________________________________________________________________________________ ________________________________________________________________ ARBEIT UND ANALOGIE (2) ________________________________________________________________ "The signifier, by reason of its singular relationship to place, becomes an inscription on the body. Understanding and interpretation are helpless before an unconscious writing that, rather than presenting the subject with something to be deciphered, makes the subject what it is. Mnemonic inscription is, like mechanical inscription, always invisible at the decisive moment." - Friedrich Kittler, Discourse Networks, 196 Der Texturmotor Paul Virilio und Friedrich Kittler im Gespräch ============================================== Ausgestrahlt im Deutsch-Französischen Kulturkanal ARTE In den fünfziger Jahren hat jemand gesagt, daß wir es mit drei Motoren zu tun hätten. Der erste, der Atommotor, laufe bereits. Der zweite sei der Texturmotor; der dritte, der Bevölkerungsmotor, werde im 21. Jahrhundert laufen. Gegenwärtig läuft der Texturmotor. Neue Technologien, insbesondere die Möglichkeiten zur Schaffung realer Welten, verändern Kultur, Politik und Gesellschaft grundlegend. Zu diesem Thema diskutieren heute abend im Gespräch der Stadtplaner und Philosoph Paul Virilio und Friedrich Kittler, Medienspezialist an der Humboldt Universität in Berlin. Paul Virilio: Wir erleben heute nicht nur einen riesigen Werberummel um Autobahnen, Distribution und das, was man Wirtschaft nennt, sondern durch das Shopping und Arbeiten, nicht im Büro sein, sondern Zuhause am Computer, eine Art von Realisierung der Alltagswelt. Im Fernsehen gibt es reale Geschäfte, auf dem Computerbildschirm reale Textshops. Nun, ich spreche von Geschäften, aber man könnte sich ebenso die Frage stellen, entsteht nicht bereits eine Art von realer Stadt, eine Stadt der Städte? Ein wirkliches Zentrum der Welt, das Hyperzentrum der Welt, nicht mehr die Hauptstadt eines Landes, sondern die Kapitale aller Kapitalen der Welt, New York, Singapur, London, die großen Börsenplätze, die großen Städte, alle zusammen. Verbirgt sich nicht hinter dieser zunehmenden Realisierung ein Verlust der zwischenmenschen Beziehungen, ein Verlust des unmittelbaren Texts? Das heißt, des Gedankenaustausches, so wie wir ihn gerade hier vollziehen? Ich glaube, darüber sollten wir nachdenken, nicht nur die Urbanisten, die Wohnungs- und Städtebauer, sondern auch die, die am Ort des Geschehens verantwortlich sind. Ich nenne ein Beispiel: was ist denn ein Supermarkt, ein Einkaufszentrum heute? Nichts anderes als ein Stadtzentrum ohne Stadt, ein Anfangsstadium der Realisierung, noch nicht Shopping, aber bereits auf der grünen Wiese oder am Stadtrand ein Stadtzentrum ohne Stadt. Das ist Realisierung im Frühstadium, das zweite Stadium ist dann tatsächlich Shopping. Gehen Sie nicht mehr aus dem Haus, arbeiten Sie, kaufen Sie, vergnügen Sie sich usw. usf. Was halten Sie von dieser Entwicklung? Mich selbst beunruhigt sie, mich als Urbanisten. Friedrich Kittler: Es sieht alles aus wie der Erfolg einer wunderbaren und sehr versteckten Strategie, die nun endlich aufgeht, nachdem sie 15 Jahre lang vorbereitet worden ist. 1982 sind die ersten personal computers, wie sie so schön heißen, verteilt worden. Einsame, lonely cowboys die einfach auf dem Schreibtisch standen und nichts anderes konnten als Texte schreiben, ich untertreibe jetzt. Und irgendwann sind die Dingen in den letzten 15 Jahren immer besser geworden und jetzt können sie alle anderen Medien fressen, das Telephon, den Telegraph und das Faxgerät und bald auch das Bild und den Ton und die CD. Und man kann sie alle mit wunderschönen Verteilern verdrahten, weltweit. Aus dieser ganz kleinen Investition, die auf jedem dritten Schreibtisch in den zivilisierten Ländern steht, entwickelt sich holterdiepolter eine weltweite Distribution, das wirklich wie eine große Spinne ist und die anderen Medien das Fürchten lehrt. Die einzige Ausnahme, die ich machen würde: noch sind, was die Realisierung angeht, die beiden Bildschirme, in meiner Wohung zumindest, getrennt. Im Wohnzimmer steht der Fernsehapparat und im Arbeitszimmer steht der zweite Monitor, der am Computer hängt. Und ich glaube, erst an dem Tag, an dem der Fernseher endlich weg ist, was ich auch sehr hoffe, und alles über den Computer läuft, kann man von dieser wirklichen Realisierung reden. Im Moment sind wir noch im Zwischenstadium, auf der einen Seite gibt es das Programmedium Fernsehen, das uns besendet, und auf der andere Seite gibt es das Programmiermedium, das alle möglichen Ghettoisierungen möglich macht, und die beiden sind noch in einer sehr gespannten Beziehung zueinander. Was die Menschen zwischen Wohn- und Arbeitszimmer und den beiden Bildschirmen angeht, weiß ich nicht. Ich kann nur sagen, der Computer ist nicht erfunden worden um den Menschen zu helfen. Virilio: Da heißt es, es wird reale Gesellschaften geben, ja sogar eine reale Demokratie. Was ist denn das? Woher stammt diese Idee? Woher kommt der Erfolg einer solchen Idee, die Gemeinschaft ihrer Aktualität zu berauben, zugunsten einer allumfassenden Realisierung, einschließlich der Politik. Wenn man uns erzählt, 'die Demokratie wird real', dann heißt das doch, Wahlen werden durch Meinungsumfragen ersetzt. Wenn man uns sagt, 'die Gesellschaft wird real', dann heißt das doch, keiner muß sich mehr um seinen Nächsten kümmern, weil dessen Anwesenheit in gewisser Weise ja überflüssig wird. Ich frage mich nun, was ist eine reale Gesellschaft? Sie entsteht, aber was ist das Ihrer Meinung nach? Kittler: Entweder sie ist ein dummes Schlagwort, was überhaupt nichts besagt, oder sie ist insofern real, als sie als Gesellschaftsmitglieder oder Staatsmitglieder eben nicht bloß mehr Menschen, natürlichen Personen und Rechtspersonen führt, wie Institutionen, sondern große Distributoren und Strukturen, also eine Welt, in der die Menschen nicht mehr allein kulturelle Wesen sind. Und daran wird man sich die nächsten drei Jahrhunderte gewöhnen müssen, daß es Roboter gibt, daß es Programme gibt, die teilweise besser sind. Wir alle wissen, daß die Tage des Schachweltmeisters gezählt sind, daß irgendwann ein Schachprogramm der Schachweltmeister sein wird. Dieses Programm muß man als Teil der realen Welt anerkennen und die reale Gesellschaft ohne diese reale Welt gibt es nicht. Virilio: Stehen wir nicht schon am Beginn einer dritten Revolution, nach der des Verkehrs und der der Datenübertragung, die wir gerade erleben, nämlich der der Transplantation. Ich meine damit die des transplantierten Menschens, der voll ausgestattet ist, nicht nur mit einem Mobiltelephon und einen notebook computer, sondern zusätzlich mit Technologien, wie einem Herzschrittmacher oder zusätzlicher Gehirnspeicherleistung, Leistungsstimulatoren völlig anderer Art. Ist so etwas vorstellbar und in welchem Umfang? Ich glaube, diese Frage wird nicht gestellt. Kittler: Die Frage wird schon gestellt, aber aus einer etwas anderen Ecke, glaube ich. Die computer community, wie das so schön heißt auf Englisch, als solche hat kein großes Interesse, sich direkt an die Herzen oder die Gehirne oder die Ohren oder die Augen von Menschen anzuschließen, weil das eine anorganische Technologie ist, wohingegen die Gentechnologie, die nach dem Modell der Computertechnologie sich jetzt formt und ausbildet, ein sehr großes Interesse daran haben dürfte, Schnittstellen zwischen den anorganischen Maschinen von heute und dem alten organischen Fleisch des gefallenen und zündigen Menschen zu bilden. Welche der beiden Tendenzen sich durchsetzt ist eine ganz offene Frage. Ich würde so wetten, daß die Computertechnologie in ihrem militärischen Ursprung und strategischen Abzweckungen, die sie noch heute hat, eigentlich die Bevölkerung in Ruhe lassen würde, wenn sie sich allein als Siliciumtechnologie weiterentwickelt. Und daß die Neurotechnologien und Gentechnologien ein Interesse daran haben, die Bevölkerungen zu fressen. Es gibt für mich zwei möglichen Zukunftsszenarien, eines das die Menschen ausspuckt, das wäre die Computertechnologie, und das andere, das die Menschen frißt, das wäre die Gentechnologie. Und ersteres ist mir lieber, weil es dann einfach Götter gibt auf der einen Seite, oder Dämonen, und auf der anderen Seite Menschen, die es immer schon gab. Und daß es Götter und Menschen gibt, das ist nun heutzutage vergessen worden. Virilio: Ich glaube das wir eine Grenze erreicht haben und der Weltraum in der Tat das Ende des Raums ist, um nicht zu sagen das Ende alles Raums, das Wort 'Apokalypse' will ich nicht benutzen. Wir haben in jeder Hinsicht die Grenzgeschwindigkeit der elektromagnetischen Wellen erreicht. Damit haben wir nicht nur die befreiende Geschwindigkeit erreicht, die uns erlaubt, einen Satelliten oder Menschen in eine Umlaufbahn zu schießen, sondern auch die Mauer der Beschleunigung. Das heißt die Weltgeschichte, die sich ja ständig beschleunigt hat, von der Ära der Kavallerie über die Ära der Eisenbahn, des Telefons, die Ära Marconis, bis zur Ära des Radios und des Fernsehens, stößt jetzt an die Mauer, an die Grenze der Beschleunigung. Die von Ihnen gestellte Frage ist in der Tat, was geschieht in einer Gesellschaft, die an die Grenze der Beschleunigung stößt, während doch alle Gesellschaften der Vergangenheit im Bezug auf den Fortschritt, von der Art und Weise ihrer Beschleunigung bestimmt waren? Beschleunigung nicht nur bezogen auf Speicher- und Rechnerleistungen, sondern auf das Handeln. Wir wissen doch, daß man heute eigentlich nicht mehr nur von 'Vision' sprechen kann, sondern von 'Aktion' sprechen muß. Evident bedeutet hier sein, aber gleichzeitig anderswo handeln. Ich meinerseits habe Zweifel, ob diese Frage heute so gestellt wird. Sind wir uns dessen bewußt, daß damit ein globaler, historischer Unfall ausgelöst worden ist. Jedesmal wenn eine neue Geschwindigkeit entdeckt wurde, entstand auch ein neuer spezifischer, lokaler Unfalltypus. Ich sage immer, man hat die Eisenbahn erfunden und damit auch das Entgleisen. Schiffe, die Titanic, sinken an einen bestimmten Ort, an einen bestimmten Tag. Wir aber schafften mit diesem Einheitsraum, diesem Echtraum, Weltraum, den Unfall der Unfälle, um mit Epikur zu sprechen. Das heißt, der historische Raum selbst erleidet den Unfall durch das Erreichen dieser Grenze der Lichtgeschwindigkeit, könnte man sagen. Mein Eindruck ist, daß das, was man uns als Fortschritt der Kommunikation präsentiert, in Wirklichkeit nicht nur ein Rückschritt, sondern ein unglaublicher Archaismus ist. Die Welt auf einen einzige Raum zu reduzieren, auf einen Zustand, in dem sie keine Beschleunigungssysteme mehr entwickeln kann, ist ein Unfall ohnegleichen, ein historischer Unfall wie es ihn nie gegeben hat. Wie es Einstein höchst treffend nannte, 'ein zweiter Motor'. Der erste Motor war der Atommotor, der zweite ist der Textmotor, nähmlich der Motor, welcher uns den absoluten Raum, den Grenzraum, um nicht zu sagen den Nullraum, d.h. den Echtraum bringt. Ich glaube, das was Sie über die Rechenleistung sagen gilt auch für die Fähigkeit, die Welt zu sehen, die Fähigkeit sie zu gestalten, sie zu lenken, aber auch sie zu bewohnen. Kittler: Wahrscheinlich gehen dann auch die beiden von Einstein bezeichneten Gefahren historisch und systematisch zusammen. Es ist eine der grassierenden Ideologien von heute, zu behaupten, die Kommunikation würde durch die neuesten Hochtechnologien befördert. Wir wollten immer schon miteinander reden und nun kommt es besonders schnell, effizient und global über die Verteiler. In Wahrheit sind der Atommotor und die Computer beide Produkte des zweiten Weltkrieges. Kein Mensch hat sie bestellt, sondern die militärische und strategische Situation des zweiten Weltkrieges hat sie notwendig gemacht. Also, es waren von vornherein keine Kommunikationsmittel, sondern es waren Mitteln des totalen Krieges und des strategisch geplanten Krieges. Was jetzt als spin-off in die Bevölkerung hineingestreut wird, wobei ich nicht sagen würde, es wurde weltweit gestreut, sondern die Dominanzen der Distributoren sind natürlich klar Amerika, Kalifornien und Europa und Japan. Was ich nicht glaube, ist daß es schon die letzte Grenze erreicht hat, die Beschleunigung. Daß die Katastrophe sozusagen in der Unüberbietbarkeit der aktuell herrschenden Übertragungs- und Berechnungsgeschwindigkeiten steckt, sondern es ist immer noch strategischer und ökonomischer Gewinn daraus zu ziehen, daß man ein System hat, das schneller ist als das andere System. Es ist immer noch möglich zu unterscheiden zwischen geheimen Maschinen und öffentlich verkauften Maschinen, die sich durch ihre Geschwindigkeit unterscheiden, durch ihre Leistungsfähigkeit. Und es ist immer noch nicht ausgemacht, wie die Sachen weitergehen, weil die Lichtgeschwindigkeit zwar eine absolute Grenze, im Vakuum wohlgemerkt, ist, aber in den real existierenden Technologien läuft die Elektrizität substantiell langsamer als im Vakuum und es werden noch furchtbare Kämpfe laufen in Richting Beschleunigung, optischer Schaltkreis anstelle von Silicium, das werden Faktoren von einigen Millionen Beschleunigung sein, sodaß ich also Schwierigkeiten habe, die Apokalypse bereits eingetreten zu sehen. Nur der Raum der Menschen ist, glaube ich, ein für allemal unterlaufen. Die Frage, die für mich brennend ist, ist wie Kultur und Politik darauf reagieren, auf die langsame Depositierung ihrer eigene Mächte. Sie haben sich so auf die Alltagssprache und deren Langsamkeit, so auf die Nerven und deren Langsamkeit verlassen, und sind jetzt selber nicht mehr führbar ohne Maschinerien, die Entscheidungen vorbereiten und am Ende sogar noch treffen. Also wie man als Philosoph und als Politiker reagiert. Virilio: Sie haben völlig zurecht vorhin den zweiten Weltkrieg erwähnt, aus dem diese Technologien hervorgegangen sind. In der Tat muß man sagen, daß mit der Innovation Atommotor etwas ganz anderes erfunden wurde, das im übrigen heute eine Krise erlebt, ich meine die nukleare Abschreckung. Muß man nun nicht in Zusammenhang mit diesem zweitem Motor, dem Texturmotor, Wege der Evidenz, und ich gebe zu bedenken, daß die Evidenz in gewisser Weise eine Form von Radioaktivität ist. Das ist nicht nur eine Metapher, sondern ein konkretes Bild. Muß man also nicht bereits für das nächste Jahrhundert mit einer anderen Form der Abschreckung rechnen? Ich meine nicht die militärische Abschreckung, zur Verhinderung des Einsatzes des Atommotors, sondern eine gesellschaftliche Abschreckung zur Verhinderung der Schäden durch den Fortschritt der Evidenz. Denn eine globale Gesellschaft, die im Echtraum lebt, vom unmittelbaren Datenaustausch, ist undenkbar. Oder halten Sie sie für denkbar? Wenn ich Freunde höre, deren Namen ich hier nicht nennen möchte, die von einem riesigen Weltgehirn sprechen, in dem jeder einzelne Mensch nur noch ein Neuron ist, das auf anderen Neuronen reagiert. Der Mensch also nicht mehr ein irdisches, sondern ein neuronales Wesen ist, muß ich genau daran denken. Sind wir nicht schon dabei, was unsere Arbeitswelt angeht, unseren Wohnungsbau, eine gesellschaftliche Abschreckung zu erfinden und vorzubereiten. Das heißt eine Abschreckung, um die negativen Folgen dieser Augenblicklichkeit des Handelns und des Texts für die Ärmsten und Schwächsten zu verhindern? Ist Ihrer Meinung nach eine Abschreckung der augenblicklichen und globalen Textur vorstellbar? Es geht für mich dabei um das Risiko einer Tschernobylkatastrophe mit schädlichen Folgen für die Lebensweisen der Menschen, für das Sozialverhalten. Gibt es nicht schon heute Hinweise auf eine solche soziale Desintegration, ein Auseinderfallen der Gesellschaft, von Paaren usw. Ist nicht die strukturbedingte Massenarbeitslosigkeit bereits ein Effekt, ein Niederschlag, fall-out dieses Texturmotors? [...] Immer wenn Technologien schneller gemacht wurden, gab es Akkumulation und Konzentration. Heute erleben wir einen Gigantismus der Konglomerate, der Monopole, im übrigen noch begünstigt durch den Wegfall der Anti-Monopolgesetze, der diese zentrale Steuerung überhaupt möglich macht. Zur gleichen Zeit da man uns erzählt, Dsitribution bringt uns die Freiheit an Ort und Stelle, erleben wir, wie sich ganz zufällig Trusts bilden, die Weltkonzerne, keinen bloßen multinationalen Unternehmen mehr sind. Ich frage mich nun, ob durch diese Illusion der Freiheit durch Text nicht eine Einheitlichkeit der Welt larviert wird, die zulasten ihrer Vielfalt, ihres gedanklichen Erbes, ihrer Kultur ganz einfach, geht. Wir wissen wie das Medium, ganz gleich in welchen Fall, die Verlagerung vom Geschriebenen zum Bildschirm, verarmt. Wir wissen um die Verarmung durch den Computer. Ob wir es wollen oder nicht, der Computer synthetisiert Text. Jeder der einen Synthesizer in der Musik verwendet, weiß genau, daß eine echte Geige anders klingt als ein Synthesizer. Und der Computer ist nichts anderes als ein Textsynthesizer. Der Textgehalt wird semantisch reduziert. Die Synthetisierung des Texts, die Verarmung der Inhalte, wird aber nicht beachtet. Wie immer wird alles Negative verschwiegen, interessanterweise immer larviert. Wie kann man vorgeben, Technologien zu entwickeln, ohne sich auch gleichzeitig Wissen über damit verbundenen spezifische Unfallrisiken zu erwerben? Kittler: Man muss es wahrscheinlich so machen wie Bill Gates und die Sachen so verkaufen als seien sie nicht die Sachen wie sie sind. Man verkauft Computer und sagt, das sind Schreibtische, desktops, oder man sagt, es sind Fernsehgeräte, oder die Fernsehgeräte der Zukunft. Auf diese Weise kann man die Maschinerien, mit ihren systemspezifischen Schwächen vernebeln und gut verkaufen. Virilio: Die neuesten Technologien lassen den Raum in seiner Ausdehnung und Dauer verschwinden. Sie reduzieren die Welt auf ein Nichts, wie man sagt. Das ist ein tiefgreifender Verlust, auch wenn man es nicht zugibt, und niemals zugeben wird. Es gibt eine Verschmutzung auch der Distanzen und der Zeiträume, die mich im Hier und Jetzt leben lassen, an einem Ort und in der Beziehung zu anderen Menschen, die durch Begegnungen entsteht, nicht durch eine Präsenz, eine Konferenz oder Shopping. Was denken Sie über diesen Verlust? Setzen wir uns nicht damit selbst und der Welt ein Ende? Wenn es einige akzeptieren können, die Ausdehnung im Raum zu verlieren, wie wir die Zeitdauer, die lange Dauer, verloren haben. Kittler: Ich sehe bis jetzt einen radikalen Verlust an Raum, weil sich das alles ja im Miniaturraum der Schaltkreise abspielt. Und der ganze Witz daran ist, ich habe immer noch Schwierigkeiten zu sehen, daß die Zeit wirklich geschluckt ist. Mit dem Verlust der Nähe könnte ich leben, langsam. Wieder ein Beispiel aus dem Leben. Sobald man sich in UNIX begibt, dann ist man von Anfang an ein Mensch unter ungefähr 300 Programmen, von denen man bestenfalls 10 kennt. So im Lauf der ersten Monaten lernt man dann 20 Programme kennen, dann 40, dann 100. Dann ist man sehr überrascht daß man gar nicht mehr alleine ist, sondern mit 100 Programmen lebt, von denen man 20 braucht, und langsam stellt man fest, daß man 2, 3 Programme nie kennengelernt hat, weil die im Hintergrund laufen. Der Name dieser Programme ist übrigens 'Dämonen'. Die haben eine ganz merkwürdige Nähe. Man sieht sie nie, sie tun aber immer etwas für einen, wie die Engel in Angelo Logi des Mittelalters und ich habe fast den Eindruck, als sollte man die alten Soziologenträumen langsam fallenlassen, in denen gesagt wird, die Gesellschaft ist eo ipso natürlicherweise nur aus Menschen zusammengesetzt. Die Gesellschaft und die Nähen und Fernen von Heute und Morgen und Übermorgen werden Menschen und Programme in irgendeiner seltsamen Mixtur einbeziehen. Das gibt, denke ich schon, Möglichkeiten der Nähe, weil die Programme ja manchmal nicht dumm sind, deshalb sind sie ja geschrieben, manchmal intelligenter als der Nachbar um die Ecke. Virilio: Aber das ist doch ein Verlust. Jeder Neuerwerb geht mit einem Verlust einher. Jeder technische Fortschritt führt auch zu einen Verlust. Wir wissen doch sehr gut, daß heute der Verlust sozialer Bindungen mit diesem Untergang, mit dieser Mißachtung des Nächsten verbunden ist. Der Nächste, also jemand der materiell existiert, der schlecht riecht, der langweilt, der stört, den kann man nicht wegzappen usw. Man hat sogar Deodorants erfunden, damit man ihn nicht riechen muß. Das ist im übrigen ein Grund für die Krise der Städte heute, der bevölkerten Oerte. Ob Seefahrer, Menschen der Wellenmechanik oder Menschen der Erde, es gibt einen Ort, an dem bevölkert wird, an dem man lebt. Heute aber ist es nicht der Nächste sondern der Entfernte, der bevorzugt wird, derjenige der in diesem seltsamen Fenster, auf diesen seltsamen Bildschirmen erscheint. Das reicht sogar bis in die Ehe hinein. Das sieht man doch an den sogenannten getrennt lebenden Paaren, Männer und Frauen, die in getrennten Wohnungen leben, als seien sie bereits geschieden. Und die Kinder lernen dabei ganz nebenbei, ständig zwischen Vater und Mutter hin und her zu pendeln. Und das ist nur der Anfang, denn der Sex beweist uns schon, daß man demnächst auf Distanz miteinander verkehren kann, d.h. wirklich seinen Entfernten lieben wie sich selbst, weil die echte Frau, die man hat, langweilig ist und weil Präservative nicht sehr zuverlässig sind. Da haben wir doch ein Universalpräservativ. Wir haben eine Technologie erfunden mit der man sich über tausende von Kilometern hinweg lieben kann, ohne sich zu berühren. Ist das nicht eine Metapher des Zerfalls? Ich meine nicht nur der Trennung von Paaren, sondern der Trennung sozialer Bindungen, ja sogar nicht nur der Trennung zwischen zwei Menschen, sondern des Kopulationsaktes selbst. Ist das nicht bereits ein Effekt des Texturmotors? Ich habe wirklich den Eindruck, daß das 19. Jahrhundert, die Kernphysik, der Zerfall der Materie, ebenso wie die Kunst, der Pointillismus, der Divisionismus und natürlich auch die Fraktalgeometrie, auch gesellschaftliche Auswirkungen haben. Das heißt, dieser Zerfall betrifft auch die Sozialstruktur, den Einzelnen selbst, bzw. die Zweierbeziehung des Paares, das ja die eigentliche Grundlage der Schöpfung der Menschheitsgeschichte ist, denn die Demographie ist ja ein die Geschichte gestaltendes Element. Das ist doch von gewisser Bedeutung, oder nicht? Denn ich habe nichts gegen Programme, aber ich wünschte mir, sie würden auch von den Männern und Frauen sprechen. Was meinen Sie dazu? Kittler: Die Fraktalgeometrie ist erfunden worden, um die euklidische Geometrie etwas komplizierter zu machen. Plötzlich eine Welt, die nicht mehr bloß mehr aus Rechtecken und Kreisen und geraden Linien besteht, sondern eine Welt, die aus Wolken besteht und all den schönen Dingen, denen vermutlich auch das menschliche Fleisch relativ nahe steht. Euklid würde etwa entsprechen den Verfahren, wie im 18. Jahrhundert junge Rekruten gedrillt worden sind. Das hat Foucault, und Sie selbst, sehr schön gezeigt, die gerade Haltung des Rekruten, der selber eine Linie bilden soll in seinem Regiment, in seiner Kampflinie. Heute entsteht eine neue, Chaosmathematik und das könnte ein Modell sein, das nicht unbedingt alle Paare auseinanderreißt, sondern die Komplexität von Individuen besser beschreibt. Und die Theorie der Rückkopplung könnte ja, wenn's gut ginge, auch die Beziehung zwischen Paaren besser beschreiben. Grob gesprochen, die Freudsche Theorie des Verhältnisses von Frauen und Männern scheint mir dümmer zu sein als die Theorie, die Bateson auf der Basis von Rückkopplungsschleifen gemacht hat. Zu zeigen, daß wenn ich zu dir das sage, und du wieder das sagt, und ich daraufhin das sage, weil du mir das gesagt hast und ich das im guten und bösen Sinne hochschaukeln kann, scheint eine viel vernünftigere Beschreibung von Sozialbeziehungen zu sein, als die Beschreibung mit internen Imagines, die einen ewigen, lebenslangen Krieg gegeneinder führen. So eine Rückkopplungsbeschreibung von Beziehungen ist selbstverständlich basiert auf Nachrichtentechnik und ist nicht aus der Psychologie abzulesen gewesen, als sie auftauchte. Die Modelle, die heute verfügbar sind, um Komplexität zu beschreiben, sind besser als vorher. Warum die Leute dann trotzdem ins Unglück laufen in ihrer Einsamkeit, vielleicht auch ich selbst, ich sitze oft lieber am Computer, als daß ich andere Sachen mache oder mich unterhalte, das muß irgendwie die Faszination von Macht sein, so wie früher Leute ihre Liebe von ihrer Frau abgewendet haben und auf ein Bild von Jesus oder Maria gelenkt haben, so geht das heute in die Technologien hinein. Virilio: Ich glaube tatsächlich, daß heute eine neue Kaste von Technologiemönchen heranwächst, und daß es in der Tat heute Klöster gibt, die dabei sind, einer 'Zivilisation' den Weg zu bereiten, die gar nichts zu tun hat mit der Zivilisation unserer Erinnerung. Die Arbeit wird heute nicht wie im Mittelalter gemacht, sondern durch die Aufarbeitung des Wissens wie zu früheren Zeiten, der Antike. Der Beitrag der Mönche zur Wiederentdeckung der Antike ist ja bekannt. Es sind Technologiemönche an der Arbeit und nicht etwa Mystiker, die alles daransetzen, eine neue Gesellschaft ohne Bezugspunkte zu schaffen. Wir haben es zu tun mit einem technischen Fundamentalismus, nicht nur mit einem mystischen Fundamentalismus, im Sinne von Monotheismus, sondern im Sinne eines Texturmonotheismus. Nicht mehr mit dem Monotheismus der Schrift, des Korans, der Bibel, des neuen Testaments, sondern des Texts im weitesten Sinne. Und damit verbunden ist meiner Meinung nach die große Gefahr, eine Entgleisung, des Abgleitens ins Utopische, in eine Zukunkft ohne den Menschen. Und das macht mir Sorgen. Ich glaube, aus diesem Fundamentalismus entsteht Gewalt, Hypergewalt. Kittler: Ich sehe es genauso. Er ist aber wahnsinnig spannend, dieser neue Integralismus. Natürlich vergessen die Leute, die das alles programmieren, die Geschichte Europas, die das möglich gemacht hat. Wenn man diese Geschichte wieder bedenkt, kann man sehr klar sehen, wie das präzise vor allem aus der Gutenbergischen Erfindung des Buchdrucks und der modernen Algebra herausgekommen ist. Beide sind ungefähr gleichzeitig um 1450-1500 entstanden. Der Buchdruck konnte alles kopieren und abschreiben und die Algebra konnte alles berechnen, aber die beiden liefen nicht zusammen. Wenn man schrieb, mußte man immer noch Polizei oder Liebe einsetzen, damit die Leser taten was man beschrieben hat. Wenn man programmiert, dann tritt ein richtiger Integralismus auf. Man schreibt nicht nur, sondern das, was man schreibt, wird getan vom Programm. Wenn die Digitalrechner keine internen Grenzen hätten, dann würden sie wirklich die Weltgeschichte zu Ende bringen, in all den Punkten, die Sie gesagt haben: der Raum ist nicht mehr der Raum des Menschens, sondern ist ein Gang in diesen kleinen Wunderdingen. Aber wenn diese Wunderdinge selber Schranken haben, dann kann man sich problemlos ein 22. oder 23. Jahrhundert vorstellen, in dem das Prinzip der Digitalmaschinen nicht gerade über Bord geworfen wird, aber ergänzt wird durch irgendein neues, zu erfindendes Prinzip. Virilio: Wäre es aber nicht an der Zeit, daß diejenigen, die Maschinen bauen und ihre Vorzüge loben, nicht die, die sie verkaufen, meine ich, sich zusammentun um diese Grenze auszutesten, diese Schadwirkung, dieses spezifisch Negative der Textur. 1888 trafen sich die Erfinder der Eisenbahn, die Erbauer der Schienennetze Europas, in Brüssel. Warum? Weil die Entwicklung der Dampfmaschinen voranging, die Lokomotiven immer leistungsstärker wurden, die Tiefbauingenieure immer phantastischeren Tunnelbauwerke konstruieren und schwingungsfeste Stahlbauwerke baun konnten usw. usf. Aber es gab ein Problem. Die Verkehrsführung hielt nicht schritt mit der Leistungsentwicklung der Maschinen. Darum trafen sie sich alle in Brüssel und erfanden das, was man heute die Verkehrsleittechnik nennt. Man entwickelte das sogenannte Blocksystem. Das Wort gefällt mir übrigens. Wenn der TGV heute gut funktioniert, dann deshalb, weil es das Blocksystem gibt und die Signalerfassung im Führerstand des Zuges. Das bedeutet, es gibt praktisch kaum noch Unfälle. Man ist vom Negativen ausgegangen um das zu regeln, was nicht funktionierte, nähmlich den Verkehr. Man hat Gleiskontakte erfunden, Fahrsignale, das bereits war eine Form der Daten- und Signalverarbeitung die hoch entwickelt war. Warum gibt es also heute angesichtlich der schädlichen Folgen der Arbeitslosigkeit, der Fehlentwicklungen im Städtebau, warum gibt es kein Colloquium über diese Kehrseite des informationstechnischen Fortschritts? Warum beschäftigen wir uns nicht, ähnlich wie die Ingenieure des 19. Jahrhundert das spezifischen Unfallsrisikos der Eisenbahn, nähmlich der Entgleisung, annahmen, heute mit dem spezifischen, zugegeben, immateriellen Gefahrenpotential der Verteiler, der Entstehung einer Sozialkybernetik. Wenn ich mich recht entsinne fürchteten bereits Alan Turing und Norbert Wiener die Anwendung der Sozialkybernetik auf die Gesellschaft. Und uns erzählt man heute, das sei der Fortschritt. Distribution, die kybernetische Regelung des Soziallebens sei der Gipfel der Demokratie. Mir scheint, es wäre an der Zeit, daß diejenigen, die an den Programmen arbeiten, sich auch mit einem Gegenprogramm beschäftigen, um die Grenzen dieses Prozesses auszuloten. Aber warum verwenden sie ihre Intelligenz nicht darauf, die Technik in Auseinandersetzung mit ihren negativen Seiten weiterzuentwickeln? Warum verschleiern sie immerzu die Erbsünden dieser Technik, während man doch den Schiffbau vorangebracht hat, indem man die Schiffe wasserdicht machte, die Flugzeugtechnik, indem man die Motoren besser steuerbar machte, und natürlich durch die Flugüberwachung und die Fluglotsen. Warum gibt es sowas nicht? Kittler: Ich habe eine einzige Antwort, die aber völlig idiosynkratisch ist. Ich kenne keine einzige größere Firma, die in den Händen von Leuten wäre, die die Sachen selber programmieren. Sondern die Leute, die programmieren, die also wissen wo die Negativität der Systeme sitzt, werden grundsätzlich als Programmiersklaven gehalten, das ist ein Ausdruck in der Branche, tut mir leid. Und die Leute, die Propaganda machen, denen das gehört, wie Bill Gates, haben vielleicht vor 20 Jahren fünf Zeilen geschrieben und das dann gelassen. Dieser Schnitt verhindert eigentlich Diskussionen, diese Negativität, und die Leute, die Sie vorhin zitierten, sind eigentlich freie Wissenschaftler, die sich als Physiker Gedanken machen, die aber nicht in der Industrie tätig sind. Vielleicht wenn Europa so seßhaft ist, könnte wenigsten das seine Aufgabe sein, daß wir hier eine Diskussion mit den Leuten, die die Systeme bauen, planen und entwerfen, veranstalten. Virilio: Warum nicht in Brüssel? Weil eben doch auch die Blocksystemkonferenz in Brüssel stattfand. Ich glaube, Sie haben eben das entscheidende Wort genannt, 'Unternehmen'. Textur kann kein Unternehmen sein, sie ist die eigentliche Materie der Welt. Was wir gerade tun hat nichts mit unternehmen zu tun, das ist ein Dialog, ein Gespräch. Wie kann man aber die Frage des Texts auf Unternehmen beschränken? Mehr noch, auf Unternehmen, die sich auf ein absolutes Monopol hinentwickeln? Wir stehen vor einem Phänomen der Tyrannei, einer Tyrannei des Raums, des Texts, der ja ein Alltagsprodukt wie der elektrischen Strom sein sollte. Wenn aber etwas kein Alltagsprodukt ist, dann doch der Text. Wir stehen vor einem Phänomen der Materie, ihrer Maße und Energie, die ihrem Wesen nach die Geschichte und das Sein konstituiert. Sprache und Sein ist dasselbe. Sein ist sprechen. Das lateinische Wort für Kind, 'Infant', bedeutet doch, 'der nicht spricht'. Man hat also aus dem Text ein Fertigprodukt gemacht, ein Weltunternehmen. Kittler: Das ist die Katastrophe. Das Zusammenschmeißen eines alten, aus der Göthezeit stammenden Copyright und Eigentumsrechts an geistigen Produkten mit den neuen Entdeckungen der digitalen Maschinen. Die Definition war die einer Maschine, die alle anderen Maschinen imitieren kann. Diese Definition schafft eigentlich jedes Urheberrecht und jedes geistige Eigentum ab, weil es genau diese Maschine ist, die jede andere Maschine, auch uns, in dieser Hinsicht, sofern wir denken, imitieren kann. Das war, glaube ich, das große englische Gift, das kurz vor dem zweiten Weltkrieg erfunden ist und dieses Gift ist nach Amerika importiert worden, und das Problem für Amerika war, daraus ein profitables Geschäft zu machen. Und das scheint in den letzten 50, 60 Jahren wunderbar geklappt zu haben. Die skandalösesten Meldungen, die mich erreichen, beziehen sich darauf, daß es jetzt möglich ist in den USA, mathematische Gleichungen zu patentieren. Wenn das geschafft wird und wenn amerikanische Konzerne das europäische Urheberrecht an Software in diesem amerikanischen Sinne modifizieren, dann ist genau das Gegenteil erreicht von dem, was damals die Leute wollten, die die Turingmaschine geschaffen haben. Das ist eine reale Drohung, weil der Text nicht privat sein kann und nicht in Eigentum sein kann. Ich glaube nur nicht, daß diese Strategie auf die Dauer wird aufgehen können, weil die Maschinen wirklich proliferieren, wie Atommotoren und alle anderen, weil es nicht kontrollierbar ist und weil im Prinzip darin die allgemeine Imitierbarkeit steckt, dürfte die Software nicht patentierbar sein, auf die Dauer also nicht schützbar. Und was die Hardware angeht, also die Maschinerie selbst, es ist ja so, daß die Herstellungskosten ständig fallen, mit dem Resultat, daß in 10 Jahren die heute noch unerschwinglichsten Maschinen für einen Pfennig oder einen Franc zu haben sein werden. Das ist die andere Dimension, die wirklich dafür sorgt, daß, ich sage nicht Demokratie, aber zumindest Nicht-Eigentum vielleicht die Hoffnung sein könnte. Virilio: Wir sollten vor den archaischen Instinkten derer warnen, die heute vorgeben, eine globale Textwelt zu entwickeln, ohne zu analysieren, inwieweit die inhaltliche Reduzierung eine destruktive Wirkung hat. Nicht nur auf Kleinunternehmen, auf tausende und millionen Arbeitslose, sondern auf das, was die Geschichte des Sozialwesens ausmacht, nämlich sein gedankliches Erbe und seine über Jahrtausende geformte Struktur. Darin liegt ein regulatives Element. Entweder dieses Gedächtnis ist nicht lediglich das tote Gedächtnis der Massenspeicher eines Computers, sondern das lebendige Gedächtnis der Arbeitsspeicher der Menschen, oder es gibt gar kein Gedächtnis mehr, nur noch Gewalt. Und dann läuft wirklich der Texturmotor und es entsteht die Notwendigkeit, und das wäre ein wahres Drama, einer sozialen Abschreckung. Und im Vergleich dazu wären die vierzig Jahre der nuklearen Abschreckung, glaube ich, so gut wie gar nichts. Etwas sehr viel gefährlicheres als das, was wir vor 40 oder 50 Jahren erlebt haben, etwas das in seinem Totalitarismus sehr viel gefährlicher wäre als z.B. der Nationalsozialismus oder der Stalinismus. ________________________________________________________________ «Arbeit und Analogie» wird demnächst in der 1001-1 class library erscheinen. ________________________________________________________________ ________________________________________________________________________________ no copyright 1999 rolux.org - no commercial use without permission. is a moderated mailing list for the advancement of minor criticism. more information: mail to: majordomo@rolux.org, subject line: , message body: info. further questions: mail to: rolux-owner@rolux.org. archive: http://www.rolux.org