________________________________________________________________________________ Jungle World Nr.32 - 4. August 1999 Schon die Herkunft der "Arbeit" läßt Böses ahnen. Das deutsche Wort leitet sich von dem germanischen Verb für "verwaist sein, ein zu schwerer körperlicher Tätigkeit verdingtes Kind sein" her, die romanische Entsprechung kommt vom lateinischen "tripalium" - die altertümliche Bezeichnung für das Joch der Sklaven. "Arbeit" war noch nie ein Synonym für selbstbestimmte menschliche Tätigkeit, wie die Arbeitsfetischisten aller Coleur propagieren, sondern verweist auf ein unglückliches soziales Schicksal. Das "Manifest gegen die Arbeit" wurde von der Nürnberger Gruppe Krisis verfaßt und wird in den nächsten beiden Ausgaben fortgesetzt. Manifest gegen die Arbeit (I) Von der Gruppe 'Krisis' 1. Die Herrschaft der toten Arbeit Ein Leichnam beherrscht die Gesellschaft - der Leichnam der Arbeit. Alle Mächte rund um den Globus haben sich zur Verteidigung dieser Herrschaft verbündet: der Papst und die Weltbank, Tony Blair und Jörg Haider, Gewerkschaften und Unternehmer, deutsche Ökologen und französische Sozialisten. Sie alle kennen nur eine Parole: Arbeit, Arbeit, Arbeit! Wer das Denken noch nicht verlernt hat, erkennt unschwer die Bodenlosigkeit dieser Haltung. Denn die von der Arbeit beherrschte Gesellschaft erlebt keine vorübergehende Krise, sie stößt an ihre absolute Schranke. Die Reichtumsproduktion hat sich im Gefolge der mikroelektronischen Revolution immer weiter von der Anwendung menschlicher Arbeitskraft entkoppelt - in einem Ausmaß, das bis vor wenigen Jahrzehnten nur in der Science-fiction vorstellbar war. Niemand kann ernsthaft behaupten, daß dieser Prozeß noch einmal zum Stehen kommt oder gar umgekehrt werden kann. Der Verkauf der Ware Arbeitskraft wird im 21. Jahrhundert genauso aussichtsreich sein wie im 20. Jahrhundert der Verkauf von Postkutschen. Wer aber in dieser Gesellschaft seine Arbeitskraft nicht verkaufen kann, gilt als "überflüssig" und wird auf der sozialen Müllhalde entsorgt. Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen! Dieser zynische Grundsatz gilt noch immer - und heute mehr denn je, gerade weil er hoffnungslos obsolet wird. Es ist absurd: Die Gesellschaft war niemals so sehr Arbeitsgesellschaft wie in einer Zeit, in der die Arbeit überflüssig gemacht wird. Gerade in ihrem Tod entpuppt sich die Arbeit als totalitäre Macht, die keinen anderen Gott neben sich duldet. Bis in den Alltag und bis in die Psyche hinein bestimmt sie das Denken und Handeln. Es wird kein Aufwand gescheut, um das Leben des Arbeitsgötzen künstlich zu verlängern. Der paranoide Schrei nach "Beschäftigung" rechtfertigt es, die längst erkannte Zerstörung der Naturgrundlagen sogar noch zu forcieren. Die letzten Hindernisse für die totale Kommerzialisierung aller sozialen Beziehungen dürfen kritiklos hinweggeräumt werden, wenn ein paar elende "Arbeitsplätze" in Aussicht stehen. Und der Satz, es sei besser, "irgendeine" Arbeit zu haben als keine, ist zum allgemein abverlangten Glaubensbekenntnis geworden. Je unübersehbarer es wird, daß die Arbeitsgesellschaft an ihrem definitiven Ende angelangt ist, desto gewaltsamer wird dieses Ende aus dem öffentlichen Bewußtsein verdrängt. So unterschiedlich die Methoden der Verdrängung auch sein mögen, sie haben einen gemeinsamen Nenner: Die weltweit geltende Tatsache, daß sich die Arbeit als irrationaler Selbstzweck erweist, der sich selber obsolet gemacht hat, wird mit der Sturheit eines Wahnsystems in das persönliche oder kollektive Versagen von Individuen, Unternehmen oder "Standorten" umdefiniert. Die objektive Schranke der Arbeit soll als subjektives Problem der Herausgefallenen erscheinen. Gilt den einen die Arbeitslosigkeit als Produkt überzogener Ansprüche, fehlender Leistungsbereitschaft und Flexiblität, so werfen die anderen "ihren" Managern und Politikern Unfähigkeit, Korruption, Gewinnsucht oder Standortverrat vor. Und schließlich sind sich alle mit Ex-Bundespräsident Roman Herzog einig: Es müsse ein sogenannter "Ruck" durch das Land gehen, ganz so, als handelte es sich um das Motivationsproblem einer Fußballmannschaft oder einer politischen Sekte. Alle sollen sich "irgendwie" gewaltig am Riemen reißen, auch wenn das gar nicht mehr geht, und alle sollen "irgendwie" kräftig anpacken, auch wenn es gar nichts mehr (oder nur noch Unsinniges) zum Anpacken gibt. Der Subtext dieser unfrohen Botschaft ist unmißverständlich: Wer trotzdem nicht die Gnade des Arbeitsgötzen findet, ist selber schuld und kann mit gutem Gewissen abgeschrieben oder abgeschoben werden. Dasselbe Gesetz des Menschenopfers gilt im Weltmaßstab. Ein Land nach dem anderen wird unter den Rädern des ökonomischen Totalitarismus zermalmt und beweist damit immer nur das eine: Es hat sich an den sogenannten Marktgesetzen vergangen. Wer sich nicht bedingungslos und ohne Rücksicht auf Verluste dem blinden Lauf der totalen Konkurrenz "anpaßt", den bestraft die Logik der Rentabilität. Die Hoffnungsträger von heute sind der Wirtschaftsschrott von morgen. Die herrschenden ökonomischen Psychotiker lassen sich dadurch in ihrer bizarren Welterklärung nicht im geringsten erschüttern. Drei Viertel der Weltbevölkerung sind bereits mehr oder weniger zum sozialen Abfall erklärt worden. Ein "Standort" nach dem anderen stürzt ab. Nach den desaströsen "Entwicklungsländern" des Südens und nach der staatskapitalistischen Abteilung der Weltarbeitsgesellschaft im Osten sind die marktwirtschaftlichen Musterschüler Südostasiens ebenso im Orkus des Zusammenbruchs verschwunden. Auch in Europa breitet sich längst die Panik aus. Die Ritter von der traurigen Gestalt in Politik und Management aber setzen ihren Kreuzzug im Namen des Arbeitsgötzen nur um so verbissener fort. 2. Die neoliberale Apartheidsgesellschaft Eine auf das irrationale Abstraktum Arbeit zentrierte Gesellschaft entwickelt zwangsläufig die Tendenz zur sozialen Apartheid, wenn der erfolgreiche Verkauf der Ware Arbeitskraft von der Regel zur Ausnahme wird. Alle Fraktionen des parteiübergreifenden Arbeits-Lagers haben diese Logik längst klammheimlich akzeptiert und helfen selber kräftig nach. Sie streiten nicht mehr darüber, ob immer größere Teile der Bevölkerung an den Rand gedrängt und von jeder gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen werden, sondern nur noch darüber, wie diese Selektion durchgepeitscht werden soll. Die neoliberale Fraktion überläßt das schmutzige sozialdarwinistische Geschäft vertrauensvoll der "unsichtbaren Hand" des Marktes. In diesem Sinne werden die sozialstaatlichen Netze abgebaut, um all diejenigen möglichst geräuschlos zu marginalisieren, die in der Konkurrenz nicht mehr mithalten können. Als Mensch wird nur noch anerkannt, wer zur Bruderschaft der feixenden Globalisierungsgewinnler gehört. Alle Ressourcen des Planeten werden ganz selbstverständlich für die kapitalistische Selbstzweckmaschine usurpiert. Wenn sie dafür nicht mehr rentabel mobilisierbar sind, müssen sie brachliegen, selbst wenn daneben ganze Populationen dem Hunger anheimfallen. Zuständig für den lästigen "Humanmüll" sind die Polizei, die religiösen Erlösungssekten, die Mafia und die Armenküchen. In den USA und in den meisten Staaten Mitteleuropas sitzen inzwischen mehr Menschen im Gefängnis als in jeder durchschnittlichen Militärdiktatur. Und in Lateinamerika werden täglich mehr Straßenkinder und andere Arme von marktwirtschaftlichen Todesschwadronen gekillt als Oppositionelle in den Zeiten der schlimmsten politischen Repression. Nur noch eine gesellschaftliche Funktion bleibt den Ausgestoßenen: die des abschreckenden Beispiels. Ihr Schicksal soll alle, die sich bei der arbeitsgesellschaftlichen "Reise nach Jerusalem" noch im Rennen befinden, im Kampf um die letzten Plätze immer weiter anstacheln und selbst noch die Masse der Verlierer in hektischer Bewegung halten, damit sie gar nicht erst auf den Gedanken kommen, gegen die unverschämten Zumutungen zu rebellieren. Doch auch um den Preis der Selbstaufgabe sieht die schöne neue Welt der totalitären Marktwirtschaft für die meisten nur noch einen Platz als Schattenmenschen in der Schattenwirtschaft vor. Sie haben sich als Billigstarbeiter und demokratische Sklaven der "Dienstleistungsgesellschaft" den besserverdienenden Globalisierungsgewinnlern demütig anzudienen. Die neuen "arbeitenden Armen" dürfen den restlichen Business-Men der sterbenden Arbeitsgesellschaft die Schuhe putzen, ihnen verseuchte Hamburger verkaufen oder ihre Einkaufszentren bewachen. Wer sein Gehirn an der Garderobe abgegeben hat, kann dabei sogar vom Aufstieg zum Service-Millionär träumen. In den angelsächsischen Ländern ist diese Horror-Welt für Millionen bereits Realität, in der Dritten Welt und in Osteuropa sowieso; und in Euro-Land zeigt man sich entschlossen, den bestehenden Rückstand zügig aufzuholen. Die einschlägigen Wirtschaftsblätter machen jedenfalls längst kein Geheimnis mehr daraus, wie sie sich die ideale Zukunft der Arbeit vorstellen: Die Kinder der Dritten Welt, die an verpesteten Straßenkreuzungen die Scheiben der Autos putzen, sind das leuchtende Vorbild "unternehmerischer Initiative", an dem sich die Arbeitslosen in der hiesigen "Dienstleistungswüste" gefälligst zu orientieren haben. "Das Leitbild der Zukunft ist das Individuum als Unternehmer seiner Arbeitskraft und Daseinsvorsorge", schreibt die Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen. Und: "Die Nachfrage nach einfachen personenbezogenen Diensten ist um so größer, je weniger die Dienste kosten, und das heißt die Dienstleister verdienen." In einer Welt, in der es noch menschliche Selbstachtung gibt, müßte diese Aussage den sozialen Aufstand provozieren. In einer Welt von domestizierten Arbeitstieren wird sie nur ein hilfloses Nicken hervorrufen. 3. Die neo-sozialstaatliche Apartheid Die anti-neoliberalen Fraktionen des gesamtgesellschaftlichen Arbeits-Lagers mögen sich zwar mit dieser Perspektive nicht so recht anfreunden, aber gerade für sie steht unverrückbar fest, daß ein Mensch ohne Arbeit kein Mensch ist. Nostalgisch auf die Nachkriegsära fordistischer Massenarbeit fixiert, haben sie nichts anderes im Sinn, als diese verflossenen Zeiten der Arbeitsgesellschaft neu zu beleben. Der Staat soll doch noch einmal richten, wozu der Markt nicht mehr in der Lage ist. Die vermeintliche arbeitsgesellschaftliche Normalität soll durch "Beschäftigungsprogramme", kommunale Zwangsarbeit für Sozialhilfeempfänger, Standortsubventionen, Verschuldung und andere politische Maßnahmen weitersimuliert werden. Dieser halbherzig aufgewärmte Arbeits-Etatismus hat zwar nicht den Hauch einer Chance, trotzdem bleibt er ideologischer Bezugspunkt für breite, vom Absturz bedrohte Bevölkerungsschichten. Und gerade in ihrer Hoffnungslosigkeit ist die daraus resultierende Praxis alles andere als emanzipatorisch. Die ideologische Verwandlung der "knappen Arbeit" ins erste Bürgerrecht schließt konsequent alle Nicht-Staatsbürger aus. Die soziale Selektionslogik wird also nicht in Frage gestellt, sondern nur anders definiert: Der individuelle Überlebenskampf soll durch ethnisch-nationalistische Kriterien entschärft werden. "Inländische Tretmühlen nur für Inländer", schreit es aus der Volksseele, die in der perversen Liebe zur Arbeit noch einmal zur Volksgemeinschaft findet. Der Rechtspopulismus macht aus dieser Schlußfolgerung keinerlei Hehl. Seine Kritik an der Konkurrenzgesellschaft läuft nur auf die ethnische Säuberung in den schrumpfenden Zonen des kapitalistischen Reichtums hinaus. Dagegen will der gemäßigte Nationalismus sozialdemokratischer oder grüner Prägung zwar die alteingesessenen Arbeitsimmigranten als Inländer gelten lassen und bei kratzfüßigem Wohlverhalten und garantierter Harmlosigkeit sogar zu Staatsbürgern machen. Doch die verschärfte Ausgrenzung von Flüchtlingen aus Ost und Süd kann dadurch nur um so besser populistisch legitimiert und um so geräuschloser betrieben werden - natürlich stets verborgen hinter einem Wortschwall von Humanität und Zivilität. Die Menschenjagd auf "Illegale", die sich an inländische Arbeitsplätze heranschleichen wollen, soll möglichst keine häßlichen Blut- und Brandflecken auf deutschem Boden hinterlassen. Dafür gibt es den Grenzschutz, die Polizei und die Pufferländer von Schengenland, die alles ganz nach Recht und Gesetz und am besten fernab aller Fernsehkameras erledigen. Die staatliche Arbeits-Simulation ist schon von Haus aus gewalttätig und repressiv. Sie steht für den unbedingten Willen, die Herrschaft des Arbeitsgötzen auch nach seinem Tod mit allen verfügbaren Mitteln aufrechtzuerhalten. Dieser arbeitsbürokratische Fanatismus läßt die Herausgefallenen, die Arbeits- und Chancenlosen und all diejenigen, die sich aus gutem Grund der Arbeit verweigern, nicht einmal in den ohnehin schon erbärmlich engen Rest-Nischen des abgerissenen Sozialstaats zur Ruhe kommen. Sie werden von Sozialarbeitern und Arbeitsvermittlerinnen ins Licht der staatlichen Verhörlampen gezerrt und zu einem öffentlichen Kotau vor dem Thron des herrschenden Leichnams gezwungen. Gilt vor Gericht normalerweise der Grundsatz "im Zweifel für den Angeklagten", so hat sich hier die Beweislast umgekehrt. Wollen sie künftig nicht von Luft und christlicher Nächstenliebe leben, dann müssen die Herausgefallenen jede Schmutz- und Sklavenarbeit und jede noch so absurde "Beschäftigungsmaßnahme" akzeptieren, um ihre bedingungslose Arbeitsbereitschaft zu demonstrieren. Ob das, was sie zu tun bekommen, auch nur im entferntesten einen Sinn hat oder der schieren Absurdität verfällt, ist dabei vollkommen egal. Nur in permanenter Bewegung sollen sie bleiben, damit sie niemals vergessen, nach welchem Gesetz sich ihre Existenz zu vollziehen hat. Früher haben Menschen gearbeitet, um Geld zu verdienen. Heute scheut der Staat keine Kosten, damit Hunderttausende in absonderlichen "Trainingswerkstätten" oder "Beschäftigungsfirmen" die verschwundene Arbeit simulieren und sich fit für reguläre "Arbeitsplätze" machen, die sie nie erhalten werden. Immer neue und immer dümmere "Maßnahmen" werden erfunden, nur um den Schein zu wahren, daß die leerlaufende gesellschaftliche Tretmühle bis in alle Ewigkeit in Gang bleiben kann. Je sinnloser der Arbeitszwang wird, desto brutaler soll den Menschen ins Hirn gehämmert werden, daß es kein Brötchen umsonst gibt. In dieser Hinsicht erweisen sich "New Labour" und seine Nachahmer überall in der Welt als durchaus kompatibel mit dem neoliberalen Modell der sozialen Selektion. Durch die Simulation von "Beschäftigung" und das Vorgaukeln einer positiven Zukunft der Arbeitsgesellschaft wird die moralische Legitimation geschaffen, um so härter gegen Arbeitslose und Arbeitsverweigerer vorzugehen. Gleichzeitig drücken staatlicher Arbeitszwang, Lohnsubventionen und sogenannte "ehrenamtliche Bürgerarbeit" die Arbeitskosten immer weiter nach unten. So wird der wuchernde Sektor von Billiglohn und Armutsarbeit massiv gefördert. Die sogenannte aktive Arbeitspolitik nach dem Modell von "New Labour" verschont nicht einmal chronisch Kranke und alleinerziehende Mütter mit Kleinkindern. Wer staatliche Unterstützung bekommt, wird erst dann aus dem amtlichen Würgegriff entlassen, wenn sein Namensschild am großen Zeh hängt. Der einzige Sinn dieser Zudringlichkeit besteht darin, möglichst viele Menschen davon abzuhalten, überhaupt noch irgendwelche Ansprüche an den Staat zu stellen und den Herausgefallenen derart widerliche Folterwerkzeuge zu zeigen, daß jede Elendsarbeit vergleichsweise angenehm erscheinen muß. Offiziell schwingt der paternalistische Staat die Peitsche immer nur aus Liebe und in der Absicht, seine als "arbeitsscheu" denunzierten Kinder im Namen ihres besseren Fortkommens streng zu erziehen. Tatsächlich haben die "pädagogischen" Maßnahmen einzig und allein das Ziel, die Klienten aus dem Haus zu prügeln. Welchen anderen Sinn sollte es sonst machen, Arbeitslose zur Spargelernte auf die Felder zwangszuverpflichten? Dort sollen sie polnische Saisonarbeiter verdrängen, die den Hungerlohn nur deswegen akzeptieren, weil er sich durch die Wechselkursverhältnisse für sie zu Hause in ein annehmbares Entgelt verwandelt. Den Zwangsarbeitern aber wird mit dieser Maßnahme weder geholfen noch gar irgendeine "Berufsperspektive" eröffnet. Und auch für die Spargelbauern sind die verdrossenen Akademiker und Facharbeiter, mit denen sie beglückt werden, ein einziges Ärgernis. Wenn aber nach dem Zwölfstundentag auf deutschem Mutterboden die blöde Idee, aus Verzweiflung eine Würstchenbude aufzumachen, plötzlich in freundlicherem Licht erscheint, dann hat die "Flexibilisierungshilfe" ihre erwünschte neubritische Wirkung gezeitigt. 4. Zuspitzung und Dementi der Arbeitsreligion Der neue Arbeitsfanatismus, mit dem diese Gesellschaft auf den Tod ihres Götzen reagiert, ist die logische Fortsetzung und Endstufe einer langen Geschichte. Seit den Tagen der Reformation haben alle tragenden Kräfte der westlichen Modernisierung die Heiligkeit der Arbeit gepredigt. Vor allem in den letzten 150 Jahren waren sämtliche Gesellschaftstheorien und politischen Strömungen von der Idee der Arbeit geradezu besessen. Sozialisten und Konservative, Demokraten und Faschisten haben sich bis aufs Messer bekämpft, aber trotz aller Todfeindschaft immer gemeinsam dem Arbeitsgötzen geopfert. "Die Müßiggänger schiebt beiseite" hieß es im Text der internationalen Arbeiterhymne - und "Arbeit macht frei" echote es schauerlich über dem Tor von Auschwitz. Die pluralistischen Nachkriegs-Demokratien schworen erst recht auf die immerwährende Diktatur der Arbeit. Selbst die Verfassung des stockkatholischen Bayern belehrt die Bürger ganz im Sinne der von Luther ausgehenden Tradition: "Arbeit ist die Quelle des Volkswohlstandes und steht unter dem besonderen Schutz des Staates." Am Ende des 20. Jahrhunderts haben sich alle ideologischen Gegensätze nahezu verflüchtigt. Übrig geblieben ist das gnadenlose gemeinsame Dogma, die Arbeit sei die natürliche Bestimmung des Menschen. Heute dementiert die arbeitsgesellschaftliche Wirklichkeit selber dieses Dogma. Die Priester der Arbeitsreligion haben immer gepredigt, der Mensch sei seiner angeblichen Natur nach ein "animal laborans". Er werde überhaupt erst zum Menschen, indem er wie einst Prometheus den Naturstoff seinem Willen unterwerfe und sich in seinen Produkten verwirkliche. Dieser Mythos des Welteroberers und des Demiurgen, der seine Berufung habe, war zwar schon immer ein Hohn auf den Charakter des modernen Arbeitsprozesses, aber er mochte im Zeitalter der Erfinderkapitalisten vom Schlage Siemens oder Edison und ihrer Facharbeiterbelegschaften noch ein reales Substrat besessen haben. Mittlerweile aber ist dieser Gestus vollends absurd geworden. Wer heute noch nach Inhalt, Sinn und Zweck seiner Arbeit fragt, wird verrückt - oder zum Störfaktor für das selbstzweckhafte Funktionieren der gesellschaftlichen Maschine. Der einstmals arbeitsstolze homo faber, der das, was er tat, auf seine bornierte Art noch ernst nahm, ist so altmodisch wie eine mechanische Schreibmaschine geworden. Die Mühle hat um jeden Preis zu laufen, und damit basta. Für die Sinnerfindung sind die Werbeabteilung und ganze Heerscharen von Animateuren und Betriebspsychologinnen, Imageberatern und Drogendealerinnen zuständig. Wo dauernd von Motivation und Kreativität geplappert wird, ist garantiert nichts mehr davon übrig - es sei denn als Selbstbetrug. Deshalb zählen die Fähigkeiten zu Autosuggestion, Selbstdarstellung und Kompetenz-Simulation heute zu den wichtigsten Tugenden von Managern und Facharbeiterinnen, Medienstars und Buchhaltern, Lehrerinnen und Parkplatzwächtern. Auch die Behauptung, die Arbeit sei eine ewige Notwendigkeit und den Menschen von der Natur aufgezwungen, hat sich an der Krise der Arbeitsgesellschaft gründlich blamiert. Seit Jahrhunderten wird gepredigt, dem Arbeitsgötzen sei allein schon deshalb zu huldigen, weil Bedürfnisse nun einmal nicht ohne schweißtreibendes menschliches Zutun von selbst befriedigt werden. Und der Zweck der ganzen Arbeits-Veranstaltung sei ja wohl die Bedürfnisbefriedigung. Träfe das zu, eine Kritik der Arbeit wäre so sinnvoll wie eine Kritik der Schwerkraft. Aber wie sollte denn ein wirkliches "Naturgesetz" in die Krise geraten oder gar verschwinden? Die Wortführer des gesellschaftlichen Arbeits-Lagers, von der leistungswahnsinnigen neoliberalen Kaviarfresserin bis zum gewerkschaftlichen Bierbauchträger, geraten mit ihrer Pseudo-Natur der Arbeit in Argumentationsnot. Oder wie wollen sie es erklären, daß heute drei Viertel der Menschheit nur deshalb in Not und Elend versinken, weil das arbeitsgesellschaftliche System ihre Arbeit gar nicht mehr brauchen kann? Nicht mehr der alttestamentarische Fluch "Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen" lastet auf den Herausgefallenen, sondern ein neues, erst recht unerbittliches Verdammungsurteil: "Du sollst nicht essen, denn dein Schweiß ist überflüssig und unverkäuflich." Und das soll ein Naturgesetz sein? Es ist nichts anderes als ein irrationales gesellschaftliches Prinzip, das als Naturzwang erscheint, weil es über Jahrhunderte hinweg alle anderen Formen sozialer Beziehung zerstört oder sie unterworfen und sich selbst absolut gesetzt hat. Es ist das "Naturgesetz" einer Gesellschaft, die sich für überaus "rational" hält, die aber in Wahrheit nur der Zweckrationalität ihres Arbeitsgötzen folgt, dessen "Sachzwängen" sie auch noch den letzten Rest ihrer Humanität zu opfern bereit ist. 5. Arbeit ist ein gesellschaftliches Zwangsprinzip Arbeit ist keineswegs identisch damit, daß Menschen die Natur umformen und sich tätig aufeinander beziehen. Solange es Menschen gibt, werden sie Häuser bauen, Kleidung und Nahrung ebenso wie viele andere Dinge herstellen, sie werden Kinder aufziehen, Bücher schreiben, diskutieren, Gärten anlegen, Musik machen und dergleichen mehr. Das ist banal und selbstverständlich. Nicht selbstverständlich aber ist, daß die menschliche Tätigkeit schlechthin, die pure "Verausgabung von Arbeitskraft", ohne jede Rücksicht auf ihren Inhalt, ganz unabhängig von den Bedürfnissen und vom Willen der Beteiligten, zu einem abstrakten Prinzip erhoben wird, das die sozialen Beziehungen beherrscht. In den alten Agrargesellschaften gab es alle möglichen Herrschaftsformen und persönlichen Abhängigkeitsverhältnisse, aber keine Diktatur des Abstraktums Arbeit. Die Tätigkeiten in der Umformung der Natur und in der sozialen Beziehung waren zwar keineswegs selbstbestimmt, aber ebensowenig einer abstrakten "Verausgabung von Arbeitskraft" unterworfen, sondern vielmehr eingebettet in komplexe Regelwerke von religiösen Vorschriften, sozialen und kulturellen Traditionen mit wechselseitigen Verpflichtungen. Jede Tätigkeit hatte ihre besondere Zeit und ihren besonderen Ort; es gab keine abstrakt-allgemeine Tätigkeitsform. Es war erst das moderne warenproduzierende System mit seinem Selbstzweck der unaufhörlichen Verwandlung von menschlicher Energie in Geld, das eine besondere, aus allen anderen Beziehungen "herausgelöste", von jedem Inhalt abstrahierende Sphäre der sogenannten Arbeit hervorbrachte - eine Sphäre der unselbständigen, bedingungslosen und beziehungslosen, roboterhaften Tätigkeit, abgetrennt vom übrigen sozialen Zusammenhang und einer abstrakten "betriebswirtschaftlichen" Zweckrationalität jenseits der Bedürfnisse gehorchend. In dieser vom Leben abgetrennten Sphäre hört die Zeit auf, gelebte und erlebte Zeit zu sein; sie wird zum bloßen Rohstoff, der optimal vernutzt werden muß: "Zeit ist Geld." Jede Sekunde wird verrechnet, jeder Gang zum Klo ist ein Ärgernis, jedes Schwätzchen ein Verbrechen am verselbständigten Produktionszweck. Wo gearbeitet wird, darf nur abstrakte Energie verausgabt werden. Das Leben findet woanders statt - oder auch gar nicht, weil der Zeittakt der Arbeit in alles hineinregiert. Schon die Kinder werden auf die Uhr dressiert, um einmal "leistungsfähig" zu sein. Der Urlaub dient bloß der Wiederherstellung der "Arbeitskraft". Und selbst beim Essen, beim Feiern und bei der Liebe tickt der Sekundenzeiger im Hinterkopf. In der Sphäre der Arbeit zählt nicht, was getan wird, sondern daß das Tun als solches getan wird, denn die Arbeit ist gerade insofern ein Selbstzweck, als sie die Verwertung des Geldkapitals trägt - die unendliche Vermehrung von Geld um seiner selbst willen. Arbeit ist die Tätigkeitsform dieses absurden Selbstzwecks. Nur deshalb, nicht aus sachlichen Gründen, werden alle Produkte als Waren produziert. Denn allein in dieser Form repräsentieren sie das Abstraktum Geld, dessen Inhalt das Abstraktum Arbeit ist. Darin besteht der Mechanismus der verselbständigten gesellschaftlichen Tretmühle, in der die moderne Menschheit gefangengehalten wird. Und eben deshalb ist auch der Inhalt der Produktion ebenso gleichgültig wie der Gebrauch der produzierten Dinge und wie die sozialen und natürlichen Folgen. Ob Häuser gebaut oder Tretminen hergestellt, Bücher gedruckt oder Gentomaten gezüchtet werden, ob darüber Menschen erkranken, ob die Luft vergiftet wird oder "nur" der gute Geschmack unter die Räder kommt - all das ist nicht von Belang, solange sich nur, auf welche Weise auch immer, die Ware in Geld und das Geld in neue Arbeit verwandeln läßt. Daß die Ware einen konkreten Gebrauch verlangt, und sei es einen destruktiven, ist für die betriebswirtschaftliche Rationalität völlig uninteressant, denn für diese gilt das Produkt nur als Träger von vergangener Arbeit, von "toter Arbeit". Die Anhäufung von "toter Arbeit" als Kapital, dargestellt in der Geldform, ist der einzige "Sinn", den das moderne warenproduzierende System kennt. "Tote Arbeit"? Eine metaphysische Verrücktheit! Ja, aber eine zur handgreiflichen Realität gewordene Metaphysik, eine "versachlichte" Verrücktheit, die diese Gesellschaft im eisernen Griff hält. Im ewigen Kaufen und Verkaufen tauschen sich die Menschen nicht als selbstbewußte gesellschaftliche Wesen aus, sondern sie exekutieren als soziale Automaten nur den ihnen vorausgesetzten Selbstzweck. 6. Arbeit und Kapital sind die beiden Seiten derselben Medaille Die politische Linke hat die Arbeit immer besonders eifernd verehrt. Sie hat die Arbeit nicht nur zum Wesen des Menschen erhoben, sondern sie damit auch zum vermeintlichen Gegenprinzip des Kapitals mystifiziert. Nicht die Arbeit galt ihr als Skandal, sondern bloß ihre Ausbeutung durch das Kapital. Deshalb war das Programm sämtlicher "Arbeiterparteien" auch immer nur die "Befreiung der Arbeit", nicht aber die Befreiung von der Arbeit. Der soziale Gegensatz von Kapital und Arbeit ist aber bloß der Gegensatz unterschiedlicher (wenn auch unterschiedlich mächtiger) Interessen innerhalb des kapitalistischen Selbstzwecks. Der Klassenkampf war die Austragungsform dieser gegensätzlichen Interessen auf dem gemeinsamen gesellschaftlichen Boden des warenproduzierenden Systems. Er gehörte der inneren Bewegungsdynamik der Kapitalverwertung an. Ob der Kampf nun um Löhne, um Rechte, um Arbeitsbedingungen oder um Arbeitsplätze geführt wurde: Seine blinde Voraussetzung blieb stets die herrschende Tretmühle mit ihren irrationalen Prinzipien. Vom Standpunkt der Arbeit zählt der qualitative Inhalt der Produktion genauso wenig wie vom Standpunkt des Kapitals. Was interessiert, ist einzig die Möglichkeit, die Arbeitskraft optimal zu verkaufen. Es geht nicht um die gemeinsame Bestimmung über den Sinn und Zweck des eigenen Tuns. Wenn es die Hoffnung jemals gab, eine solche Selbstbestimmung der Produktion könnte in den Formen des warenproduzierenden Systems verwirklicht werden, so haben die "Arbeitskräfte" sich diese Illusion schon längst abgeschminkt. Es geht nur noch um "Arbeitsplätze", um "Beschäftigung" - schon die Begriffe beweisen den Selbstzweck-Charakter der ganzen Veranstaltung und die Unmündigkeit der Beteiligten. Was und wofür und mit welchen Folgen produziert wird, ist dem Verkäufer der Ware Arbeitskraft am Ende genauso egal wie dem Käufer. Die Arbeiter der Atomkraftwerke und der Chemiefabriken protestieren am lautesten, wenn ihre tickenden Zeitbomben entschärft werden sollen. Und die "Beschäftigten" von Volkswagen, Ford oder Toyota sind die fanatischsten Anhänger des automobilen Selbstmordprogramms. Nicht etwa bloß deswegen, weil sie sich gezwungenermaßen verkaufen müssen, um überhaupt leben zu "dürfen", sondern weil sie sich tatsächlich mit diesem bornierten Dasein identifizieren. Soziologen, Gewerkschaftern, Pfarrern und anderen Berufstheologen der "sozialen Frage" gilt das als Beweis für den ethisch-moralischen Wert der Arbeit. Arbeit bildet Persönlichkeit, sagen sie. Zu Recht. Nämlich die Persönlichkeit von Zombies der Warenproduktion, die sich ein Leben außerhalb ihrer heißgeliebten Tretmühle gar nicht mehr vorstellen können, für die sie sich tagtäglich selber zurichten. So wenig aber die Arbeiterklasse als Arbeiterklasse jemals der antagonistische Widerspruch des Kapitals und das Subjekt der menschlichen Emanzipation war, ebensowenig steuern umgekehrt die Kapitalisten und Manager die Gesellschaft nach der Bösartigkeit eines subjektiven Ausbeuterwillens. Keine herrschende Kaste in der Geschichte hat jemals ein derart unfreies und erbärmliches Leben geführt wie die gehetzten Manager von Microsoft, Daimler-Chrysler oder Sony. Jeder mittelalterliche Gutsherr hätte diese Leute abgrundtief verachtet. Denn während er sich der Muße hingeben und seinen Reichtum mehr oder weniger orgiastisch verprassen konnte, dürfen sich die Eliten der Arbeitsgesellschaft selber keine Pause gönnen. Außerhalb der Tretmühle wissen auch sie nichts anderes mit sich anzufangen als wieder kindisch zu werden; Muße, Lust an der Erkenntnis und sinnlicher Genuß sind ihnen so fremd wie ihrem Menschenmaterial. Sie sind selber nur Knechte des Arbeitsgötzen, bloße Funktionseliten des irrationalen gesellschaftlichen Selbstzwecks. Der herrschende Götze weiß seinen subjektlosen Willen über den "stummen Zwang" der Konkurrenz durchzusetzen, dem sich auch die Mächtigen beugen müssen, gerade wenn sie Hunderte von Fabriken managen und Milliardensummen über den Globus schieben. Tun sie es nicht, werden sie ebenso rücksichtslos ausrangiert wie die überflüssigen "Arbeitskräfte". Aber gerade ihre eigene Unmündigkeit macht die Funktionäre des Kapitals so maßlos gefährlich, nicht ihr subjektiver Ausbeuterwille. Sie dürfen am allerwenigsten nach dem Sinn und den Folgen ihres rastlosen Tuns fragen, Gefühle und Rücksichten können sie sich nicht leisten. Deshalb nennen sie es Realismus, wenn sie die Welt verwüsten, die Städte verhäßlichen und die Menschen mitten im Reichtum verarmen lassen. 7. Arbeit ist patriarchale Herrschaft Auch wenn die Logik der Arbeit und ihrer Verwurstung zur Geldmaterie danach drängt, so lassen sich doch nicht alle gesellschaftlichen Bereiche und notwendigen Tätigkeiten in diese Sphäre der abstrakten Zeit hineinpressen. Deshalb entstand zusammen mit der "herausgelösten" Sphäre der Arbeit, gewissermaßen als deren Rückseite, auch die Sphäre des privaten Haushalts, der Familie und der Intimität. In diesem als "weiblich" definierten Bereich verbleiben die vielen und wiederkehrenden Tätigkeiten des alltäglichen Lebens, die sich nicht oder nur ausnahmsweise in Geld verwandeln lassen: vom Putzen und Kochen über die Kindererziehung und die Pflege alter Menschen bis zur "Liebesarbeit" der idealtypischen Hausfrau, die ihren ausgelaugten Arbeitsmann betütert und ihn "Gefühle tanken" läßt. Die Sphäre der Intimität als Rückseite der Arbeit wird deshalb von der bürgerlichen Familienideologie zum Hort des "eigentlichen Lebens" verklärt - auch wenn sie in der Realität meistens eher eine Intimhölle ist. Es handelt sich eben nicht um eine Sphäre des besseren und wahren Lebens, sondern um eine ebenso bornierte und reduzierte Form des Daseins, die nur mit einem anderen Vorzeichen versehen wird. Diese Sphäre ist selber ein Produkt der Arbeit, von dieser zwar abgespalten, aber doch nur existent im Bezug auf sie. Ohne den abgespaltenen sozialen Raum der "weiblichen" Tätigkeitsformen hätte die Arbeitsgesellschaft niemals funktionieren können. Dieser Raum ist ihre stumme Voraussetzung und gleichzeitig ihr spezifisches Resultat. Das gilt auch für die geschlechtlichen Stereotypen, die in der Entwicklung des warenproduzierenden Systems ihre Verallgemeinerung erfuhren. Nicht zufällig verfestigte sich das Bild der natur- und triebhaften, irrationalen und emotional gesteuerten Frau erst zusammen mit dem des kulturschaffenden, vernünftigen und beherrschten Arbeitsmannes zum Massenvorurteil. Und nicht zufällig ging die Selbstzurichtung des weißen Mannes für die Zumutungen der Arbeit und ihrer staatlichen Menschenverwaltung mit einer jahrhundertelangen wütenden "Hexenverfolgung" einher. Auch die gleichzeitig beginnende naturwissenschaftliche Weltaneignung war schon in ihren Wurzeln kontaminiert durch den arbeitsgesellschaftlichen Selbstzweck und seine geschlechtlichen Zuschreibungen. Auf diese Weise trieb der weiße Mann, um reibungslos funktionieren zu können, all die Gefühlslagen und emotionalen Bedürfnisse aus sich selber aus, die im Reich der Arbeit nur als Störfaktoren zählen. Im 20. Jahrhundert, besonders in den fordistischen Nachkriegs-Demokratien, wurden die Frauen zunehmend in das System der Arbeit einbezogen. Aber das Resultat war nur ein weibliches Schizo-Bewußtsein. Denn einerseits konnte das Vordringen der Frauen in die Sphäre der Arbeit keine Befreiung bringen, sondern nur dieselbe Zurichtung für den Arbeitsgötzen wie bei den Männern. Andererseits blieb die Struktur der "Abspaltung" ungebrochen bestehen und damit auch die Sphäre der als "weiblich" definierten Tätigkeiten außerhalb der offiziellen Arbeit. Die Frauen wurden auf diese Weise einer Doppelbelastung unterworfen und gleichzeitig völlig gegensätzlichen sozialen Imperativen ausgesetzt. Innerhalb der Sphäre der Arbeit bleiben sie bis heute überwiegend auf schlechter bezahlte und subalterne Positionen verwiesen. Daran wird kein systemkonformer Kampf für Frauenquoten und weibliche Karriere-Chancen etwas ändern. Die erbärmliche bürgerliche Vision einer "Vereinbarkeit von Beruf und Familie" läßt die Sphärentrennung des warenproduzierenden Systems und damit die geschlechtliche "Abspaltungs"-Struktur völlig unangetastet. Für die Mehrheit der Frauen ist diese Perspektive unlebbar, für eine Minderheit von "Besserverdienenden" wird sie zur perfiden Gewinnerposition in der sozialen Apartheid, indem sie Haushalt und Kinderbetreuung an schlechtbezahlte (und "selbstverständlich" weibliche) Angestellte delegieren können. In der Gesamtgesellschaft wird die bürgerlich geheiligte Sphäre des sogenannten Privatlebens und der Familie in Wahrheit immer weiter ausgehöhlt und degradiert, weil die arbeitsgesellschaftliche Usurpation die ganze Person, völlige Aufopferung, Mobilität und zeitliche Anpassung fordert. Das Patriarchat wird nicht abgeschafft, es verwildert nur in der uneingestandenen Krise der Arbeitsgesellschaft. In demselben Maße, wie das warenproduzierende System zusammenbricht, werden die Frauen für das Überleben auf allen Ebenen verantwortlich gemacht, während die "männliche" Welt die Kategorien der Arbeitsgesellschaft simulativ verlängert. Das vollständige Manifest ist zu bestellen bei: Förderverein und Redaktion Krisis e.V., Postfach 2111, 91011 Erlangen http://www.jungle-world.com/_99/32/15a.htm ________________________________________________________________________________ no copyright 1999 rolux.org - no commercial use without permission. is a moderated mailing list for the advancement of minor criticism. more information: mail to: majordomo@rolux.org, subject line: , message body: info. further questions: mail to: rolux-owner@rolux.org. archive: http://www.rolux.org