"Ich gehöre nicht zu den Leuten, die endlos an ihren Ämtern hängen", hat Volker Hassemer erklärt. Doch selbst wenn der ehemalige Senator für Stadtentwicklung und Kultur das genaue Gegenteil verkündet hätte - an Chefsesseln zu kleben sei die grosse Leidenschaft seines Lebens - hätten die Leute wohl immer noch verstanden, warum er jenen Posten, den er zum 1. März aufgibt, nicht gerade ungern verlässt. Geschäftsführer von Partner für Berlin wird man nämlich nicht aus Überzeugung, sondern wider besseres Wissen. Denn was die "Gesellschaft für Hauptstadt-Marketing" sich zur Aufgabe gemacht hat, ist das völlig aussichtslose Management jener Krise, die den Namen Berlin trägt. So wenig sich die triste ökonomische Realität der Hauptstadt schönreden lässt, so wenig lassen sich ihre schlecht gelaunten Bewohner freundlich schwatzen.
Und so liegt dieser Tage die Versuchung nahe, sich nicht allein von Volker Hassemer zu verabschieden, sondern im selben Atemzug gleich von der ganzen Firma, deren Geschäfte er derzeit noch zu Ende führt. "Partner für Berlin hat seine Aufgabe erfüllt", hat DaimlerChrysler Herrn Hassemer zum Abschied übermittelt und - damit die Berliner auch begreifen, wie das gemeint ist - den jährlichen Beitrag des Unternehmens bis auf weiteres storniert. Um zu verhindern, dass die verbliebenen Partner ihre Aufgabe jetzt aus Trotz gar übererfüllen, hat sich auch der Burda-Verlag aus dem Kreis der Sponsoren zurückgezogen, und die Telekom denkt ebenfalls über einen Ausstieg nach. Da zudem der Senat seine Zuschüsse kürzen wird, stehen die Chancen nicht schlecht, dass die Marketing-Agentur - von der zu behaupten, ihre Liebe zu Berlin sei nie erwidert worden, noch beschönigend wäre - bald ganz geschlossen wird.
Die wirtschaftliche Lage der Stadt spottet in der Tat jeder Vermarktung. Dass das Experiment, die beiden ehemals planwirtschaftlich organisierten Stadthälften zu einer gemeinsamen Boomtown zu vereinigen, gescheitert ist, pfeifen in Mitte längst die Spatzen von den Dächern der leerstehenden Gründerzentren. Die zwischenzeitlich zur Silicon Alley erklärte Chausseestrasse ist wieder zu einer menschenleeren Schlucht - im Volksmund: "Planiermeile" - geworden, und an der Friedrichstrasse ragen die milchverglasten Media Labs unvermietbar in den grauen Himmel. Von deren Fassaden schälen sich derzeit die letzten Plakate, auf denen junge Leute mit den blödesten Frisuren der letzen Saison die ödesten Parolen der vorletzten zum besten geben: "Willkommen in der Hightech-Hochburg des dritten Jahrtausends!"
Wenn Hauptstadtwerbung in Berlin nicht funktioniert, dann aber auch deshalb, weil die Berliner die deutsche Eigenheit, keine Lüge aussprechen zu können, ohne sie selbst zu glauben, in Reinform verkörpern. Wenn sie behaupten, ihre Stadt könne sich mit Paris oder London messen, dann meinen sie das nicht im Scherz - und sie werden sofort ungemütlich, wenn man sie mit der Realität konfrontiert: dass sie sich mit dem Potsdamer Platz ein Stadzentrum errichtet haben, gegen das die Fussgängerzonen von Stuttgart oder Düsseldorf urban wirken, dass sie mit Tegel einen Flughafen betreiben, der selbst in Warschau oder Prag kaum als Busbahnhof durchgehen würde, und dass Berlin an seinen Rändern nicht in miese Banlieus oder endlose Suburbs übergeht, sondern bloss in dünne Wäldchen auf sandigen Böden.
Dass an der Spree nicht einmal Kartoffeln gedeihen - und die wenigen Direktflüge statt Business-Angels auch weiterhin vor allem Grundnahrungsmittel in die Stadt bringen - ist aber nicht das Hauptproblem von Partner für Berlin. Als deren Spin Doctors 1994 ihre Arbeit antraten, lautete ihr Vorsatz, aus den Fehlern der desaströsen Olympiabewerbung zu lernen. Die kreativen Köpfe der Stadt - die gegen Olympia noch Berliner Bären mit Schuss auf wertvolle Fassaden geschmiert hatten - sollten fortan in die Hauptstadtpropaganda eingebunden werden. Damit sie daheim nichts kaputtmachen, wurden junge Künstler als "Children of Berlin" in ferne Metropolen verschickt, wo sie den Ruf Berlins als Welthauptstadt des infantilen Spassprotests zementieren halfen.
Wenn die Rede von den "young urban creatives" als frohen Berlin-Botschaftern mittlerweile weltweit als Drohung verstanden wird, dann ist das allerdings kaum verwunderlich. Denn mit Superlativen wie der höchsten Polizeidichte Deutschlands lockt man auf der Gegenseite nicht gerade die hellsten Köpfe in die Stadt, und die letzten autonomen Haufen, die auf den Strassen von Mitte noch ernsthaft um Symbole kämpfen, agieren längst inmitten völlig neuer Frontverläufe: Am Hackeschen Markt werden die Anfang Dezember von der Antifa eingeworfenen Schaufenster nicht etwa ersetzt, sondern als schicker Glasbruch liebevoll konserviert. Eins nämlich haben die Storefront-Designer inzwischen begriffen: um die gut gelaunte und wild entschlossene Kaufkraft, die am 1. Mai nach Kreuzberg strömt, in die Neue Mitte umzuleiten, braucht es schon einen Hauch von Riot.
Doch wer für den Schaden noch zu zahlen bereit ist, der bekommt den Spott frei Haus. Mein eigener Vorschlag nennt sich "Partner gegen Berlin", versteht sich als unabhängige Agentur für negatives Stadtmarketing und unterstützt Initiativen, die auf jener Einbahnstrasse, die Linke gern den "langen Weg nach Mitte" nennen, als Gegenverkehr unterwegs sind. Gefördert wurden zuletzt Veranstaltungen wie der "Last Tuesday", zu dem sich die Verlierer der New Economy auf "abgewetzten Sofas" (Welt), "alten Ledersofas" (Morgenpost), "schmuddeligen Sofas" (taz) und "braunen Polstermöbeln" (Spiegel) versammelten. Auch wenn es sich dabei, wie allein an dieser Stelle korrekt berichtet wurde, nur um "staubige Samtsofas" handelte, setzt Partner gegen Berlin darauf, dass wo so viel imaginärer Dreck zusammenkommt, immer auch reale Flecken bleiben.
Derzeit kursiert die Nullnummer der "German Issue", in der ich mit einer Reihe von Gegen-Partnern in Zukunft monatlich für das Prinzip der Image-Beschmutzung werben möchte: "Stadtmarketing heisst, statt brüder- oder schwesterlich anderen Städten die Hand zu reichen, Standort gegen Standort um Investoren Krieg zu führen." Und so gilt die Sorge der Autorinnen und Autoren vor allem der Zivilbevölkerung. "Wer Herr einer bisher freien Stadt wird und sie nicht vernichtet, mag darauf gefasst sein, von ihr vernichtet zu werden. Was für Massregeln und Vorkehrungen der Eroberer auch trifft: wenn er die Einwohner nicht auseinanderreisst und zerstreut, vergessen sie ihre Freiheit nie." Doch nicht nur Machiavelli, auch Volker Hassemer wird zitiert: "Frankfurt und Hamburg sind doch bemitleidenswert fertige Städte", soll er erklärt haben. Selbst wenn das Zitat stimmt, wollte er vermutlich nur sagen, Berlin sei beneidenswert unfertig. Das wäre eine glücklichere Formulierung, denn in der Tat freut man sich hier über den Neid der Nachbarn weit mehr als anderswo über das Mitleid der Berliner.