________________________________________________________________________________ Jungle World 16/2000 Murphy und Moore tun es Microsoft hat sich zu breit gemacht, aber für den unbeweglich gewordenen Konzern gibt es systemimmanente Lösungen. Von Sascha Kösch Die Informationstechnologie beruht auf zwei Gesetzen, die gelegentlich sogar physikalische, ökonomische und andere Grundlagen zu beherrschen scheinen: Murphy's Law und Moore's Law. Die beiden sind sich - obwohl vollkommen unvereinbar - stellenweise so ähnlich, dass man sie leicht verwechseln kann, jedenfalls beschreiben sie gemeinsam exakt die Dynamik, die im Netz und in den angrenzenden Industriezweigen herrscht. Murphy's Law sagt: Alles, was schief gehen kann, geht schief. Und Moore's Law sagt in etwa: Nächstes Jahr ist die Potenzierung des letzten. Fusionen oder auch ihre Verhinderung, die Monopolbrüche folgen diesen beiden Gesetzen. Meist greifen beide gleichzeitig. Will jemand die zentralen Figuren Deutschlands und der USA beschreiben, dann sind mit großer Wahrscheinlichkeit die ersten Namen, die ihm einfallen, Bill Gates und Helmut Kohl. Beide stellen sich in einem Prozess, der einige Jahre dauert, nicht etwa den Gerichten, sondern den beiden Gesetzen der Informationstechnologie. Kohl wurde zumindest in der Folklore von Jahr zu Jahr doppelt so fett und muss sich nun einer Gesetzgebung beugen, die ihn zu einer Art Taschendieb macht. Gates, für Nicht-Windows-Benutzer seit langem die moderne Verkörperung des Antichristen, verbesserte Jahr für Jahr seine Stellung als reichster Mensch der Welt, und nun ist auch er nur noch ein Verbrecher. Und die Folgen? Ein langer Prozess und eine neue Runde Murphy vs. Moore. Auf dem Szene-Treffpunkt slashdot.org schreibt John Katz, einer der Vordenker der Open-Source-Szene: »So wie sie fiel, war die Entscheidung des Gerichts ein absoluter Anti-Höhepunkt. Es ist schwer, sich auch nur eine einzige große Änderung im Netz vorzustellen, die sie hervorrufen könnte. Bill Gates, soviel war klar, hat den Richter einfach aufgegeben (... ). Vielleicht in der Hoffnung, dass die Republikaner in Kürze das Weiße Haus übernehmen.« Um zu verstehen, was der Break-Up von Microsoft bedeutet, falls er denn einmal stattfindet nach weiteren Jahren freundlicher Wanderungen zwischen den Gesetzen des 19. und den Praktiken des 21. Jahrhunderts, muss man zurück in die Vorgeschichte, in die schrecklichen Tage der Browser-Wars. Damals, vor drei Jahren, war Netscape de facto der Standard-Browser. Das große Wort dieser Zeit war Push. Push sollte heißen, das Internet will nicht mühsam geklickt werden, das Internet kommt zu dir. Wenn du ihn öffnest, ist dein Browser schon voll mit den frischesten Informationen. Wenn du deinen Computer hochstartest, ist das Internet schon längst da. Aus dieser Zeit stammen auch die Ideen vom Internet als einem neuen Fernsehen. Der Browser sollte damals den Content-Lieferanten den direktesten Weg auf den Desktop sichern. In der Hoffnung, dass, wer den Browsermarkt kontrolliert, auch das Netz beherrscht und damit den Desktop der Zukunft, machten sich die Explorer-Entwickler und Sales-Manager von Microsoft daran, diese Vorherrschaft zu brechen und die beiden getrennten Bereiche Desktop und Netz zusammenzuführen. Das Internetprogramm Explorer war als Produkt die Umsetzung dieser Idee. Man wusste nie, was es mit dem Betriebssystem zu tun hat, aber es aus Windows auszutreiben, war richtig anstrengend: Microsoft hatte zu der schlichten Methode gegriffen, Betriebssystem-Funktionen aus Windows aus- und in den Browser einzugliedern. »Verschmelzung« von Desktop und Internet nannte man das. Heute spricht man vorsichtiger von Konvergenz, weil man auch in der Microsoft-Zentrale in Redmond weiß, dass eine »Verschmelzung« nicht aus zwei eins macht. Business-Strategien, zum Beispiel der Verkauf eines Operating System (OS) oder eines Browsers, sind manchmal so hartnäckig, dass sie das übersehen. Was die Entscheidung des Gerichts Microsoft klar macht, ist weniger, dass es eine üble Praxis verfolgt hat, sondern dass das Businessmodell von Gates sich zu lange auf Moore verlassen hat. Inzwischen geht es längst nicht mehr darum, einen stabilen Desktop mit einem alles durchdringenden Netz zu verbinden, sondern alles auf die Basis des Netzes zu stellen. In derselben Woche, in der die Zerschlagung von Microsoft beschlossen wurde, stellte Netscape, das für diese Ideologie steht, seinen ersten »neuen« Browser seit Jahren vor. Gleichzeitig löste Cisco, ein Konzern, der sich auf hochintegrierte Netzwerke spezialisiert hat, Microsoft als reichste Stock-Firma der Erde ab. Bereits vor zwei Jahren reagierten einige der Microsoft-Gegner wie Apple und Netscape mit ersten vorsichtigen, aber entscheidenden Schritten in Richtung Open Source. Was dort, neben den stellenweise schauerlichen Ideologien freier Information zählt, ist das Branding, der »gute« Name. AOL und Microsoft reagierten darauf mit Stockankäufen und Firmenübernahmen. Grafische Benutzeroberflächen und Interface- Designs sind in einer Struktur des allumfassenden Netzes, in dem jeder gleichzeitig Server und Client sein muss, der neue Counterpart von Kernel und OS, die immer mehr in Richtung Open Source tendieren müssen, denn einerseits verlangt Moore's Law nach einer immensen Kompatibilität, andererseits Murphy's Law nach einer möglichst dezentralen Bugfix-Architektur. Microsoft könnte also die Zeit durchaus dazu nutzen, die Firma so umzustrukturieren, dass sie den Erfordernissen der neuen Ökonomie Genüge tut. Man sollte die Entscheidung des Gerichts gegen Microsoft also als eine Art kostenlose Kompatibilitätsprüfung nach den Erfordernissen von Murphy und Moore sehen. http://www.jungle-world.com/_2000/16/07a.htm ________________________________________________________________________________ no copyright 2000 rolux.org - no commercial use without permission. is a moderated mailing list for the advancement of minor criticism. more information: mail to: majordomo@rolux.org, subject line: , message body: info. further questions: mail to: rolux-owner@rolux.org. archive: http://www.rolux.org