________________________________________________________________________________ Frankfurter Rundschau Wolfgang Kunath Frau Sommer im Schoko-Berg Das Party-Girl inszeniert seine eigene Prominenz: Dabeisein als Daseinszweck Wenn man den Suchmaschinen den Namen Ariane Sommer zum Beschnüffeln vor die Nase hält und "Such!" sagt, dann finden sie aus der Zeit vor Dezember 1999 unglaublich viele Raketenstarts und noch viel, viel mehr Wetterberichte. Aber danach! Da keucht und hechelt es plötzlich aus den endlosen Weiten des Internets heraus: Party-Maus! Party-Girl! Party- Königin! Herrin der VIP- Liste! Networking- Queen! 88-61-90! Erotischste Nikoläusin '99! Grandezza! Glamour! High Society! Diplomatentochter! Busen! Beine! Dekolleté! Sexy, witzig, hip und übertrendig! Bis zum Anschlag! Bis zum Erröten! Wie andere Leute von Beruf Bauer, Betriebswirt oder Bundeskanzler sind, so ist Ariane Sommer, 23 Jahre alt, von Beruf Party-Girl. Das hatte Berlin bisher noch nicht - jedenfalls hat das noch nie jemand zum Beruf gemacht -, und deshalb jubelt die Berliner Presse begeistert auf, die süchtig wie die ganze Stadt nach High Society ist. Was aber ist ein Party-Girl und warum? Die Prominenz normaler Prominenter gründet auf Talent und Leistung, wobei es egal ist, ob irgendjemand mit den Beinen einen Ball oder mit den Armen die Philharmoniker zu dirigieren versteht; die prommisüchtige Öffentlichkeit ist nicht kleinlich. Ariane Sommer dagegen ist grundlos prominent. Ihr kommt das Verdienst zu, die Kausalität zwischen eigener Anstrengung und öffentlicher Adoration aufgelöst zu haben: Sie hat ihre Prominenz einfach selbst inszeniert, was zugegebenermaßen auch ein Talent ist. Sie ist da, weil sie vorher schon da war. Sie wird auf Partys eingeladen, weil sie schon auf anderen Partys eingeladen war. Man spricht von ihr, weil man schon von ihr gehört hat. "Networking" nennt sie das Instrument ihrer Selbstinszenierung: die richtigen Leute kennen, auf den richtigen Partys sein, in den richtigen Lokalen herumhängen. A star is born? Nein, nicht mal ein Starlet. Frau Sommer dient der Presse zum Fraß, wobei sie sich ihr bereitwillig selber vorwirft. "Dann verschwindet ihr Wonderbra- Dekolleté langsam im Schoko-Berg", notierte die Süddeutsche staunend, als die Dame in einem Charlottenburger Einkaufszentrum in eine Badewanne voller Mousse au chocolat stieg. "Ich finde schöne Füße total wichtig", reportierte die B.Z. aus dem Mund des Party-Girls. Dass sie keine "oberflächliche Nightlifeziege" sei und sogar Plätzchen backen könne, vertraute sie der Welt an. Der Tagesspiegel berichtete ohne auch nur den schwächsten Hauch kritischer Verwunderung, wenn Frau Sommer "mal ein bisschen Geld hat", werde sie einen Ferrari kaufen, und zwar mit Automatik, "weil ich meinen Führerschein doch in Amerika gemacht habe". Ungefähr zu der Zeit, als Frau Sommer - die Presse nennt sie auch gerne "La Sommer", als wäre sie so was wie die Callas oder die Bardot - geboren wurde, war gerade Nena berühmt. Nena war die Aufsteigerstory schlechthin; mit ihrem Lied "99 Luftballons" katapulierte sie sich aus dem damals schon tristen Arbeiterbezirk Neukölln in die Welt des Schlager- Glamours. Was für ein Gegensatz! Frau Sommer ist Diplomatentochter, sie hat in Sierra Leone, Miami, Indien und sonstwo gelebt. Deshalb spricht sie "sechs" (Berliner Zeitung), "fünf" (Berliner Morgenpost), "vier" (Süddeutsche), jedenfalls "mehrere" (Tagesspiegel) Sprachen, und ihr Onkel ist einer der einflussreichsten Publizisten Deutschlands. "Ich liebe das Leben und habe eine positive Ausstrahlung. Die Leute mögen das. Warum soll ich ein schlechtes Gewissen haben, dass es mir gut geht?", fragt das Party-Girl, das - als sei es auf eine ganz besonders verschmitzte Pointe aus - an der Freien Universität Politikwissenschaft studiert und dort sogar mal ein Referat über Taiwan gehalten haben soll. Prominenz ohne Grund, Ausstrahlung ohne Erhellung, Dabeisein als Daseinszweck: Ariane Sommer ist wie geschaffen für diese Zeiten. Bei Big Brother mitzumachen wäre ihr vermutlich zu prolomäßig. Aber so tief unter ihrem sozialen Niveau der Container auch wäre - die Inszenierung der Belanglosigkeit stiftet Seelenverwandtschaft. Oder wählen wir einen weniger prolomäßigen Vergleich: Auch Gerhard Schröder steht gut da, auch bei ihm weiß man nicht so genau, wofür er steht. Dennoch hat die Inhaltslosigkeit ihre eigene Unmoral, und das hat nichts mit dem aufblinkenden "No sex" auf ihrer Homepage zu tun. So wie bei Nenas Karriere das Soziale anklang, so ist das Phänomen Ariane Sommer ein subtiles Plädoyer für modernen Sozialdarwinismus: Hauptsache, der Champagner ist richtig kalt. Und das neue Berlin scheint bei Leuten wie Frau Sommer Egoismus und Ellbogeneinsatz zu bewundern: "Warum sich mühsam bewerben, wenn sie Filmproduzent Arthur Brauner ganz locker am Buffet um den Finger wickeln kann?", fragt die Süddeutsche. "Warum mit Dutzenden Bewerberinnen aufs Vorsprechen warten, wenn man sich am Büfett dem Chef persönlich vorstellen kann?", variiert die Berliner Zeitung, und die Morgenpost formuliert: "Warum sich mühsam als Schauspielerin bewerben, wenn man den Filmboss Atze Brauner ganz locker am Buffet ansprechen kann?" Zu dumm, dass www.arianesommer.de gerade nicht zu öffnen ist! "Currently under reconstruction" blinkt zur Zeit auf der Homepage auf. Deshalb erfahren wir leider nicht, wie der fabelhafte Satz mit Atze Brauner im Original lautet. http://www.frankfurter-rundschau.de/archiv/fr30t/h120000706125.htm ________________________________________________________________________________ no copyright 2000 rolux.org - no commercial use without permission. is a moderated mailing list for the advancement of minor criticism. more information: mail to: majordomo@rolux.org, subject line: , message body: info. further questions: mail to: rolux-owner@rolux.org. archive: http://www.rolux.org