________________________________________________________________________________ Die Zeit 21/2000 Der achte Hügel Die Expo wird das Zwischenlager für den geistigen Restmüll des 20. Jahrhunderts von Jens Jessen Noch haben wir die Expo in Hannover nicht gesehen. Noch wissen wir nicht, ob ihr gelingt, was sie sich vorgenommen hat. Wir wissen aber leider schon, was sie zeigen will. Sie hat es in tausend Broschüren, Flyern und Plakaten rund um die Welt gestreut. Besonders erhellend ist ein kleines Heft mit dem bescheidenen Titel Die Zukunft. Benutzerhandbuch. Offenbar soll man sich nach dem Willen der Ausstellungsmacher die Zukunft als eine Art Maschine, Auto oder Computerprogramm vorstellen, für die man nichts weiter als eine Gebrauchsanweisung braucht, die zufälliger- und sinnigerweise auch als Führer durch die Expo taugt. Die Expo, so muss man das wohl verstehen, ist mit der Zukunft weitgehend identisch. Na, dann Prost Mahlzeit! Oder vielmehr gerade nicht. Denn in einer Zukunft, die mit der Expo identisch ist, wird es nicht viel zu essen geben. Der deutsche Pavillon zum Beispiel will einen Baum zeigen, der anstelle von Früchten Fernseher trägt. Die Kirschen, die man im 20. Jahrhundert noch gegessen hat, soll man offenbar im 21. Jahrhundert nur noch auf dem Bildschirm angucken. Fernen Ländern, die man in der Vergangenheit noch bereiste, wird es nicht anders ergehen. "Im Innern des Gebäudes", heißt es in einer Vorschau auf den kanadischen Pavillon, "können sich die Besucher auf eine Reise entlang eines virtuellen kanadischen Flusses begeben, der durch Hunderte von Fernsehbildschirmen und beleuchtete Bilder simuliert wird." Virtualität und Simulation: Der Gedanke drängt sich auf, dass die Zukunft im Sinne der Expo vor allem aus den modischen Theorien des späten 20. Jahrhunderts bestehen soll. Wird das 21. Jahrhundert am Ende gar nicht so herausfordernd sein, sondern ein gemütliches Retrodesign tragen? Der deutsche Pavillon spricht sehr dafür. Denn gerechterweise muss man sagen, dass der Baum, der uns so erschreckt hat, kein Kirschbaum sein soll, sondern ein "Baum des Wissens". Von diesem Baum des Wissens ernährt sich natürlich die berühmte Wissensgesellschaft beziehungsweise der elektronisch vernetzte Mensch, der sein geistiges Happi aus dem Internet bezieht. Das hat uns das letzte Jahrhundert im Moment seines Verlöschens noch mit auf den Weg gegeben. Selbst der pädagogische Impetus seiner siebziger Jahre wird in Hannover "fit fürs nächste Jahrtausend" gemacht, wenngleich als aberwitziger Verschnitt mit dem theoretischen Plunder der achtziger Jahre. "Die Künstler", erklärt ein Organisator des Kulturprogramms, "können zwischen den Expo-Highlights nur bestehen, wenn sie das Unerwartete, das völlig Andere schaffen und vorhandene Denkmuster auf den Kopf stellen." Denkmuster, auf den Kopf gestellte: Das sind natürlich die Denkanstöße, die der studentenbewegte Deutschlehrer zu geben pflegte, während das Unerwartete viel mit der seinerzeit hoch geschätzten Störung von (Seh-, Hör-, Denk-)Erwartungen zu tun hat. Interessant, geradezu kühn ist aber erst deren Verschränkung mit dem postmodernen Begriff des Anderen. Das Andere! Wie es uns nostalgisch berührt. Gewiss wird auf der Expo auch gleich noch das Begehren um die Ecke biegen. Der Körper ist jedenfalls schon da. Allüberall in den Prospekten werden die Sinne beschworen. "Auf 100 000 qm werden die Besucher hier die Zukunft sehen, hören, riechen, schmecken, ertasten, genießen, mitgestalten - und verstehen." Letzteres ist der große fromme Wunsch der ganzen Ausstellung, dass aus den Sinnesreizen so etwas wie Erkenntnis kommen könnte. "In bequemen Liegestühlen, am Rand eines tiefblauen Sees, erfahren unsere Sinne, dass Gesundheit mehr ist als Wellness." Es ist allerdings sehr die Frage, ob Gesundheit im Sinne der Expo auch etwas Wünschenswertes ist. Der Organismus, wie ihn sich die Ausstellung für die Zukunft vorstellt, ist jedenfalls reichlich merkwürdig und eher als Ergebnis einer missglückten genetischen Bastelei zu verstehen. Die Besucher "betreten zunächst einen langen Gang, ähnlich einer Speiseröhre, erfahren dann mehr über die verschiedenen Aspekte der Ernährung, bevor sie in einem riesigen Ei landen - Symbol für den Anfang des Lebens und Nahrungsmittel zugleich". Nicht auszudenken, was das für ein Lebewesen ist, dass seine eigene Speiseröhre herabmarschieren kann, dann aber nicht im Magen, sondern offenbar im Uterus eines Vogels landet, dort seine eigene Keimzelle findet und sogar verspeisen könnte. Die Expo, zumindest im Spiegel ihrer Druckschriften, scheint aus einer Kette reichlich gewagter Allegorien zu bestehen, die aus dem geistigen Restmüll des 20. Jahrhunderts zu Bildern montieren, was sich nur irgend assoziieren lässt. Das Motto. "Mensch - Natur - Technik" ist zum Beipiel auch als Porzellanschale zu haben mit Intarsien aus Aluminium, Ahorn und Kunstharz. Das Porzellan soll dabei die Erde verkörpern und das Aluminum die Technik. Der Mensch dagegen besteht offenbar halb aus Ahorn und halb aus Kunstharz, also halb aus Natur und halb aus Technik, was abermals an das einfältige Analogiedenken erinnert, das auch in der Berliner Ausstellung der Sieben Hügel seine vormodernen Triumphe feiert. Bayern hat es dagegen besser. "Bayern ist mit einem zwei Tonnen schweren Stück von der Zugbrücke vertreten." Bayern, im Gegensatz zum Menschen, hat offenbar mit dem Zwiespalt von gewachsener und geschaffener Natur nichts zu tun, Bayern ist ganz und gar anorganisches Material. Anders hinwiederum Irland. Im irischen Pavillon werden die Steine sprechen. "Höhepunkt der Ausstellung ist die Kilkenny Kalksteinwand. Mit Wind, Regen, Sprache und Klang spricht dieser ,Sensory Wall' die Sinne der Besucher an." Wollte man diese aberwitzigen Allegorien, zu denen die Expo wie in Berlin alles und jedes arrangiert, wirklich ernst nehmen, so müsste man jetzt eine neue Ontologie entwerfen, in der sich, kategorial unterschieden, aber sinnig aufeinander bezogen, Bayern, der Mensch und Irland als drei verschiedene Aggregatzustände der Natur gegenüberstehen. Darin liegt der verborgene Irrsinn dieser Ausstellungsmacherei mit lebenden Bilder (die Prospekte sprechen auch gerne von "begehbaren Filmen"), dass sie Zusammenhänge konstruiert, die es nicht gibt, und deshalb den Besucher auch nicht daran hindern kann, auf eigene Faust weitere Zusamenhänge zu konstruieren, die sich nun aber gegen die Absichten der Ausstellungsmacher wenden. Einmal auf den allegorischen Trip gebracht, lässt sich alles auf verborgene Bedeutungen abklopfen. Was ist zum Bespiel von dem ungarischen Pavillon "in Form einer überdimensionalen Knospe" zu halten? Dass, zur vollen (vielleicht Fleisch fressenden, siehe Speiseröhre) Blüte entfaltet, ein neues Großungarn wieder die Slowakei, das Burgenland und größere Teile Rumäniens schlucken wird? Die Expo, trotz ihrer treuherzigen Zukunftsfreude, lässt einen düsteren Befund nach dem anderen zu. Die Allegorien kehren sich gegen ihre Schöpfer, und am Ende wird wohl schrecklich wahr werden, wovon einer der Prospekte nur orakelt: "Was heute noch geheimnisvoll klingt, wird während der Expo als fertiges Projekt die eine Reaktion auslösen: Staunen." Das Staunen wird vor allem die geistige Finsternis betreffen, in der die Wissensgesellschaft zu sich selbst gefunden hat. http://www.zeit.de/2000/21/200021_sprechmuell_expo.html ________________________________________________________________________________ no copyright 2000 rolux.org - no commercial use without permission. is a moderated mailing list for the advancement of minor criticism. more information: mail to: majordomo@rolux.org, subject line: , message body: info. further questions: mail to: rolux-owner@rolux.org. archive: http://www.rolux.org