________________________________________________________________________________ Freiwillige Selbstkontrolle Die Hochschulen hinken der Zeit hinterher. Die Studenten sind ihr schon voraus. Von Anton Landgraf Sie sind clever, ehrgeizig und haben keine Zeit zu verlieren. Sie wollen einen Job, Geld und so schnell wie möglich eine eigene Firma gründen. Sie sind jung, hip und wie geboren zum Unternehmer. So ähnlich sieht das Leitbild der Studenten aus - jedenfalls wenn man den zahllosen Reportagen über den modernen Studenten Glauben schenken will. Viele sind nichts von alldem. Vermutlich sind sie zu schlau, um schon in ihrer Jugend rund um die Uhr zu arbeiten. Und wahrscheinlich schon viel zu alt für eine zündende Geschäftsidee. Vielleicht lesen sie auch nur die falschen Bücher. Auf jeden Fall gehören sie zu einer gesellschaftlichen Minderheit. Dabei ist es nicht lange her, dass die Universitäten noch nicht dem unmittelbaren Zwang zur Produktivität unterworfen waren. Im Gegenteil. Hier schien es die Möglichkeit zu geben, zumindest in der Reflexion den Verhältnissen zu entkommen oder doch wenigstens deren Funktionsweise zu verstehen. Damals galt das Leben noch als überschaubar. Die Studienzeit war eine Phase der verlängerten Adoleszenz, mit deren Hilfe der bürgerliche way of life noch einmal etwas hinausgeschoben werden konnte. Denn anschließend folgte der Eintritt ins schnöde Erwachsenenleben. Mit Stechuhr und Anspruch auf Krankengeld. Diese Zeiten sind vorbei. Längst sind die Hochschulen keine Oasen mehr, die von den neoliberalen »Reformen« verschont geblieben wären. Aber warum soll es an den Universitäten anders sein als in der restlichen Gesellschaft? Wenn selbst die Bundeswehr beginnt, ihren Dienst am Vaterland betriebswirtschaftlich zu organisieren, stellt die Deregulierung des Bildungssektors nichts Außergewöhnliches mehr dar. Nur gelegentlich kommt es hier noch zu öffentlich ausgetragenen Konflikten, wie etwa vor zwei Jahren, als zum letzten Mal bundesweite Studentenstreiks stattfanden. Doch auch diese Proteste waren schon bestimmt von der resignierten Einsicht, dass Widerstand gegen den neoliberalen Umbau der Hochschulen eigentlich zwecklos sei. Stattdessen beschränkten sich die Studenten auf die Warnung, eine Reform des Bildungsbereichs nach reinen Effizienzkriterien wäre gefährlich für den Standort. Bildung sei eine Ressource, die sich nicht unmittelbar verwerten lasse. Der Student als variables Kapital verlangt nach Schonung. Die Angst vor einer zu schnellen Umgestaltung ist unbegründet. Die bürokratisch organisierten Institutionen sind immer noch geprägt von dem verbeamteten Apparat aus den Zeiten des Fordismus. Nur die Schulen hinken der gesellschaftlichen Entwickung noch weiter hinterher. Dort sind - wie vor dreißig Jahren - der Frontalunterricht und standardisierte Abläufe immer noch die Regel. Während sich die (Hoch-) Schulen also nur mühsam der neoliberalen Leitkultur anpassen, sind ihre »Kunden« schon schneller. Sie sind bereits im Grundstudium in prekären Jobs beschäftigt und wissen, dass bei einem zu langen Studium die Zwangsberatung droht. Oder gleich die Exmatrikulation. Wer studiert, muss sein Leben effizient organisieren. Aber nicht nur das studentische Dasein wird ökonomisiert. Gleichzeitig wird die Welt der (Lohn-) Arbeit studentischer. Wer glaubte, nach der Uni würde alles anders, sieht sich schwer getäuscht. Hier geht es oft weiter wie zuvor - mit wechselnden Honorar-Aufträgen und der Pflicht zum lebenslangen Lernen. Und selbst die Beziehungskrisen bleiben irgendwie dieselben. Da helfen oft nur die so genannten Schlüsselqualifikationen weiter. Selbständig, autonom und tatkräftig das eigene Chaos zu organisieren, ist die akademische Möchtegern-Elite schon längst gewöhnt. Sie weiß bereits, dass es keine festen Arbeitszeiten mehr gibt und auch der Sonntag, wenn es sein muss, ein Arbeitstag wie jeder andere ist; dass die Selbstdisziplinierung wie selbstverständlich zu jeder Hausarbeit gehört und das eigene Interesse der beste Ansporn zu einer guten Leistung ist. Manche sind damit sogar erfolgreich. Die Entgrenzung der Arbeit, die nach und nach jeden Lebensbereich umfasst, beginnt spätestens mit dem Studium. Der fließende Übergang von Job und Freizeit, von Freundeskreis und Arbeitskollegen, von persönlichen Leidenschaften und beruflichen Interessen wird hier schon eingeübt. Der Start-Up-Unternehmer, der mit seinen Studienfreunden eine Firma gründet, in einer Wohngemeinschaft lebt und rund um die Uhr begeistert am gemeinsamen Projekt arbeitet, ist zwar vermutlich vor allem ein gern benutztes Medienklischee. Es kommt aber der Realität in einem wesentlichen Punkt sehr nahe. Dass niemand so viel aus mir herausholen kann wie ich selbst, bestätigt sich vermutlich nicht nur mit jeder Prüfungsvorbereitung, sondern auch mit den ersten Praktika bei einer Zeitung, einer Partei oder einer Online- Firma. Denn kein noch so begabter Vorgesetzter kann die tieferen Schichten menschlicher Fähigkeit freilegen: Kreativität und Phantasie, Enthusiasmus und Leistungswillen, Teamfähigkeit und die Bereitschaft, sich stets weiterzubilden. Der Unterschied zu früher besteht vor allem darin, dass die Anpassung an stets neue Anforderungen nicht mehr von äußeren Autoritäten verlangt wird. Die vollständige Selbstunterwerfung unter den ökonomischen Zweck funktioniert ganz von alleine und schließt die systematische Organisation des gesamten Lebenszusammenhangs mit ein. Jeder ist sein eigener Unternehmer. Dass dies wenig mit menschlicher Selbstverwirklichung zu tun hat, dafür umso mehr mit der Ausbeutung von Arbeitskraft, ist kein Thema mehr. »Die Verbetrieblichung des Lebens, dieses Arbeiten ohne Ende, wird nicht mehr als pathologisch wahrgenommen, sondern zur erstrebenswerten Norm erhoben«, zitiert der Spiegel den Sozialwissenschaftler Andreas Boes von der TU Dortmund. An diesen pathologischen Normalzustand scheinen sich auch die Studenten gewöhnt zu haben. Das Leben noch vor sich, und doch schon mit allem abgeschlossen. In ihrem Pamphlet »Über das Elend im Studentenmilieu« schrieben einige Mitglieder der Situationistischen Internationale, kurz vor der so genannten 68er-Bewegung, über die Stellung des Hochschülers: »Es ist eine provisorische Rolle, die ihn auf die endgültige vorbereitet, die er als positives und bewahrendes Element im Warensystem erfüllen wird.« Heute fallen Vorbereitung und Praxis der Selbstvermarktung in eins. Die Hochschulen sind der Ort dieser Inszenierung. Wer aber will schon sein Leben lang nur eine Ware sein? http://www.jungle-world.com/_2000/47/15a.htm Die Ökonomie der Bildung Die Betriebswirtschaftslehre als neue Leitdisziplin der Universität: Wie Studenten und Hochschulen ihre eigene Verwertung organisieren. Von Christian Brütt Was macht ein Staat, der »von seinen Köpfen, nicht von seinen Rohstoffen« lebt, wie es in einer Erklärung der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) kürzlich zu lesen war? Ganz einfach: Er investiert in die Ausbildung der eigenen Kinder oder er greift sich den bereits geschulten Nachwuchs auf dem internationalen Markt. Die Greencard ist der deutsche Einstieg in den Wettbewerb um die besten Köpfe auf globaler Ebene. Das allein reiche aber nicht, meint die BDA. Um die Nachfrage zu befriedigen, müsse die schwierige Situation auf dem deutschen Arbeitsmarkt vor allem als ein Qualifikationsproblem angesehen werden. »Viel zu viele gering qualifizierte Arbeitslose auf der einen Seite und dafür immer dringender gesuchte Fachkräfte auf der anderen Seite« kennzeichnen aus Sicht der BDA den hiesigen Arbeitsmarkt. »Eine wesentliche Ursache liegt in unserem Bildungssystem, das nur noch zweitklassig ist.« Deutschland fehle es überall am Wettbewerb: in und zwischen den Hochschulen, in der Wissenschaft und unter den StudentInnen. Dynamisch-flexible Arbeitskraft-UnternehmerInnen sollen sie einmal werden. Doch »eigentümlich ist zunächst die Situation des Studenten, weil er halb erwachsen ist, halb nicht erwachsen sein darf«. Obwohl vor knapp 40 Jahren geschrieben, hat diese Feststellung auch heute noch sozial- und familienrechtliche Gültigkeit. Jürgen Habermas, Ludwig von Friedeburg, Christoph Oehler und Friedrich Weltz untersuchten damals den »politischen Habitus« der Studenten und veröffentlichten ihre Ergebnisse unter dem Titel »Student und Politik«. Während nach 1968 bis in die neunziger Jahre Studien mit ähnlichen Titeln vor allem um die Frage kreisten, wann die Studenten wieder den Aufstand proben, würde dieses Thema heute eher ein müdes Lächeln hervorrufen. Statt um das Verhältnis von Studenten und Politik dreht sich heute alles um die Verbindung von Universität und Wirtschaft. Studienanfänger gelten heute wieder als unpolitisch und sie haben andere Sorgen, als sich um das Elend der Welt zu kümmern. Der so genannte Normalstudent aktueller Sozialerhebungen lebt außerhalb des Elternhauses, ist ledig, befindet sich im Erststudium und plagt sich mit Leistungssorgen, die von A wie Arbeitslosigkeit nach dem Studium bis Z wie Zulassung zur nächsten Prüfung reichen. Mit den vielzitierten Humboldtschen Idealen der Freiheit der Wissenschaft, der Einheit von Forschung und Lehre und des Primats von Bildung vor beruflicher Ausbildung haben Hochschulen des Jahres 2000 nichts mehr zu tun. Für Humboldt war die Universität ein Ort totalitätsstiftender Kraft der Wissenschaften unter Führung der Philosophie. Dort, wo die Einheit von Wissenschaft und Moral, von Wissenschaft und Aufklärung, von Wissenschaft und individueller Persönlichkeitsbildung anzutreffen sei, sollte die Kultur im Ganzen reflektiert werden. Humanistische und staatsnützliche Bildung kennzeichneten die »kulturstaatlich verfasste Ordinarienuniversität«, die als Leitbild vom 19. Jahrhundert bis zum Ende der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts dominierte. Sie war geprägt vom Übergang des feudalen Absolutismus zum bürokratischen Kapitalismus. Der Marburger Sozialwissenschaftler Andreas Keller hebt in seiner Dissertation über die Verfasstheit deutscher Universitäten hervor, das »Humboldtsche Bildungsideal« könne kein Bezugspunkt emanzipatorischer Bildungspolitik sein, da es unmissverständlich in das Denken der »Ordinarienuniversität« eingebettet sei. Autonomie stand hier zwar hoch im Kurs, doch war diese verbunden mit einer hierarchisch organisierten Institution, an deren Spitze wenige Professoren amtierten. Universitäten waren primär staatliche Ausbildungsanstalten und finanziell vom Staat abhängig. »Die Wissenschaft wurde sowohl als ein System mit eigener Zweckbestimmung und Sachlogik als auch als integraler Bestandteil staatlichen Handelns verstanden«, schreibt Keller. Die Last mit den Studenten Auch die bis in die neunziger Jahre vorherrschende staatlich regulierte, von den Professoren dominierte Gruppenhochschule hat wenig mit dem zu tun, was heute als Widerpart allgegenwärtiger Ökonomisierung der Bildung hoch gehalten, verteidigt oder geschmäht wird. Ende der sechziger Jahre mangelte es der deutschen Wirtschaft an akademischen Fachkräften. Dieses Defizite sollte durch gezielte Förderung von Arbeiterkindern ausgeglichen werden. 1970 wurden Studiengebühren (das so genannte Hörergeld) abgeschafft und 1972 trat das Bundesausbildungsförderungsgesetz (Bafög) in Kraft. Das ökonomische Kalkül der Bildungspolitik war mit dem Anspruch von »Bildung als Bürgerrecht« verknüpft. Für marxistische Wissenschaftler sah der 1972 sozialdemokratisch verordnete Radikalenerlass allerdings eine Ausnahme vor: Ihre Bürgerrechte - in diesem Falle die freie Berufswahl - wurden drastisch eingeschränkt, durch Ausschluss aus dem öffentlichen Dienst. Studenten bildeten - im hierarchischen Sinne des Wortes - eine Gruppe unter anderen, sie waren jedoch als Mitglieder der Hochschule grundsätzlich anerkannt. Unter der gewerkschaftlichen Forderung nach Mitbestimmung strebten Studenten nach Festigung und Ausbau ihres inneruniversitären Status. Mit dem Hochschulurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1973 wurde den formalen Demokratisierungsbemühungen ein ebenso formales Ende gesetzt. Seitdem gelten Professoren qua Amt, Würde und grundgesetzlicher Autorität als Wahrheitsträger wissenschaftlicher Erkenntnis - die paritätische Gruppenuniversität war klinisch tot. Der »Traum immerwährender Prosperität« (Burkart Lutz), der seit dem so genannten Wirtschaftswunder die BRD beherrschte, erwies sich mit der ökonomischen Krise 1973/74 als kurzes historisches Zwischenspiel. Von der erstmals seit zwanzig Jahren wieder auf über eine Million gestiegenen Arbeitslosenzahl wurden 1975 auch Akademiker erfasst. In den folgenden zehn Jahren wuchs die bis dato faktisch bedeutungslose Arbeitslosigkeit unter Akademikern drastisch an, 1998 waren rund 200 000 Akademiker arbeitslos. Von hochschulpolitischer Bedeutung war dabei der Öffnungsbeschluss von 1977: Formal sollten die Hochschulen für alle offen gehalten werden, allerdings ohne weiteren Hochschulausbau. Dieser Doppelbeschluss - offen für alle, aber ohne entsprechende Finanzierung - erwies sich als Anfang der letzten sozialstaatlichen Initiative im Bildungssektor und gebar ein Schlagwort, das die Hochschulpolitik der achtziger Jahre prägte: das »Überlastproblem«. Das heißt v.a.: Zwei StudentInnen teilen sich einen Studienplatz. Halb Kind, halb erwachsen und schon eine hochschulpolitische Überlast - so sahen für Studenten die achtziger Jahre aus. Marktbewusster Wirtschaftsbürger In den Neunzigern kam alles anders. Das studentische Subjekt wurde wieder entdeckt und zunächst rhetorisch mit neuer Souveränität ausgestattet. Vom Mitglied der Gruppenuniversität zum Kunden der Hochschule und Lebenslaufmanager mit aktiver Selbstveredelungsstrategie - aus dem universitären Staatsbürger sollte ein marktbewusster Wirtschaftsbürger werden. Torsten Bultmann, bildungspolitischer Experte des Bundes demokratischer WissenschaftlerInnen (BdWi), beschreibt den Hintergrund dieses Wandels als »Übergang vom ðÜberlastÐ-’ zum ðEffizienzproblemЫ. Effiziente Mittelverwendung, Entbürokratisierungen und - als Leitbegriff - »Autonomie« sind per se keine neoliberalen Ungehörigkeiten. Erst die Definition dieser Ziele, also welche Strukturen die staatlich-bürokratischen ablösen und woher eine autonome Hochschule künftig ihre Gelder bezieht, macht die Diskussion problematisch. Im Unterschied zur Situation zu Zeiten der sozialdemokartischen Bildungsreform ist die Wirtschaft nicht mehr allein äußerer Bezugsrahmen der Bildungspolitik. Vielmehr sollen ökonomische im Sinne von betriebswirtschaftlichen Strukturen direkt im Inneren der Institutionen die (Aus-) Bildung des Humankapitals steuern. Nicht allein für die Wirtschaft, sondern wie in der Wirtschaft soll ausgebildet werden. Vollkommen neue Beziehungen der Hochschulen zu Staat, Gesellschaft und StudentInnen kennzeichnen diesen Transformationsprozess. Bultmann bezeichnet das neue Leitbild als »standortgerechte Dienstleistungshochschule«. Globalhaushalte ersetzen die althergebrachte Kameralistik. Die Grundidee ist simpel: Anstatt den Hochschulen eine zuvor berechnete Summe für einzelne Ausgabenposten fest zuzuweisen, stellt der Staat ein gewisses Budget zur vergleichsweise freien Verfügung. Im Rahmen der so genannten Globalhaushalte entscheiden nicht mehr die faktischen Ausgaben über die Höhe der Mittel, sondern die »Leistung«, d.h. der Output des Wissenschaftsbetriebs. Leistung muss wiederum vergleichbar, also messbar sein, was eine Quantifizierung notwendig macht. Doch wie soll ein wissenschaftliches Produkt quantifiziert werden? Danach, wie oft es sich verkauft, wie häufig Wissenschaftler in einschlägigen Fachmagazinen veröffentlichen? Die Frage liefert die Antwort gleich mit: Fachbereiche, die mehr Drittmittel einwerben, leisten mehr, und sie erhalten demzufolge mehr Geld. Erfolge bei der Aquise von Drittmitteln hängen überwiegend davon ab, was gerade als mainstream der scientific community gilt oder was von der Wirtschaft nachgefragt wird. Eine fundamentale Kritik der Atompolitik sponsored by Siemens klingt wenig realistisch. Be your own profit center Und die Studenten? Rhetorisch bereits in den Rang von Kunden erhoben bzw. dazu degradiert, fehlt ihnen noch das entsprechende Bewusstsein als »Konsumenten«. Aber auch hierfür gibt es ein Zauberwort: Studiengebühren. Der studentische homo oeconomicus leitet seine Ansprüche auf gut ausgestattete Bibliotheken und begleitende Studienberatung durch Professoren nicht mehr von seinem Recht auf Bildung ab, sondern verlässt sich schlicht auf sein Portemonnaie. Studiengebühren kreieren ein schlichtes Anreizmodell: Ihn treibt das Bedürfnis, innerhalb kürzester Zeit eine erste Ausbildung zu absolvieren, die auf dem Arbeitsmarkt eine optimale Ausgangsbedingung für die individuelle Beschäftigungsfähigkeit ermöglicht. Für ganz Eilige sieht das Hochschulrahmengesetz (HRG) seit 1998 ein Studium light, sprich Bachelor (BA), vor. Besonders Kluge schauen auf Rankings, wie die vom Spiegel, um die richtige Uni zu wählen. Die Hochschule ist im ökonomischen Sinne Vertragspartner, der einen akademischen Abschluss in angemessener Zeit anbietet. Zusätzlichen Ansporn liefert der Staat, der die Höhe seiner Zuwendungen an die Hochschule von der Menge der innerhalb der Regelstudienzeit produzierten Akademiker abhängig macht. Rational sollen sich sowohl Dienstleister als auch Kunden verhalten. Sie suchen sich gegenseitig aus. Was für Studenten mit wenigen Einschränkungen (z.B. ZVS-Fächer, NC) schon immer möglich war, hat die Bundesregierung ebenfalls vor zwei Jahren durch die Änderung des HRG den Hochschulen ermöglicht: Sie können sich ihre Kunden teilweise selbst aussuchen. Aufnahmeprüfungen verdrängen das Abitur nicht, sondern gestalten die Selektion beim Hochschulzugang restriktiver. Für Bultmann sind Studiengebühren deshalb ein »zentrales Kettenglied, ökonomische Selbstanpassung der Subjekte, institutionelle Modernisierung der Hochschulen und gesellschaftliche Märkte miteinander zu verkoppeln«. Kurz: Sie dienen als Steuerungsinstrument in einem marktorientierten Modell, das Autonomie auf Konsumentensouveränität beschränkt. Im Kern geht es um eine innere Durchkapitalisierung der Hochschulen und der Subjekte selbst. Wenn von Autonomie geredet wird, ist die Freiheit des (studentischen) Marktsubjektes gemeint, sich nach Angebots- und Nachfragekriterien zu entscheiden. Der endgültige Wert einer jeden Entscheidung richtet sich nach der erwirtschafteten Rendite. Dabei kann oder muss von weiteren inhaltlichen Kriterien wie Sinn oder Unsinn von Forschung, Erkenntnisinteresse jenseits der Verwertung usw. abgesehen werden. Deshalb begrüßen Befürworter von Studiengebühren die vom Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) vorgelegte Untersuchung, aus der die Rendite einzelner Studiengänge abzulesen ist. Grob wurden Verdienstausfälle während des Studiums gegen wahrscheinliche Mehreinnahmen nach dem Studium abgewogen. Die Vergleichsgröße bildete das Einkommen von Abiturienten ohne anschließendes Studium. Das im Mai 1994 gegründete CHE - getragen von der Bertelsmann Stiftung und der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) - versteht sich selbst als Think Tank und Berater von Hochschulen. Es gehört zu den maßgeblichen Stichwortgebern und Institutionen der Politikberatung, die sich für eine betriebswirtschaftliche Reorganisation des Hochschulwesens einsetzen. Für einzelne Fachbereiche rückt mit dem neuen Steuerungsmodell die Marktgängigkeit ihrer Inhalte in den Mittelpunkt. So genannte Diskussionswissenschaften - sprich Sozial- und Geisteswissenschaften - müssen sich fragen lassen, ob sie ihren künftigen Kunden eine Dienstleistung anbieten können, die zu einer höheren Beschäftigungsfähigkeit führt. Schließlich ist für jeden Betrieb selbstverständlich, nur das zu produzieren, was sich hinterher auch verkaufen lässt. Innerhalb des Gesamtbetriebes entwickeln sich die Fachbereiche zu Profit- Centern, zu autonomen, nach betriebswirtschaftlichen Kriterien funktionierenden Einrichtungen. Den Begriff »Bildungsökonomie« hat Elmar Altvater vor gut dreißig Jahren als »ausgesprochen glückliche Kombination von Wörtern« verstanden. Denn »Bildung« verweise noch auf die humanistische Tradition der Menschenbildung, auf die Fähigkeit zur Reflexion, auf die Konstitution des autonomen bürgerlichen Individuums, während im Begriff »Ökonomie« das Moment der Ausbildung, der Konditionierung des Individuums und vor allem das Kalkül von Kosten und Nutzen enthalten sei. »Die Bildungsökonomie«, so Altvater weiter, sei nichts Weiteres »als Ausdruck dafür, dass Bildung oder Ausbildung gar nicht mehr ins Belieben der Individuen gestellt sein können«. Was für Humboldt die Philosophie war, wird künftig die Betriebswirtschaftslehre sein. Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen. Global Sourcing statt freie Migration und Pflicht zur marktgerechten Ausbildung statt Recht auf Bildung ergänzen einander wunderbar. http://www.jungle-world.com/_2000/47/16a.htm a.s.ambulanzen Zur Kritik des studentischen Spektakels Vertrauen ist der Anfang von allem. Und so ist auch der Ausgangspunkt der Studentenbewegung von 1998 ihr unerschütterlicher Glaube an die Zuständigkeit der Institutionen, an die sie sich adressiert. Die Selbstverständlichkeit, mit der sie sich im Rahmen der für sie vorgesehenen Strukturen bewegt, zeugt von ihrer grenzenlosen Zuneigung zu den gegebenen Verhältnissen. So wie ihr Protest sich formal in vorauseilender Rücksichtnahme auf die öffentliche Meinung und allgemeine Stimmung erschöpft, so zielt er inhaltlich auf nichts anderes als die Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung unter freundlicher Berücksichtigung studentischer Interessen. Noch vor einer Generation konnte sich der Student den Luxus von Kritik und Widerstand leisten, da er seine Privilegien damit nicht aufs Spiel setzte, vielmehr im Rahmen einer Modernisierungsrevolte noch ausbauen konnte. Heute aber, wo eben diese Privilegien in Frage stehen, zeigt sich, daß auch Kritik und Widerstand den Gesetzen von Angebot und Nachfrage gehorchen, genauso wie der Student selbst den Anforderungen einer sozial differenzierten Marktwirtschaft. Das Prinzip von Leistung und Konkurrenz hat er so sehr verinnerlicht, daß er selbst dessen Kritiker mit dem gebührenden Respekt behandelt. Sogar die großen Verweigerungen sind in seiner Erinnerung aufgehoben, indem er den rituellen Wiederaufführungen der immergleichen Revolutionsspektakel begeistert Beifall zollt, und sei es nur für die Professionalität der Inszenierung. Hier feiert der Student sich selbst; im Theater seiner Eitelkeiten wird er zur großen alten Dame der Samstagabendunterhaltung. Das allgemeine Interesse an den kleinen und großen Dramen vergangener Revolten erklärt sich vor allem aus der Begeisterung für das Modell des tragischen Scheiterns, zumal die aktuellen Protestversuche in ihrer selbst die Sicherheitskräfte entwaffnenden Armseligkeit außer einer Situationskomik dritten Grades in der Tat nichts abwerfen als die für den Studenten beruhigende Gewißheit, es selber mal versucht zu haben. Und so wiederholt er nicht nur die Geschichte als Farce, sondern auch jede je dagewesene Subversion als Seifenoper, indem er mit der unerträglichen Originalität dessen, was er für Protest hält, noch all das unterbietet, was im öffentlichen Raum sonst noch um Aufmerksamkeit buhlt. Das Vertrauen in die Vergeblichkeit jeden Widerstandes war schon immer der eigentliche Antrieb des Studenten, und die Einsicht in die Geschichte der Motor seiner Trägheit. Heute jedoch, wo keine seiner Forderungen noch im Widerspruch zu den bestehenden Verhältnissen steht, fiebert er einer Enttäuschung entgegen, die niemals kommen wird. Die Studentenbewegung von 1998 träumt von Gegnern und halluziniert Frontverläufe, wo längst alles eins ist. Wer selber für den Standort kämpft, sollte nicht mit Steinen werfen, und wer selber an den Sachzwang glaubt, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Unter allgemeinem Beifall rennt diese Bewegung eine offene Tür nach der anderen ein. Jede ihrer Forderungen kommt einer Einverständniserklärung gleich, und jedes Ultimatum, das sie stellt, spart die teure Zeit ihrer Kontrahenten. Gerade im Kampf der Studenten um die immer knapper werdenden öffentlichen Mittel bilden sich die Tugenden heraus, mit denen die deutschen Universitäten im internationalen Konkurrenzkampf bestehen sollen, eben wie die Arbeiter im Kampf um ihr Urlaubs- und Krankengeld sich auf die Verhältnisse einrichten, die das globale Kapital ihnen bescheren wird. Die Logik des Standorts verlangt nicht die Aufstockung irgendwelcher Budgets, sondern deren permanente Kürzung. Eine Studentenbewegung, die das nicht wahrhaben will, möge wieder in ihren Vorlesungsräumen verschwinden, um sich am Beispiel ihrer Dozenten zu vergewissern, daß es auch an den Universitäten einzig und allein um die möglichst kostengünstige Produktion billiger Nachwuchskräfte geht. Studenten, die selbst das nicht begreifen, bekommen die Jobs, die sie verdienen. Allen anderen sei geraten, ihr politisches Unbehagen möglichst schnell in jenes kulturelle Rauschen zu transformieren, das uns die Arbeit zum Vergnügen, die Freizeit zum Spektakel und sogar den Deutschen Herbst ein wenig schneller macht. Die Kultur ist in der Tat das liebste Kind des Studenten. Seine Begeisterung für alles Kulturelle ist so bodenlos wie seine Bereitschaft zum Konsum und stößt erst am Ende des Dispo-Kredits auf ihre natürliche Grenze. Trotz eindeutiger Anweisungen der einschlägigen Fachmagazine beharrt er dabei auf seinem individuellen Geschmack, und so trifft man ihn oft zu später Stunde in den hintersten Ecken drittklassiger Erlebnisparks, wo er noch das als Avantgarde feiert, was die arbeitende Bevölkerung längst aus dem Einkaufsradio kennt. Ausgerechnet die Universität glaubt der Student als Freiraum für seine eigentümlichen kulturellen Vorlieben verteidigen zu müssen, und so hofft er auf ewige Selbstverwirklichung in den Kuschelecken der herrschenden Strukturen. Die Trennung der Welt in Kultur und Politik hat der Student dabei so sehr verinnerlicht, daß sein Traum vom kulturellen Streichelzoo widerspruchslos neben der Phantasie von der unbedingten Rationalität des Politischen steht. Diese Rationalität fordert er von allen Instanzen, die den Rahmen festlegen, in dem sich sein studentisches Leben bewegt. Und so bleibt sein einziger politischer Vorwurf an die Universität, daß sie ihn für die bevorstehende Barbarei nicht effizient genug zurichtet. Doch wer der Effizienz den kleinen Finger reicht, dem reißt sie gleich die ganze Hand ab. Die Bitte um schnelleres Studium findet ihre Erfüllung erst in der Aufforderung zu schnellerer Arbeit, gründlicherer Freizeit, weniger Krankheit und kürzerer Rente. Daß also die Universitäten nicht mehr funktionieren, wäre angesichts der Zwecke, auf die ihr Funktionieren abzielt, eher eine gute Nachricht. Die Bücher, die in den Bibliotheken fehlen, enthalten in zunehmendem Maße Anweisungen zu deren schnellstmöglicher Schließung. Wer dort vier Wochen auf ein Buch warten muß, hätte endlich Zeit zum Lesen. Die Lieblingsautoren dieser Studentenbewegung aber sind der späte Hans Magnus Enzensberger, die frühe Rosa Luxemburg und alles von Roman Herzog. Von denen lernt man nicht nur fürs Studium, sondern vor allem fürs Leben: Vertrauen in die Geschichte ist gut, Kontrolle der Zukunft ist besser. In der Risikogesellschaft sympathischer Individualdemokraten übernehmen die Studenten dankbar ihre Rolle als Avantgarde einer präventiven Paranoia. Bis zu einem gewissen Grad mag es ihnen noch gelingen, die sie umgebende materielle Armut als kulturelle Bereicherung zu konsumieren, doch schon der in ihren Vierteln sich häufende Müll droht die Qualität ihres Bohèmelebens zu mindern, und selbst die sich allerorts ausbreitenden Graffiti werden zu Zeichen eines bevorstehenden Bürgerkriegs. Der einzige Mangel, den ein solcher Blick noch auszumachen vermag, ist der Mangel an Sicherheit, und unter dessen Bedingungen reicht die aktive studentische Konfliktbereitschaft bestenfalls bis zur ersten roten Ampel. Statt also auf die Verschärfung der Krise zu setzen, sehnt sich der Student nach ihrer Bewältigung mit den Mitteln der Polizei. Insgeheim träumt er von öffentlichen Universitäten, an denen private Sicherheitsdienste seine Prüfungsangst bekämpfen. Was von der Angst noch übrigbleibt, begreift er nicht als öffentliches Anliegen, sondern als persönliches Problem, das er als Privatpatient zum Psychologen trägt, wenn nicht sogar, als braves Kind, zurück zu seinen Eltern. Sein Verlangen nach sicheren Studienplätzen deckt sich in allen Aspekten mit dem Begehren des Bürgers nach sicheren Straßen, und somit sind für beide auch die gleichen Senatoren zuständig, nämlich die für innere Sicherheit, öffentliche Ordnung und absolute Polizeipräsenz. Jedes studentische Leben ist eine serialisierte kapitalistische Mini-Krise, ein Desaster, das deine Matrikelnummer trägt. Solange die Bewegung der Studenten statt auf die Abschaffung dieses Elends auf dessen fortwährende Verfeinerung zielt, werden wir ihren Demonstrationen genauso überzeugt fernbleiben wie den Heimspielen von Hertha BSC. Those who know history are not doomed to repeat it. Gegen das Spektakel der Kritik die Kritik des Spektakels! Spaß ist kein Spaß! http://rolux.org/a.s.ambulanzen ________________________________________________________________________________ no copyright 2000 rolux.org - no commercial use without permission. is a moderated mailing list for the advancement of minor criticism. post to the list: mailto:inbox@rolux.org. more information: mailto:minordomo@rolux.org, no subject line, message body: info rolux. further questions: mailto:rolux-owner@rolux.org. home: http://rolux.org/lists - archive: http://rolux.org/archive