________________________________________________________________________________ konkret 3/2000 Wir schaffen es ohne Waffen-SS Hermann L. Gremliza Wäre ein Nazi nur, wer glattrasiert wie ein geschlachtetes Schwein sein »Heil« durch die Straßen grölt, gäbe es keine tausend. Ist ein Nazi, wer »Ausländer raus!« verlangt, Minderheiten aller Art (Schwule, Behinderte) haßt und dem Demoskopen die heimliche Meinung anvertraut, die Juden hätten zuviel Einfluß im Land, geht die Zahl in die Millionen, in Deutschland zweistellig. Haider, der Landeshauptmann des Bundeslandes Kärnten und Patron der neuen Wiener Regierung, beispielsweise hat, bevor er das wurde, SS-Männer als »Kameraden« angesprochen, die ihrer Überzeugung treu geblieben seien, und die Vernichtungslager des nationalsozialistischen Deutschland »Straflager« genannt, in denen die Juden Europas wohl ihre Untaten zu büßen hatten. Beide Bekenntnisse kamen von Herzen, gingen zu den anderen Mördergruben und trugen beträchtlich zur Beliebtheit des Parteiführers bei. Als sein Aufstieg in höhere Ämter an ein Wort des Bedauerns geknüpft wurde, hat Haider lächelnd bedauert. Die Seinen würden schon verstehen. Sie haben verstanden. Allen Medien des Reichs und seiner vormaligen Ostmark gilt Haider seither nicht als Nazi, sondern, so einstimmig, wie von einer Reichspressekammer verfügt, als »Rechtspopulist«. Seine Wähler heißen folglich »Protestwähler« oder sind, wie der ehemalige Bürgermeister von Wien, der Sozialdemokrat Zilk, sagt, »zu einem erheblichen Teil Menschen«, »die einen Wechsel wollen«, und also »keine Nazis«. Die Sprachregelung hat einen guten, bösen Grund: Das Eingeständnis, Haiders österreichische Wähler und deutsche Sympathisanten seien Nazis, brächte die österreichische, erst recht die deutsche Wirtschaft und Politik weltweit in Verruf. Weshalb der Fall aus der Perspektive jener Geschichtsrevisoren betrachtet wird, in der deutsche Massen, als sie in freien Wahlen der NSDAP und ihrer Parole »Juda verrecke!« folgten, nur ihren Unmut betr. Arbeitslosigkeit kundtun wollten. Auf diese Weise findet man zu so erfreulichen Erkenntnissen, wie sie wiederum der Herr Zilk gewonnen hat, dem ein Reporter des »Spiegel« dabei dankbar aufs Maul schaut (statt haut): »Da sagt ein deutscher Fernsehkommentator seinem Publikum, es bleibe den Zuschauern überlassen, ob sie noch einen Skistiefel nach Österreich setzen. Diese totale Verurteilung, Ausgrenzung, Überheblichkeit - das ist faschistoid.« Es gibt also doch noch Nazis, nämlich Antifaschisten. Man nennt solche Lehre den »antitotalitären Konsens«, und endlich scheinen die unzähligen Institute, die, von Gauck bis Reemtsma, zur Verbreitung dieser Wissenschaft eingerichtet worden sind, sich zu amortisieren. Bedauerlicherweise funktioniert das Modell nicht überall, und so hat es, entgegen der Propaganda, die Haiders Kamerad Schüssel entfaltet hat, durchaus keines vaterlandslosen Gesellen bedurft, die übrigen Europäer zum Boykott der schwarzbraunen Wiener Regierung aufzustacheln. Die übrigen dreizehn Staaten der Europäischen Union haben viele neue Erfahrungen mit ihren eigenen Nationalisten, Rassisten, Populisten, aber eben auch eine ältere, mit deutschen Nazis. Wenn Benita (Benita!) Ferrero-Waldner, Haiders Außenministerin, ihnen vorwirft, »das Ausland« mache »den Fehler, Österreich zu wenig zu kennen«, vermeint man von London bis Lissabon Zwischenrufe zu hören wie »Viel zu gut!« und »Selber!« Die Bundesregierung, durch die ausländischen Reaktionen auf Walsers Suada, den Streit um das Mahnmal und die Abspeisung der Zwangsarbeiter gewitzt, war sich der heiklen Lage wohl bewußt. Sie trat dem Boykottaufruf der dreizehn anderen bei, wofür der Kanzler und seine Justizministerin sich fast wortgleich am selben Tag mit der Frage entschuldigten, was wohl passiert wäre, wenn Deutschland nicht mitgemacht hätte. Ja, was? Der Verdacht, den das übrige Europa gegen seine Führungsmacht hegt, hätte sich bestätigt und zu geldwerten Nachteilen geführt. Rücksicht auf den Außenhandel erzwang Rücksicht auf das Ausland. Anders als Bayerns Stoiber, Kämpfer gegen Durchrassung und für völkische Homogenität, der sich eine strategische Option als deutscher Haider vorbehalten will, anders auch als die publizistische Rechte, die »FAZ«, Markwort, Wolffsohn oder Augstein, dem der FPÖ-Führer im Interview mit dem »Spiegel« nachsagt, er habe »in Wirklichkeit die gleichen Ideen wie der Jörg Haider«, scheint die Bundesregierung die Parole zu beherzigen, die Wolfgang Neuss der SPD für ihren Wahlkampf 1965 empfohlen hatte: Wir schaffen es - ohne Waffen-SS. Wir hetzen nicht gegen Ausländer, kämpfen nicht gegen Durchrassung, unser Polizeiminister ist Kavalier - er beseitigt das Asylrecht, macht die Grenzen dicht, schiebt ab und schweigt. Wir distanzieren uns von einem, der SS-Leute seine Kameraden nennt, und sorgen dafür, daß die Herren jeden Monat pünktlich eine Opferrente erhalten, ihre Opfer aber keine oder sowenig wie irgend möglich. Von Haider distanzieren wir uns, mit Maßen. Eine »Kontaktsperre« gegenüber seiner Regierung, sagt der grüne Außenminister, werde es nicht geben. »Wer ihn ausgrenzt, macht ihn nur stärker« - diese »Lehre aus unserer Vergangenheit« bekommen Kritiker, die den Fehler machen, uns zu wenig zu kennen, täglich vorgesetzt. Wann diese Vergangenheit gespielt hat, in der Hitler durch Ausgrenzung erstarkt ist, möchte man aber doch gern einmal erzählt kriegen. Wo immer Faschisten an die Macht kamen, geschah es im Bündnis mit bürgerlichen Parteien. Wo sie boykottiert wurden, scheiterten sie - wie zuletzt Le Pens Front National an Chirac. Die Distanz zwischen uns, den Demokraten, und dem österreichischen Populisten wurde zum Ereignis, als drei Gewissen der Nation: Böhme, Duve und Giordano, antraten, den Haider »vorzuführen« und zu »entzaubern«. Daß die Veranstaltung mit einer Vorführung und Entzauberung der Vorführer und Entzauberer endete, wurde allgemein und überwiegend hämisch mit deren Ungeschick oder Unvermögen erklärt. Zur Häme aber gab es keinen Anlaß, die Blamage war - sieht man von den Streichen ab, die den mehr um ihre Frisur und den Faltenwurf des Seidenschals als um die Zuverlässigkeit ihrer Unterlagen bemühten Herren ihre Eitelkeit spielte - unvermeidlich. In korrekter Vergangenheitsbewältigung nämlich ist Haider, seit er gelernt hat, daß aus ihr nichts folgt, mittlerweile so versiert wie jeder Studentenpfarrer, und als der österreichische Bundespräsident ihn drängte, eine Deklaration zu unterschreiben, die in den Satz mündete: Die Einmaligkeit und Unvergleichbarkeit des Verbrechens des Holocaust sind Mahnung zu ständiger Wachsamkeit gegen alle Formen von Diktatur und Totalitarismus. zögerte er keine Sekunde. Auch mit dem Besuch von Konzentrationslagern, wo in den »dunklen Seiten unserer Vergangenheit Furchtbares geschehen ist«, hat der Kamerad der Kameraden »kein Problem«. Und ins Europaparlament hat er extra einen Juden geschickt. Bei allem übrigen - dem Stolz, Deutscher bzw. Österreicher zu sein, der Verteidigung des Standorts, der Demontage des Asylrechts, dem humanitären Krieg gegen die Tschuschen (österreichisch für Jugoslawen) und andere Menschenrechtsuntermenschen - geht zwischen den freiheitlichen Haider und den freiheitlichen Sozialisten Duve kein Blatt Servus. Schon 1986, anläßlich der Wahl von Kurt Waldheim zum Präsidenten Österreichs, hat Michael Scharang in dieser Zeitschrift beschrieben, wie »hinter dem scheinbaren Widerspruch von Republikanern und Faschisten endlich das Gemeinsame sichtbar wird: eine neue Volksgemeinschaft von Demokraten und Faschisten, heute propagiert, weil morgen als politische Praxis erwünscht. Der demokratische Faschismus - das aktuellste und hoffentlich letzte politische Programm der Bourgeoisie«. Wo das Bekenntnis zur Einmaligkeit und Unvergleichlichkeit des Holocaust den Demokraten macht, fehlt gegen den alerten Nazi jedes Argument. Geht es nur noch ums »Erinnern dessen, was war«, das doch, ohne Bezug zu dem, was ist, Geschmackssache bleibt, verfährt chacun à son goût, und Haider halt à son haut goût. Besteht die einzige praktische Konsequenz aus Auschwitz darin, deutsche und österreichische Kriege zu segnen, hat Haider auch damit gewiß »kein Problem«. Vielleicht wird er, wo die Inbrunst der moralischen Begründung gefragt ist, gern auf die Fachkraft Giordano zurückgreifen. http://www.infolinks.de/konkret/2000/03/gremliza.htm ________________________________________________________________________________ no copyright 2000 rolux.org - no commercial use without permission. is a moderated mailing list for the advancement of minor criticism. more information: mail to: majordomo@rolux.org, subject line: , message body: info. further questions: mail to: rolux-owner@rolux.org. archive: http://www.rolux.org