________________________________________________________________________________ Jungle World 27/00 Bazar der Hackermeuten Bei den Linuxtagen in Stuttgart zeigen auch Bundesverwaltung und Industrie Interesse an Open Source Software. von Michael Willenbücher Dieses Wochenende treffen sich die Großen der Computerindustrie mit den neuen Erfolgreichen der Hackerszene. Ort der Begegnung sind die Linuxtage 2000 in Stuttgart (www.linuxtag.de). Es werden 20 000 BesucherInnen erwartet. Die Veranstaltung, die 1996 mit siebzig BesucherInnen startete, hat sich rasant zur größten Open Source-Messe Europas entwickelt. Erstmals steht sie dieses Jahr unter der Schirmherrschaft des Bundesministeriums für Wirtschaft (BMWi). Open Source Software (OSS) soll, so die Grußbotschaft von Bundeswirtschaftsminister Werner Müller, »Deutschland als E-Commerce-Standort an die Spitze des internationalen Wettbewerbs bringen«. Nachdem der ILOVEYOU-Virus die Festplatten geputzt hatte, kündigte der parteilose Minister bereits Mitte Mai an, dass seine Behörde freie Software stärker fördern wolle. Der Grund: Die Verfügbarkeit des Quellcodes - und damit die Möglichkeit zur Weiterentwicklung von Programmen durch jeden Benutzer - erlaube die Beseitigung von bugs und Sicherheitslöchern. In einer gemeinsamen Erklärung mit Spitzenvertretern der deutschen IT- Branche bezeichnete Müller die »weltweite Dominanz von einzelnen Computerprogrammen als eines der gravierendsten Sicherheitsprobleme im Internet«. Der von ihm gegründeten Sicherheitspartnerschaft gehört - neben dem Bundesverband der Deutschen Industrie, dem Industrie- und Handelstag, dem Bundesverband Informationswirtschaft, SAP und der Telekom - auch der Linux-Verband an. Ebenfalls im Mai fand in Berlin eine Konferenz des BMWi statt, auf der die verheerende Wirkung des Patentrechts auf die Software-Entwicklung problematisiert wurde. Diese Frage hat in den letzten Monaten auch international Aufsehen erregt: Nachdem der US-Onlinevertrieb amazon. com versuchte, sein »One-Click- Verfahren« zur Buchbestellung patentieren zu lassen, riefen Richard Stallman von der Free Software Foundation (www.fsf.org) und Tim O'Reilly vom O'Reilly-Open Source-Buchverlag zum amazon- Boykott auf. In den USA gibt es schon seit einem Jahrzehnt restriktive Regelungen zur Softwarepatentierung. Nachdem die Pariser EU- Konferenz im Juni 1999 zu diesem Thema eine einjährige Bedenkzeit beschlossen hat, wird nun von OSS-Vertretern befürchtet, dass auch in der EU restriktivere Regelungen eingeführt werden. Im Gegensatz dazu erschien im Februar auf der Homepage der Koordinierungs- und Beratungsstelle der Bundesregierung für Informationstechnik (KBSt) ein internes Papier, in dem der Einsatz von OSS in der Bundesverwaltung äußerst positiv eingeschätzt wurde. In der ersten Fassung erschienen Tabellen, die die Kosten für OSS der mit Eigentumsrechten belegten Software gegenüberstellten. Das Papier geht davon aus, dass sich sowohl im Server- als auch im Desktop-Bereich OSS zu einem ernst zu nehmenden Konkurrenten von Microsoft entwickelt. Wegen der freien Kopierfähigkeit würde der Kauf einer einzigen Linux- Distribution für die gesamte Verwaltung ausreichen. Im September wird ein mehrtägiger Workshop von Softwarebeauftragten und SystemadministratorInnen der Bundesverwaltung grundlegende Konzepte, Einsatzszenarien, Fortbildung und praktische Fragen diskutieren. Anfang der neunziger Jahre stellte der finnische Student Linus Torvalds die erste Version eines Betriebssystemkerns ins Netz. Schon vorher hatten Hacker im Umkreis der Free Software Foundation Anwendungen freier Software entwickelt, die unter der »General Public License« vertrieben wurden. Dieses »Copyleft« erlaubt Nutzung, Veränderung, Weiterverbreitung und sogar Verkauf der Programme inklusive Quellcode unter der Bedingung, dass allen weiteren UserInnen die gleichen Rechte zugestanden werden. Durch die Nutzung des Internet als Verteilungsmedium entstand eine internationale Entwicklersubkultur, die in rasanter Geschwindigkeit ein vollständiges Betriebssystem entwickelte. Zeitweise wurden täglich neue Versionen von Betriebssystemkernen ins Netz gestellt. Fehler im Programmcode wurden innerhalb von wenigen Tagen behoben und Verbesserungen gingen in einem Tempo voran, die sich die ManagerInnen in den Bunkern der Softwareindustrie nur erträumen konnten. Das neue Produktionsprinzip wurde von Eric S. Raymond in seinem Text »Die Kathedrale und der Bazar«, der zum Manifest der OSS- Szene geworden ist, den elitär produzierenden IT-Riesen gegenübergestellt. Im horizontalen Bazar wird »Total Quality Management«, einer der Kernpunkte der neuen Unternehmensphilosophien, schon seit anderthalb Jahrzehnten von vielen unbemerkt über das Netz der Netze realisiert: Weitverteilte dezentrale Hackermeuten schaffen es in bestimmten Konstellationen, die molaren Industrieapparate der großen IT- Konzerne anzugreifen. Nomadisierende, flexible Hacker stehen also, so der Ansatz von Theoretikern wie Maurizio Lazzarato (siehe Seite 28/29), der trägen, hierarchisch strukturierten Maschine des Kapitals gegenüber. Lazzarato, der die Entwicklersubkultur in Anlehnung an den französischen Philosophen Gilles Deleuze als »Hackermeute« bezeichnet, betrachtet Kooperation, Kommunikation und subjektive Kreativität als integrale Bestandteile der Ware Arbeitskraft unter postfordistischen Bedingungen. Die Entwicklung von OSS lässt sich so gesehen als paradigmatisches Modell des neuen Akkumulationsregimes bezeichnen, obwohl viele Open Source- Vertreter ihre Arbeit nicht als intelligente Dienstleistung verstehen, sondern für einen Informationskommunismus eintreten. Stallman, der sich selbst als libertären Anarchisten bezeichnet, - und mit ihm ein bedeutender Teil der Hackercommunity - meint beispielsweise, dass nur hundert Prozent freie Information die Grundlage einer freien Gesellschaft bilden können. Entsprechend wendet er sich gegen jedes Eigentum am Code. Der Pragmatismus des überwiegenden Teils der OSS-Bewegung lässt dieses Potenzial allerdings in den Hintergrund treten und feiert lieber seine kleinen Siege über die Macht des Bösen called Bill. Ab Mitte der Neunziger wurden zunehmend große Firmen auf das bazarstyle-Entwicklungsmodell aufmerksam. Als Netscape 1997 durch Microsofts Internet Explorer hart in Bedrängnis geriet, gaben sie - angeregt durch Raymonds Manifest - den Quellcode ihres Browsers frei und suchten die Zusammenarbeit mit der Hackergemeinde. Deren pragmatischer Teil begann, die technischen Aspekte von den utopischen zu trennen: Ein Zertifikationsverfahren, »The OSI Certification Mark«, wurde entwickelt, das den Begriff Open Source erstmals im industriellen Mainstream etablierte und gleichzeitig der Entwicklung freier Software die gesellschaftskritische Spitze nahm. Eine Reihe anderer wichtiger Firmen wie Sun, IBM, Sybase, Apple stellten sofort Teile ihrer Produkte unter dieses Zertifikat. Daher ist dem OSS-Hype mit einiger Skepsis zu begegnen. Zu viele seiner Vertreter sehen in der Adaption ihrer Ideen durch die Großen des IT-Business eine willkommene Bestätigung ihrer Bemühungen. Wirtschaftsminister Müller weiß schon, was er tut. Vielleicht sollte man von Hackermeuten doch nicht allzu viel erwarten. http://www.jungle-world.com/_2000/27/09a.htm ________________________________________________________________________________ no copyright 2000 rolux.org - no commercial use without permission. is a moderated mailing list for the advancement of minor criticism. more information: mail to: majordomo@rolux.org, subject line: , message body: info. further questions: mail to: rolux-owner@rolux.org. archive: http://www.rolux.org