________________________________________________________________________________ Jungle World Nr.33 - 11. August 1999 Schon die Herkunft der "Arbeit" läßt Böses ahnen. Das deutsche Wort leitet sich von dem germanischen Verb für "verwaist sein, ein zu schwerer körperlicher Tätigkeit verdingtes Kind sein" her, die romanische Entsprechung kommt vom lateinischen "triumphalium" - die altertümliche Bezeichnung für das Joch der Sklaven. "Arbeit" war noch nie ein Synonym für selbstbestimtes menschliche Tätigkeit, wie die Arbeitsfetischisten aller Couleur propagieren, sondern verweist auf ein unglückliches soziales Schicksal. Das "Manifest gegen die Arbeit" wurde von der Nürnberger Gruppe Krisis verfaßt und wird in der nächsten Ausgabe fortgesetzt. Der erste Teil findet sich in Jungle World, Nr. 32/99. Manifest gegen die Arbeit (II) Von der Gruppe 'Krisis' 8. Arbeit ist die Tätigkeit der Unmündigen Nicht nur faktisch, sondern auch begrifflich läßt sich die Identität von Arbeit und Unmündigkeit nachweisen. Noch vor wenigen Jahrhunderten war der Zusammenhang zwischen Arbeit und sozialem Zwang den Menschen durchaus bewußt. In den meisten europäischen Sprachen bezieht sich der Begriff "Arbeit" ursprünglich nur auf die Tätigkeit des unmündigen Menschen, des Abhängigen, des Knechts oder des Sklaven. Im germanischen Sprachraum bezeichnet das Wort die Schufterei eines verwaisten und daher in Leibeigenschaft geratenen Kindes. "Laborare" bedeutete im Lateinischen so viel wie "Schwanken unter einer schweren Last" und meint allgemein gefaßt das Leiden und die Schinderei des Sklaven. Die romanischen Wörter "travail", "trabajo" etc. leiten sich von dem lateinischen "tripalium" ab, einer Art Joch, das zur Folter und Bestrafung von Sklaven und anderen Unfreien eingesetzt wurde. In der deutschen Redeweise vom "Joch der Arbeit" klingt noch eine Ahnung davon nach. "Arbeit" ist also auch dem Wortstamm nach kein Synonym für selbstbestimmte menschliche Tätigkeit, sondern verweist auf ein unglückliches soziales Schicksal. Es ist die Tätigkeit derjenigen, die ihre Freiheit verloren haben. Die Ausdehnung der Arbeit auf alle Gesellschaftsmitglieder ist daher nichts als die Verallgemeinerung von knechtischer Abhängigkeit und die moderne Anbetung der Arbeit bloß die quasi-religiöse Überhöhung dieses Zustandes. Dieser Zusammenhang konnte erfolgreich verdrängt und die soziale Zumutung verinnerlicht werden, weil die Verallgemeinerung der Arbeit mit ihrer "Versachlichung" durch das moderne warenproduzierende System einherging: Die meisten Menschen stehen nicht mehr unter der Knute eines persönlichen Herrn. Die soziale Abhängigkeit ist zu einem abstrakten Systemzusammenhang geworden - und gerade dadurch total. Sie ist überall spürbar und gerade deshalb kaum zu fassen. Wo jeder zum Knecht geworden ist, ist jeder auch gleichzeitig Herr - als sein eigener Sklavenhändler und Aufseher. Und alle gehorchen dem unsichtbaren Systemgötzen, dem "Großen Bruder" der Kapitalverwertung, der sie unter das "tripalium" geschickt hat. 9. Die blutige Durchsetzungsgeschichte der Arbeit Die Geschichte der Moderne ist die Durchsetzungsgeschichte der Arbeit, die auf dem ganzen Planeten eine breite Spur der Verwüstung und des Grauens gezogen hat. Denn nicht immer war die Zumutung, den größten Teil der Lebensenergie für einen fremdbestimmten Selbstzweck zu vergeuden, derart verinnerlicht wie heute. Es bedurfte mehrerer Jahrhunderte der offenen Gewalt im großen Maßstab, um die Menschen in den bedingungslosen Dienst des Arbeitsgötzen buchstäblich hineinzufoltern. Am Anfang stand nicht die angeblich "wohlfahrtssteigernde" Ausdehnung der Marktbeziehungen, sondern der unersättliche Geldhunger der absolutistischen Staatsapparate, um die frühmodernen Militärmaschinen zu finanzieren. Nur durch das Interesse dieser Apparate, die erstmals in der Geschichte die ganze Gesellschaft in einen bürokratischen Würgegriff nahmen, beschleunigte sich die Entwicklung des städtischen Kaufmanns- und Finanzkapitals über die traditionellen Handelsbeziehungen hinaus. Erst auf diese Weise wurde das Geld zu einem zentralen gesellschaftlichen Motiv und das Abstraktum Arbeit zu einer zentralen gesellschaftlichen Anforderung ohne Rücksicht auf die Bedürfnisse. Nicht freiwillig gingen die meisten Menschen zur Produktion für anonyme Märkte und damit zur allgemeinen Geldwirtschaft über, sondern weil der absolutistische Geldhunger die Steuern monetarisiert und gleichzeitig exorbitant erhöht hatte. Nicht für sich selbst mußten sie "Geld verdienen", sondern für den militarisierten frühmodernen Feuerwaffen-Staat, seine Logistik und seine Bürokratie. So und nicht anders ist der absurde Selbstzweck der Kapitalverwertung und damit der Arbeit in die Welt gekommen. Bald genügten monetäre Steuern und Abgaben nicht mehr. Die absolutistischen Bürokraten und finanzkapitalistischen Verwalter machten sich daran, die Menschen direkt als das Material einer gesellschaftlichen Maschine für die Verwandlung von Arbeit in Geld zwangsweise zu organisieren. Die traditionelle Lebens- und Existenzweise der Bevölkerung wurde zerstört; nicht weil diese Bevölkerung sich freiwillig und selbstbestimmt "weiterentwickelt" hätte, sondern weil sie als Menschenmaterial der angeworfenen Verwertungsmaschine herhalten sollte. Die Menschen wurden mit Waffengewalt von ihren Feldern vertrieben, um der Schafzucht für die Wollmanufakturen Platz zu machen. Alte Rechte wie das freie Jagen, Fischen und Holzsammeln in den Wäldern wurden abgeschafft. Und wenn die verarmten Massen dann bettelnd und stehlend durch die Lande zogen, wurden sie in Arbeitshäuser und Manufakturen eingesperrt, um sie mit Arbeitsfoltermaschinen zu malträtieren und ihnen ein Sklavenbewußtsein einzuprügeln. Aber auch diese schubweise Verwandlung ihrer Untertanen in das Material des geldmachenden Arbeitsgötzen reichte den absolutistischen Monsterstaaten noch lange nicht. Sie dehnten ihren Anspruch auch auf andere Kontinente aus. Die innere Kolonisierung Europas ging einher mit der äußeren, zuerst in den beiden Amerika und in Teilen Afrikas. Hier ließen die Einpeitscher der Arbeit endgültig alle Hemmungen fallen. In bis dahin beispiellosen Raub-, Zerstörungs- und Ausrottungsfeldzügen fielen sie über die neu "entdeckten" Welten her - galten doch die dortigen Opfer noch nicht einmal mehr als Menschen. Die menschenfressenden europäischen Mächte der heraufdämmernden Arbeitsgesellschaft definierten die unterjochten fremden Kulturen als "Wilde" und - Menschenfresser. Damit war die Legitimation geschaffen, sie auszulöschen oder millionenfach zu versklaven. Buchstäbliche Sklaverei in der kolonialen Plantagen- und Rohstoffwirtschaft, die in ihren Dimensionen noch die antike Sklavenhaltung übertraf, gehört zu den Gründungsverbrechen des warenproduzierenden Systems. Hier wurde zum ersten Mal die "Vernichtung durch Arbeit" im großen Stil betrieben. Das war die zweite Grundlegung der Arbeitsgesellschaft. An den "Wilden" konnte der weiße Mann, der schon gezeichnet war von der Selbstdisziplinierung, seinen verdrängten Selbsthaß und Minderwertigkeitskomplex austoben. Ähnlich wie "die Frau" galten sie ihm als naturnahe und primitive Halbwesen zwischen Tier und Mensch. Immanuel Kant mutmaßte messerscharf, daß Paviane sprechen könnten, wenn sie nur wollten; sie täten es nur deshalb nicht, weil sie sonst befürchten müßten, zur Arbeit herangezogen zu werden. Dieses groteske Räsonnement wirft ein verräterisches Licht auf die Aufklärung. Das repressive Arbeitsethos der Moderne, das sich in seiner ursprünglichen protestantischen Version auf die Gnade Gottes und seit der Aufklärung auf das Naturgesetz berief, wurde als "zivilisatorische Mission" maskiert. Kultur in diesem Sinne ist freiwillige Unterwerfung unter die Arbeit; und Arbeit ist männlich, weiß und "abendländisch". Das Gegenteil, die nicht-menschliche, unförmige und kulturlose Natur, ist weiblich, farbig und "exotisch", also dem Zwang auszusetzen. Mit einem Wort, der "Universalismus" der Arbeitsgesellschaft ist schon von seiner Wurzel her durch und durch rassistisch. Das universelle Abstraktum Arbeit kann sich immer nur selbst definieren durch Abgrenzung von allem, was nicht in ihm aufgeht. Es waren nicht die friedlichen Kaufleute der alten Handelswege, aus denen das moderne Bürgertum hervorgegangen ist, das schließlich den Absolutismus beerbte. Es waren vielmehr die Condottieri der frühmodernen Söldnerhaufen, die Arbeits- und Zuchthausverwalter, Pächter der Steuereintreibung, Sklavenaufseher und andere Halsabschneider, die den sozialen Mutterboden für das moderne "Unternehmertum" bildeten. Die bürgerlichen Revolutionen des 18. und 19. Jahrhunderts hatten nichts mit sozialer Emanzipation zu tun; sie schichteten nur die Machtverhältnisse innerhalb des entstandenen Zwangssystems um, lösten die Institutionen der Arbeitsgesellschaft von den veralteten dynastischen Interessen ab und trieben ihre Versachlichung und Entpersönlichung voran. Es war die glorreiche Französische Revolution, die mit besonderem Pathos eine Pflicht zur Arbeit verkündete und in einem "Gesetz zur Beseitigung des Bettelwesens" neue Arbeitszuchthäuser einführte. Das war das genaue Gegenteil dessen, was die sozialrebellischen Bewegungen erstrebten, die am Rande der bürgerlichen Revolutionen aufflammten, ohne darin aufzugehen. Schon viel früher hatte es ganz eigenständige Formen des Widerstands und der Verweigerung gegeben, mit denen die offizielle Geschichtsschreibung der Arbeits- und Modernisierungsgesellschaft nichts anfangen kann. Die Produzenten der alten Agrargesellschaften, die sich auch mit den feudalen Herrschaftsverhältnissen niemals völlig reibungslos abgefunden hatten, wollten sich erst recht nicht damit abfinden, zur "Arbeiterklasse" eines ihnen äußerlichen Systemzusammenhangs gemacht zu werden. Von den Bauernkriegen des 15. und 16. Jahrhunderts bis zu den Erhebungen der später als "Maschinenstürmer" denunzierten Bewegungen in England und dem Aufstand der schlesischen Weber von 1844 zieht sich eine einzige Kette von erbitterten Widerstandskämpfen gegen die Arbeit. Die Durchsetzung der Arbeitsgesellschaft und ein bald offener, bald latenter Bürgerkrieg waren über Jahrhunderte hinweg ein und dasselbe. Die alten agrarischen Gesellschaften waren alles andere als paradiesisch. Aber der ungeheure Zwang der hereinbrechenden Arbeitsgesellschaft wurde von der Mehrheit nur als Verschlechterung und als "Zeit der Verzweiflung" erlebt. Tatsächlich hatten die Menschen trotz aller Enge der Verhältnisse noch etwas zu verlieren. Was im falschen Bewußtsein der modernen Welt als Finsternis und Plage eines erfundenen Mittelalters erscheint, waren in Wirklichkeit die Schrecken ihrer eigenen Geschichte. In den vor- und nichtkapitalistischen Kulturen innerhalb wie außerhalb Europas war die tägliche ebenso wie die jährliche Zeit der Produktionstätigkeit weitaus geringer als selbst heute noch für die modernen "Beschäftigten" in Fabrik und Büro. Und diese Produktion war bei weitem nicht derart verdichtet wie in der Arbeitsgesellschaft, sondern durchsetzt von einer ausgeprägten Kultur der Muße und der relativen "Langsamkeit". Von Naturkatastrophen abgesehen, waren die materiellen Grundbedürfnisse für die meisten weitaus besser gesichert als über weite Strecken der Modernisierungsgeschichte - und auch besser als in den Horror-Slums der heutigen Krisenwelt. Auch die Herrschaft ging nicht derart bis auf die Haut wie in der durchbürokratisierten Arbeitsgesellschaft. Deshalb konnte der Widerstand gegen die Arbeit nur militärisch gebrochen werden. Bis heute heucheln sich die Ideologen der Arbeitsgesellschaft darüber hinweg, daß die Kultur der vormodernen Produzenten nicht "entwickelt", sondern in ihrem Blut erstickt wurde. Die abgeklärten Arbeits-Demokraten von heute lasten all diese Ungeheuerlichkeiten am liebsten den "vordemokratischen Zuständen" einer Vergangenheit an, mit der sie nichts mehr zu tun hätten. Sie wollen nicht wahrhaben, daß die terroristische Urgeschichte der Moderne verräterisch das Wesen auch der heutigen Arbeitsgesellschaft enthüllt. Die bürokratische Arbeitsverwaltung und staatliche Menschenerfassung in den industriellen Demokratien konnte ihre absolutistischen und kolonialen Ursprünge niemals verleugnen. In der Form der Versachlichung zu einem unpersönlichen Systemzusammenhang ist die repressive Menschenverwaltung im Namen des Arbeitsgötzen sogar noch angewachsen und hat alle Lebensbereiche durchdrungen. Gerade heute wird in der Agonie der Arbeit der eiserne bürokratische Griff wieder fühlbar wie in der Frühzeit der Arbeitsgesellschaft. Die Arbeitsverwaltung enthüllt sich als das Zwangssystem, das sie immer gewesen ist, indem sie die soziale Apartheid organisiert und die Krise durch demokratische Staatssklaverei vergeblich zu bannen sucht. Ähnlich kehrt der koloniale Ungeist wieder in der ökonomischen Zwangsverwaltung der bereits reihenweise ruinierten Länder in der Peripherie durch den Internationalen Währungsfonds. Nach dem Tod ihres Götzen besinnt sich die Arbeitsgesellschaft in jeder Hinsicht auf die Methoden ihrer Gründungsverbrechen, die sie dennoch nicht retten können. 10. Die Arbeiterbewegung war eine Bewegung für die Arbeit Die klassische Arbeiterbewegung, die erst lange nach dem Untergang der alten Sozialrevolten ihren Aufstieg erlebte, kämpfte nicht mehr gegen die Zumutung der Arbeit, sondern entwickelte geradezu eine Überidentifikation mit dem scheinbar Unausweichlichen. Ihr ging es nur noch um "Rechte" und Verbesserungen innerhalb der Arbeitsgesellschaft, deren Zwänge sie schon weitgehend verinnerlicht hatte. Statt die Verwandlung menschlicher Energie in Geld als irrationalen Selbstzweck radikal zu kritisieren, nahm sie selber den "Standpunkt der Arbeit" ein und begriff die Verwertung als positiven, neutralen Tatbestand. So trat die Arbeiterbewegung auf ihre Weise das Erbe von Absolutismus, Protestantismus und bürgerlicher Aufklärung an. Aus dem Unglück der Arbeit wurde der falsche Stolz der Arbeit, der die eigene Domestizierung zum Menschenmaterial des modernen Götzen in ein "Menschenrecht" umdefinierte. Die domestizierten Heloten der Arbeit drehten gewissermaßen den Spieß ideologisch um und entwickelten einen missionarischen Eifer, einerseits das "Recht auf Arbeit" einzuklagen und andererseits die "Arbeitspflicht für alle" zu fordern. Das Bürgertum wurde nicht als Funktionsträger der Arbeitsgesellschaft bekämpft, sondern im Gegenteil gerade im Namen der Arbeit als parasitär beschimpft. Ausnahmslos alle Gesellschaftsmitglieder sollten in die "Armeen der Arbeit" zwangsrekrutiert werden. Die Arbeiterbewegung wurde so selber zu einem Schrittmacher der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft. Sie war es, die gegen die bornierten bürgerlichen Funktionsträger des 19. und frühen 20. Jahrhunderts im Entwicklungsprozeß der Arbeit die letzten Stufen der Versachlichung durchsetzte; ganz ähnlich, wie ein Jahrhundert zuvor das Bürgertum den Absolutismus beerbt hatte. Das war nur möglich, weil die Arbeiterparteien und Gewerkschaften sich im Zuge ihrer Arbeitsvergottung auch positiv auf den Staatsapparat und die Institutionen der repressiven Arbeitsverwaltung bezogen, die sie nicht abschaffen, sondern selber in einer Art "Marsch durch die Institutionen" besetzen wollten. Damit übernahmen sie ebenso wie vorher das Bürgertum die bürokratische Tradition arbeitsgesellschaftlicher Menschenverwaltung seit dem Absolutismus. Die Ideologie einer sozialen Verallgemeinerung der Arbeit erforderte allerdings auch ein neues politisches Verhältnis. An die Stelle der ständischen Gliederung mit unterschiedlichen politischen "Rechten" (z.B. Wahlrecht nach Steuerklassen) in der erst halb durchgesetzten Arbeitsgesellschaft mußte die allgemeine demokratische Gleichheit des vollendeten "Arbeitsstaats" treten. Und die Ungleichmäßigkeiten im Lauf der Verwertungsmaschine, sobald sie das gesamte gesellschaftliche Leben bestimmte, mußten "sozialstaatlich" ausgeglichen werden. Auch dafür lieferte die Arbeiterbewegung das Paradigma. Unter dem Namen "Sozialdemokratie" wurde sie zur größten "Bürgerbewegung" in der Geschichte, die doch nichts weiter sein konnte als eine selbstgestellte Falle. Denn in der Demokratie wird alles verhandelbar, nur nicht die Zwänge der Arbeitsgesellschaft, die vielmehr axiomatisch vorausgesetzt sind. Was zur Debatte steht, können allein die Modalitäten und Verlaufsformen dieser Zwänge sein. Es gibt immer nur die Wahl zwischen Omo und Persil, zwischen Pest und Cholera, zwischen Frechheit und Dummheit, zwischen Kohl und Schröder. Die arbeitsgesellschaftliche Demokratie ist das perfideste Herrschaftssystem der Geschichte - ein System der Selbstunterdrückung. Deshalb organisiert diese Demokratie auch niemals die freie Selbstbestimmung der Gesellschaftsmitglieder über die gemeinsamen Ressourcen, sondern stets nur die Rechtsform der sozial voneinander getrennten Arbeitsmonaden, die konkurrierend ihre Haut zu Markte tragen müssen. Demokratie ist das Gegenteil von Freiheit. Und so zerfallen die demokratischen Arbeitsmenschen notwendigerweise in Verwalter und Verwaltete, Unternehmer und Unternommene, Funktionseliten und Menschenmaterial. Die politischen Parteien, gerade auch die Arbeiterparteien, spiegeln dieses Verhältnis in ihrer eigenen Struktur getreulich wider. Führer und Geführte, Promis und Fußvolk, Seilschaften und Mitläufer verweisen auf ein Verhältnis, das nichts mit einer offenen Debatte und Entscheidungsfindung zu tun hat. Es ist integraler Bestandteil dieser Systemlogik, daß die Eliten selber nur unselbständige Funktionäre des Arbeitsgötzen und seiner blinden Ratschlüsse sein können. Spätestens seit den Nazis sind alle Parteien Arbeiterparteien und gleichzeitig Parteien des Kapitals. In den "Entwicklungsgesellschaften" des Ostens und Südens mutierte die Arbeiterbewegung zur staatsterroristischen Partei der nachholenden Modernisierung, im Westen zu einem System von "Volksparteien" mit auswechselbaren Programmen und medialen Repräsentationsfiguren. Der Klassenkampf ist zu Ende, weil die Arbeitsgesellschaft am Ende ist. Die Klassen erweisen sich als soziale Funktionskategorien eines gemeinsamen Fetischsystems in demselben Maße, wie dieses System abstirbt. Wenn Sozialdemokratie, Grüne und Ex-Kommunisten sich in der Krisenverwaltung hervortun und besonders niederträchtige Repressionsprogramme entwerfen, dann erweisen sie sich damit nur als legitime Erben einer Arbeiterbewegung, die nie etwas anderes wollte als Arbeit um jeden Preis. 11. Die Krise der Arbeit Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte es für einen kurzen historischen Augenblick so scheinen, als hätte sich die Arbeitsgesellschaft in den fordistischen Industrien zu einem System "immerwährender Prosperität" konsolidiert, in dem die Unerträglichkeit des zwanghaften Selbstzwecks durch Massenkonsum und Sozialstaat dauerhaft zu befrieden wäre. Abgesehen davon, daß diese Vorstellung schon immer eine demokratische Heloten-Idee war, die sich nur auf eine kleine Minderheit der Weltbevölkerung bezog, mußte sie sich auch in den Zentren blamieren. Mit der dritten industriellen Revolution der Mikroelektronik stößt die Arbeitsgesellschaft an ihre absolute historische Schranke. Daß diese Schranke früher oder später erreicht werden mußte, war vorhersehbar. Denn das warenproduzierende System leidet von Geburt an unter einem unheilbaren Selbstwiderspruch. Einerseits lebt es davon, massenhaft menschliche Energie durch Verausgabung von Arbeitskraft in seine Maschinerie aufzusaugen, je mehr desto besser. Andererseits aber erzwingt das Gesetz der betriebswirtschaftlichen Konkurrenz eine permanente Steigerung der Produktivität, in der menschliche Arbeitskraft durch verwissenschaftlichtes Sachkapital ersetzt wird. Dieser Selbstwiderspruch war schon die tiefere Ursache aller früheren Krisen, darunter der verheerenden Weltwirtschaftskrise von 1929-33. Die Krisen konnten jedoch durch einen Mechanismus der Kompensation immer wieder überwunden werden: Auf dem jeweils höheren Niveau der Produktivität wurde nach einer gewissen Inkubationszeit durch Ausdehnung der Märkte auf neue Käuferschichten absolut mehr Arbeit wieder eingesaugt als vorher wegrationalisiert worden war. Der Aufwand an Arbeitskraft pro Produkt verminderte sich, aber es wurden absolut mehr Produkte in einem Ausmaß hergestellt, daß diese Verminderung überkompensiert werden konnte. Solange also die Produkt-Innovationen die Prozeß-Innovationen überstiegen, konnte der Selbstwiderspruch des Systems in eine Expansionsbewegung übersetzt werden. Das herausragende historische Beispiel ist das Auto: Durch das Fließband und andere Techniken der "arbeitswissenschaftlichen" Rationalisierung (zuerst in Henry Fords Autofabrik in Detroit) verminderte sich die Arbeitszeit pro Auto auf einen Bruchteil. Gleichzeitig wurde die Arbeit aber ungeheuer verdichtet, also das Menschenmaterial in derselben Zeit um ein Vielfaches ausgesaugt. Vor allem konnte das Auto, bis dahin ein Luxusprodukt für die oberen Zehntausend, durch die damit einhergehende Verbilligung in den Massenkonsum einbezogen werden. Auf diese Weise wurde der unersättliche Appetit des Arbeitsgötzen nach menschlicher Energie trotz rationalisierter Fließfertigung in der zweiten industriellen Revolution des "Fordismus" auf höherem Niveau befriedigt. Gleichzeitig ist das Auto ein zentrales Beispiel für den destruktiven Charakter der hochentwickelten arbeitsgesellschaftlichen Produktions- und Konsumtionsweise. Im Interesse der Massenproduktion von Autos und des massenhaften Individualverkehrs wird die Landschaft zubetoniert und verhäßlicht, die Umwelt verpestet und achselzuckend in Kauf genommen, daß auf den Straßen der Welt jahraus, jahrein der unerklärte Dritte Weltkrieg tobt mit Millionen von Toten und Verstümmelten. In der dritten industriellen Revolution der Mikroelektronik erlischt der bisherige Mechanismus der Kompensation durch Expansion. Zwar werden natürlich auch durch die Mikroelektronik viele Produkte verbilligt und neue kreiert (vor allem im Bereich der Medien). Aber erstmals übersteigt das Tempo der Prozeß-Innovation das Tempo der Produkt-Innovation. Erstmals wird mehr Arbeit wegrationalisiert als durch Ausdehnung der Märkte reabsorbiert werden kann. In logischer Fortsetzung der Rationalisierung ersetzt elektronische Robotik menschliche Energie oder die neuen Kommunikationstechnologien machen Arbeit überflüssig. Ganze Sektoren und Ebenen der Konstruktion, der Produktion, des Marketings, der Lagerhaltung, des Vertriebs und selbst des Managements brechen weg. Erstmals setzt der Arbeitsgötze sich unfreiwillig selber auf dauerhafte Hungerration. Damit führt er seinen eigenen Tod herbei. Da es sich bei der demokratischen Arbeitsgesellschaft um ein ausgereiftes, auf sich selbst rückgekoppeltes Selbstzwecksystem der Verausgabung von Arbeitskraft handelt, ist innerhalb seiner Formen ein Umschalten auf allgemeine Arbeitszeitverkürzung nicht möglich. Die betriebswirtschaftliche Rationalität verlangt, daß einerseits immer größere Massen dauerhaft "arbeitslos" und damit von der systemimmanenten Reproduktion ihres Lebens abgeschnitten werden, während andererseits die stetig schrumpfende Anzahl der "Beschäftigten" einer um so größeren Arbeits- und Leistungshetze unterworfen wird. Mitten im Reichtum kehren Armut und Hunger selbst in den kapitalistischen Zentren zurück, intakte Produktionsmittel und Anbaufelder liegen massenhaft brach, Wohnungen und öffentliche Gebäude stehen massenhaft leer, während die Obdachlosigkeit unaufhaltsam steigt. Kapitalismus wird zu einer globalen Minderheitsveranstaltung. In seiner Not ist der sterbende Arbeitsgötze autokannibalistisch geworden. Auf der Suche nach verbliebener Arbeitsnahrung sprengt das Kapital die Grenzen der Nationalökonomie und globalisiert sich in einer nomadischen Verdrängungskonkurrenz. Ganze Weltregionen werden von den globalen Kapital- und Warenflüssen abgeschnitten. Mit einer historisch beispiellosen Welle von Fusionen und "unfreundlichen Übernahmen" rüsten sich die Konzerne für das letzte Gefecht der Betriebswirtschaft. Die desorganisierten Staaten und Nationen implodieren, die von der Überlebenskonkurrenz in den Wahnsinn getriebenen Bevölkerungen fallen in ethnischen Bandenkriegen übereinander her. 12. Das Ende der Politik Notwendigerweise zieht die Krise der Arbeit die Krise des Staates und damit der Politik nach sich. Grundsätzlich verdankt der moderne Staat seine Karriere der Tatsache, daß das warenproduzierende System eine übergeordnete Instanz benötigt, die den Rahmen der Konkurrenz, die allgemeinen Rechtsgrundlagen und Voraussetzungen der Verwertung garantiert - unter Einschluß der Repressionsapparate für den Fall, daß das Menschenmaterial einmal systemwidrig unbotmäßig werden sollte. In seiner massendemokratisch ausgereiften Form mußte der Staat im 20. Jahrhundert auch zunehmend sozialökonomische Aufgaben übernehmen: Nicht nur das soziale Netz gehört dazu, sondern auch das Bildungs- und Gesundheitswesen, Verkehrs- und Kommunikationsnetze, Infrastrukturen aller Art, die für das Funktionieren der industriell entwickelten Arbeitsgesellschaft unerläßlich geworden sind, aber nicht selber als betriebswirtschaftlicher Verwertungsprozeß organisiert werden können. Denn diese Infrastrukturen müssen auf der Ebene der Gesamtgesellschaft dauerhaft und flächendeckend zur Verfügung stehen, können also nicht den Marktkonjunkturen von Angebot und Nachfrage folgen. Da der Staat aber keine selbständige Verwertungseinheit ist und somit nicht selber Arbeit in Geld verwandeln kann, muß er Geld aus dem realen Verwertungsprozeß abschöpfen, um seine Aufgaben zu finanzieren. Versiegt die Verwertung, so versiegen auch die Staatsfinanzen. Der vermeintliche gesellschaftliche Souverän erweist sich als völlig unselbständig gegenüber der blinden, fetischisierten Ökonomie der Arbeitsgesellschaft. Er mag Gesetze beschließen, soviel er will, wenn die Produktivkräfte über das System der Arbeit hinauswachsen, läuft das positive staatliche Recht ins Leere, das sich immer nur auf Subjekte der Arbeit beziehen kann. Mit stetig wachsender Massenarbeitslosigkeit vertrocknen die Staatseinnahmen aus der Besteuerung von Arbeitseinkommen. Die sozialen Netze reißen, sobald eine kritische Masse von "Überflüssigen" erreicht wird, die nur noch durch Umverteilung von anderen Geldeinkommen kapitalistisch ernährt werden können. Mit dem rapiden Konzentrationsprozeß des Kapitals in der Krise, der über die nationalökonomischen Grenzen hinausgreift, brechen auch die Staatseinnahmen aus der Besteuerung von Unternehmensgewinnen weg. Die transnationalen Konzerne zwingen die um Investitionen konkurrierenden Staaten zum Steuerdumping, Sozialdumping und Ökodumping. Genau diese Entwicklung ist es, die den demokratischen Staat zum reinen Krisenverwalter mutieren läßt. Je mehr er sich dem finanziellen Notstand nähert, desto mehr reduziert er sich auf seinen repressiven Kern. Die Infrastrukturen werden zurückgefahren auf die Bedürfnisse des transnationalen Kapitals. Wie ehemals in den kolonialen Gebieten beschränkt sich die gesellschaftliche Logistik zunehmend auf wenige ökonomische Zentren, während der Rest verödet. Was sich privatisieren läßt, wird privatisiert, auch wenn damit immer mehr Menschen von den elementarsten Versorgungsleistungen ausgeschlossen bleiben. Wo die Kapitalverwertung sich auf immer weniger Weltmarktinseln konzentriert, kommt es auf eine flächendeckende Versorgung der Bevölkerung nicht mehr an. Soweit es nicht die unmittelbar wirtschaftsrelevanten Bereiche betrifft, ist es uninteressant, ob Züge fahren und Briefe ankommen. Die Bildung wird zum Privileg der Globalisierungsgewinnler. Die geistige, künstlerische und theoretische Kultur wird auf das Kriterium der Marktgängigkeit verwiesen und stirbt ab. Das Gesundheitswesen wird unfinanzierbar und zerfällt in ein Klassensystem. Zuerst schleichend und klammheimlich, dann in aller Offenheit gilt das Gesetz der sozialen Euthanasie: Weil du arm und "überflüssig" bist, mußt du früher sterben. Während alle Kenntnisse, Fähigkeiten und Mittel der Medizin, der Bildung, der Kultur, der allgemeinen Infrastruktur überreichlich zur Verfügung stehen, werden sie nach dem zum "Finanzierungsvorbehalt" objektivierten irrationalen Gesetz der Arbeitsgesellschaft unter Verschluß gehalten, demobilisiert und verschrottet - genau wie die industriellen und agrarischen Produktionsmittel, die nicht mehr "rentabel" darstellbar sind. Außer der repressiven Arbeitssimulation durch Formen der Zwangs- und Billigarbeit und dem Abbau aller Leistungen hat der zum Apartheid-System transformierte demokratische Staat seinen Ex-Arbeitsbürgern nichts mehr zu bieten. In einem weiter fortgeschrittenen Stadium zerfällt die Staatsverwaltung überhaupt. Die Staatsapparate verwildern zu einer korrupten Kleptokratie, das Militär zu Mafia-Kriegsbanden, die Polizei zu Wegelagerern. Diese Entwicklung kann durch keine Politik der Welt mehr aufgehalten oder gar rückgängig gemacht werden. Denn Politik ist ihrem Wesen nach staatsbezogenes Handeln, das unter den Bedingungen der Entstaatlichung gegenstandslos wird. Die linksdemokratische Formel von der "politischen Gestaltung" der Verhältnisse blamiert sich von Tag zu Tag mehr. Außer endloser Repression, Abbau der Zivilisation und Hilfestellung für den "Terror der Ökonomie" gibt es nichts mehr zu "gestalten". Da der arbeitsgesellschaftliche Selbstzweck der politischen Demokratie axiomatisch vorausgesetzt ist, kann es für die Krise der Arbeit auch keine politisch-demokratische Regulation geben. Das Ende der Arbeit wird zum Ende der Politik. 13. Die kasinokapitalistische Simulation der Arbeitsgesellschaft Das herrschende gesellschaftliche Bewußtsein lügt sich systematisch über den wahren Zustand der Arbeitsgesellschaft hinweg. Die Zusammenbruchsregionen werden ideologisch exkommuniziert, die Arbeitsmarktstatistiken hemmungslos gefälscht, die Formen der Verelendung medial wegsimuliert. Simulation ist überhaupt das zentrale Merkmal des Krisenkapitalismus. Das gilt auch für die Ökonomie selbst. Wenn es zumindest in den westlichen Kernländern bis jetzt so erscheint, als könnte das Kapital auch ohne Arbeit akkumulieren und die reine Form des Geldes substanzlos aus sich heraus die weitere Verwertung des Werts garantieren, so ist dieser Schein einem Simulationsprozeß der Finanzmärkte geschuldet. Spiegelbildlich zur Simulation der Arbeit durch Zwangsmaßnahmen der demokratischen Arbeitsverwaltung hat sich eine Simulation der Kapitalverwertung durch die spekulative Entkoppelung des Kreditsystems und der Aktienmärkte von der Realökonomie herausgebildet. Die Vernutzung gegenwärtiger Arbeit wird ersetzt durch den Zugriff auf die Vernutzung zukünftiger Arbeit, die nie mehr stattfinden wird. Es handelt sich gewissermaßen um eine Kapitalakkumulation in einem fiktiven "Futur II". Das Geldkapital, das nicht mehr rentabel in die Realökonomie reinvestiert werden und daher keine Arbeit mehr ansaugen kann, muß verstärkt in die Finanzmärkte ausweichen. Schon der fordistische Schub der Verwertung in den Zeiten des "Wirtschaftswunders" nach dem Zweiten Weltkrieg war kein vollständig selbsttragender mehr. Weit über seine Steuereinnahmen hinaus nahm der Staat in einem bis dahin ungekannten Ausmaß Kredite auf, weil die Rahmenbedingungen der Arbeitsgesellschaft anders nicht mehr finanzierbar waren. Der Staat verpfändete also seine zukünftigen reellen Einnahmen. Auf diese Weise entstand einerseits für "überschüssiges" Geldkapital eine finanzkapitalistische Anlagemöglichkeit - es wurde dem Staat gegen Zinsen geliehen. Dieser beglich die Zinsen aus neuen Krediten und schleuste das geliehene Geld umgehend wieder in den ökonomischen Kreislauf zurück. Er finanzierte also damit andererseits Sozialausgaben und Infrastruktur-Investitionen und schuf so eine im kapitalistischen Sinne künstliche, weil durch keinerlei produktive Arbeitsverausgabung gedeckte Nachfrage. Der fordistische Boom wurde so über seine eigentliche Reichweite hinaus verlängert, indem die Arbeitsgesellschaft ihre eigene Zukunft anzapfte. Dieses simulative Moment schon des scheinbar noch intakten Verwertungsprozesses fand seine Grenzen zusammen mit der Staatsverschuldung. Die staatlichen "Schuldenkrisen" nicht nur in der "Dritten Welt", sondern auch in den Zentren ließen eine weitere Expansion auf diesem Wege nicht mehr zu. Das war die objektive Grundlage für den Siegeszug der neoliberalen Deregulierung, die laut Ideologie mit einer drastischen Senkung der Staatsquote am Sozialprodukt einhergehen sollte. In Wirklichkeit werden Deregulierung und Abbau der Staatsaufgaben kompensiert durch die Kosten der Krise, und sei es in Form der staatlichen Repressions- und Simulationskosten. In vielen Staaten steigt die Staatsquote auf diese Weise sogar noch an. Aber die weitere Akkumulation des Kapitals ist durch die Staatsverschuldung nicht mehr zu simulieren. Deshalb verlagerte sich seit den achtiziger Jahren die zusätzliche Kreation des fiktiven Kapitals auf die Aktienmärkte. Dort geht es längst nicht mehr um die Dividende, den Gewinnanteil an der realen Produktion, sondern nur noch um den Kursgewinn, die spekulative Wertsteigerung der Eigentumstitel bis in astronomische Größenordnungen. Das Verhältnis von Realökonomie und spekulativer Finanzmarktbewegung hat sich auf den Kopf gestellt. Die spekulative Kurssteigerung nimmt nicht mehr die realökonomische Expansion vorweg, sondern umgekehrt simuliert die Hausse fiktiver Wertschöpfung eine Realakkumulation, die es schon gar nicht mehr gibt. Der Arbeitsgötze ist klinisch tot, aber er wird künstlich beatmet durch die scheinbar verselbständigte Expansion der Finanzmärkte. Industrielle Unternehmen machen Gewinne, die gar nicht mehr aus der längst zum Verlustgeschäft gewordenen Produktion und dem Verkauf von realen Gütern stammen, sondern aus der Beteiligung einer "cleveren" Finanzabteilung an der Aktien- und Devisenspekulation. Öffentliche Haushalte weisen Einnahmen aus, die gar nicht mehr durch Steuern oder Kreditaufnahme zustandekommen, sondern durch eifriges Mitgehen der Finanzverwaltung an den Zockermärkten. Und private Haushalte, deren reelle Einnahmen aus Löhnen und Gehältern dramatisch zurückgehen, leisten sich ein weiterhin hohes Konsumniveau, indem sie Aktiengewinne beleihen. Es entsteht also eine neue Form von künstlicher Nachfrage, die dann wiederum reale Produktion und reale staatliche Steuereinnahmen "ohne Boden unter den Füßen" nach sich zieht. Auf diese Weise wird die Weltwirtschaftskrise durch den spekulativen Prozeß hinausgeschoben. Aber da die fiktive Wertsteigerung der Eigentumstitel nur die Vorwegnahme zukünftiger realer Arbeitsvernutzung (in einem entsprechend astronomischen Ausmaß) sein kann, die nie mehr kommen wird, muß der objektivierte Schwindel nach einer gewissen Inkubationszeit auffliegen. Der Zusammenbruch der "emerging markets" in Asien, Lateinamerika und Osteuropa hat einen ersten Vorgeschmack geliefert. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch die Finanzmärkte der kapitalistischen Zentren in den USA, der EU und Japan kollabieren. Dieser Zusammenhang wird im arbeitsgesellschaftlichen Fetisch-Bewußtsein und gerade auch bei den herkömmlichen linken und rechten "Kapitalismuskritikern" völlig verzerrt wahrgenommen. Fixiert auf das zur überhistorischen und positiven Existenzbedingung geadelte Phantom der Arbeit verwechseln sie systematisch Ursache und Wirkung. Der vorübergehende Krisenaufschub durch die spekulative Expansion der Finanzmärkte erscheint dann genau umgekehrt als vermeintliche Ursache der Krise. Die "bösen Spekulanten", so heißt es mehr oder weniger panisch, würden die ganze schöne Arbeitsgesellschaft kaputtmachen, weil sie das "gute Geld", von dem "genug da" sei, aus Jux und Tollerei verzocken, statt es brav und solide in wunderbare "Arbeitsplätze" zu investieren, auf daß eine arbeitswahnsinnige Heloten-Menschheit weiterhin "vollbeschäftigt" sein könne. Es will in diese Köpfe einfach nicht hinein, daß keineswegs die Spekulation die Realinvestitionen zum Stehen gebracht hat, sondern diese schon durch die dritte industrielle Revolution unrentabel geworden sind und das spekulative Abheben nur ein Symptom dafür sein kann. Das Geld, das da in scheinbar unerschöpflicher Menge zirkuliert, ist selbst im kapitalistischen Sinne längst kein "gutes" mehr, sondern bloß noch "heiße Luft", mit der die spekulative Blase aufgetrieben wurde. Jeder Versuch, diese Blase durch Projekte einer wie auch immer gearteten Besteuerung anzupieksen ("Tobinsteuer" usw.), um das Geldkapital wieder auf die vermeintlich "richtigen" und realen arbeitsgesellschaftlichen Mühlen zu lenken, könnte nur mit dem um so schnelleren Platzen der Blase enden. Statt zu begreifen, daß wir alle unaufhaltsam unrentabel werden und deshalb das Kriterium der Rentabilität selber samt seinen arbeitsgesellschaftlichen Grundlagen als obsolet anzugreifen ist, dämonisiert man lieber "die Spekulanten" - dieses billige Feindbild pflegen einhellig Rechtsradikale und Autonome, biedere Gewerkschaftsfunktionäre und keynesianische Nostalgiker, Sozialtheologen und Talkmaster, überhaupt alle Apostel der "ehrlichen Arbeit". Die wenigsten sind sich bewußt, daß es von da bis zur Remobilisierung des antisemitischen Wahns nur noch ein kleiner Schritt ist. Das "schaffende" nationalblütige Realkapital gegen das "raffende" international- "jüdische" Geldkapital zu beschwören, droht das letzte Wort der geistig verwahrlosten Arbeitsplatz-Linken zu werden. Das letzte Wort der von Haus aus rassistischen, antisemitischen und antiamerikanischen Arbeitsplatz-Rechten ist es sowieso. Das vollständige Manifest ist zu bestellen bei: Förderverein und Redaktion Krisis e.V., Postfach 2111, 91011 Erlangen http://www.jungle-world.com/_99/33/15a.htm Manifest gegen die Arbeit (I) http://www.nettime.org/~rolux/archive/00000210.txt ________________________________________________________________________________ no copyright 1999 rolux.org - no commercial use without permission. is a moderated mailing list for the advancement of minor criticism. more information: mail to: majordomo@rolux.org, subject line: , message body: info. further questions: mail to: rolux-owner@rolux.org. archive: http://www.rolux.org