was die arbeitende Bevölkerung längst aus dem Einkaufsradio kennt. Ausgerechnet die Universität glaubt der Student als Freiraum für seine eigentümlichen kulturellen Vorlieben verteidigen zu müssen, und so hofft er auf ewige Selbstverwirklichung in den Kuschelecken der herrschenden Strukturen.

Die Trennung der Welt in Kultur und Politik hat der Student dabei so sehr verinnerlicht, daß sein Traum vom kulturellen Streichelzoo widerspruchslos neben der Phantasie von der unbedingten Rationalität des Politischen steht. Diese Rationalität fordert er von allen Instanzen, die den Rahmen festlegen, in dem sich sein studentisches Leben bewegt. Und so bleibt sein einziger politischer Vorwurf an die Universität, daß sie ihn für die bevorstehende Barbarei nicht effizient genug zurichtet. Doch wer der Effizienz den kleinen Finger reicht, dem reißt sie gleich die ganze Hand ab. Die Bitte um schnelleres Studium findet ihre Erfüllung erst in der Aufforderung zu schnellerer Arbeit, gründlicherer Freizeit, weniger Krankheit und kürzerer Rente. Daß also die Universitäten nicht mehr funktionieren, wäre angesichts der Zwecke, auf die ihr Funktionieren abzielt, eher eine gute Nachricht. Die Bücher, die in den Bibliotheken fehlen, enthalten in zunehmendem Maße Anweisungen zu deren schnellstmöglicher Schließung. Wer dort vier Wochen auf ein Buch warten muß, hätte endlich Zeit zum Lesen.

Die Lieblingsautoren dieser Studentenbewegung aber sind der späte Hans Magnus Enzensberger, die frühe Rosa Luxemburg und alles von Roman Herzog. Von denen lernt man nicht nur fürs Studium, sondern vor allem fürs Leben: Vertrauen in die Geschichte ist gut, Kontrolle der Zukunft ist besser. In der Risikogesellschaft sympathischer Individualdemokraten übernehmen die Studenten dankbar ihre Rolle als Avantgarde einer präventiven Paranoia. Bis zu einem gewissen Grad mag es ihnen noch gelingen, die sie umgebende materielle Armut als kulturelle Bereicherung zu konsumieren, doch schon der in ihren Vierteln sich häufende Müll droht die Qualität ihres Bohèmelebens zu mindern, und selbst die sich allerorts ausbreitenden Graffiti werden zu Zeichen eines bevorstehenden Bürgerkriegs. Der einzige Mangel, den ein solcher Blick noch auszumachen vermag, ist der Mangel an Sicherheit, und unter dessen Bedingungen reicht die aktive studentische Konfliktbereitschaft bestenfalls bis zur ersten roten Ampel.

Statt also auf die Verschärfung der Krise zu setzen, sehnt sich der Student nach ihrer Bewältigung mit den Mitteln der Polizei. Insgeheim träumt er von öffentlichen Universitäten, an denen private Sicherheitsdienste seine Prüfungsangst bekämpfen. Was von der Angst noch übrigbleibt, begreift er nicht als öffentliches Anliegen, sondern als persönliches Problem, das er als Privatpatient zum Psychologen trägt, wenn nicht sogar, als braves Kind, zurück zu seinen Eltern. Sein Verlangen nach sicheren Studienplätzen deckt sich in allen Aspekten mit dem Begehren des Bürgers nach sicheren Straßen, und somit sind für beide auch die gleichen Senatoren zuständig, nämlich die für innere Sicherheit, öffentliche Ordnung und absolute Polizeipräsenz.

Jedes studentische Leben ist eine serialisierte kapitalistische Mini-Krise, ein Desaster, das deine Matrikelnummer trägt. Solange die Bewegung der Studenten statt auf die Abschaffung dieses Elends auf dessen fortwährende Verfeinerung zielt, werden wir ihren Demonstrationen genauso überzeugt fernbleiben wie den Heimspielen von Hertha BSC. Those who know history are not doomed to repeat it.

Gegen das Spektakel der Kritik die Kritik des Spektakels! Spaß ist kein Spaß!