________________________________________________________________________________ Daher nimmt, wie Bachelard schreibt, die »Realität einer Linie in dem Maße zu, je mehr und je verschiedeneren Flächen sie angehört, genauer gesagt (...) bemißt sich das Wesen eines mathematischen Begriffs an den Möglichkeiten der Deformationen, die den Anwendungsbereich dieses Begriffs zu erweitern gestatten«. Um sich mit einem Mittel auszurüsten, das die sozialen Bedingungen und die Produktion des präkonstruierten Gegenstandes (der psychiatrischen Klinik und des Geisteskranken) erfaßt, die eine »Soziologie der Geisteskrankheiten« schlicht und einfach ihrerseits übernommen hätte, galt es, das Netz augenscheinlicher Beziehungen zu zerreißen, in das die Wahnsinnigen und der Wahn sich für den Hausverstand eingezeichnet finden; darum ersetzte er die Reihe Wahnsinniger, Wahnsinn, Neurose, Psychiater, psychiatrische Klinik, Heilung durch die Begriffsreihe, die sie verschleiert: Internierter, Internierung, Internat, Gefängnis, Kaserne, Konzentrationslager, Zwangseinweisung. Kurzum, der Bruch mit den ideologischen Vorstellungen über den Wahnsinn und insbesondere der Bruch mit der humanitären Doktrin, die die offiziell mit seiner Heilung beauftragten Institutionen auf ihre Fahne schreiben, geht einher mit der Konstruktion des Systems der »total institutions«, der paradoxen Vertauschung der Organisationen, die ohne jeden Zusammenhang bleibt, solange man nur deren deklarierte Absichten betrachtet. Man braucht also nur jede der für dieses System konstitutiven Institutionen (oder Klassen von Institutionen) als ebensoviele isomorphe Fälle ein und derselben Transformationsgruppe aufzufassen, und verfügt damit über ein Mittel, das die charakteristischen Invarianten zu begreifen gestattet, die eine jede von ihnen der Logik der »total institutions« verdankt: beläßt man sie in ihrem isolierten Zustand, verschleiert die psychiatrische Klinik zweifellos mit mehr Erfolg als jede andere Institution ihre Zugehörogkeit zum System sowie die typischen Merkmale ihrer Betriebsweise, die vor allem dank der wissenschaftlichen Autorität der psychiatrischen Fachsprache, in der sich ihre deklarierten Funktionen ausdrücken, aus dieser Zugehörigkeit resultieren. Ist aber die Reihe der »total institutions« konstruiert, entlarvt sie um ebensoviel gründlicher als die andere die Logik der ideologischen Verschleierung. fr.sci fr.sci.astronomie fr.sci.automatique fr.sci.biometrie fr.sci.chimie fr.sci.cogni fr.sci.divers fr.sci.electronique fr.sci.geosciences fr.sci.jargon fr.sci.maths fr.sci.philo fr.sci.physique fr.soc fr.soc.alcoolisme fr.soc.alternatives fr.soc.complots fr.soc.divers fr.soc.economie fr.soc.histoire fr.soc.homosexualite fr.soc.internet fr.soc.politique fr.soc.religion fr.soc.rural fr.soc.sectes Die Symbole, wie sie von den kulturellen Formationen, den Mythen oder Riten in noch stärkerem Maße als von der Sprache verwandt werden, besitzen nicht die artifizielle Reinheit der willkürlichen Symbole, wie eine formale Logik sie auffaßt. In höherem Grade noch als die Figuren der Geometrie stellen sie sich als konkrete Individualitäten dar, die eher an-und-für-sich-selbst als in Beziehung zur Gesamtheit der zur selben Klasse gehörigen Phänomene behandelt zu werden verlangen; die Mythen, Riten oder sogar philosophische und literarische Werke, die anderen Traditionen angehören, sind gegen ihre Entschlüsselung vielleicht weniger durch den Anschein von Absurdität und Inkohärenz geschützt, wie er oft bei denen erweckt wird, die keinen Interpretationsschlüssel besitzen und sich darüber hinaus nicht einmal bewußt sind, daß er ihnen fehlt, als durch den Schein von Sinn, der bei einer bruchstück- und stichprobenhaften Lektüre entsteht, die es praktisch verhindert, den Sinn eines jeden symbolischen Elements - statt ihn von irgendeiner Art Illumination zu erhoffen - dadurch zu begreifen, daß man es methodisch zu allen anderen Elementen derselben Klasse in Beziehung setzt. [...] Diese Konstruktion ist ein vorzügliches Mittel, um die Skala der realen Verhaltensweisen zu begreifen, die sich mit Hilfe des Idealtypus objektivieren lassen, indem dieser ihren differentiellen Abstand zum reinen Typen erfaßt und bestimmt: Dieser Konsequenz folgt Mauss, wenn er den 'Potlatch' als die »äußerste Form« der Tauschgruppe totalen oder agonistischen Typs bevorzugt; sie erlaubt es ebenfalls, den Pariser Sorbonnestudenten bürgerlicher Herkunft mit seiner Neigung zum Dilettantismus zu einem Ansatzpunkt zu machen, der besonders geeignet ist, um das Modell der möglichen Beziehungen zwischen der soziologischen Wahrheit der studentischen Lage und ihrer ideologischen Transformation zu begreifen. So wie der Mathematiker die Definition der Geraden als Kurve oder Krümmung das Prinzip einer generellen Kurventheorie entnehmen kann, erlaubt die Konstruktion eines Reihenmodells, verschiedene soziale Formationen als ebensoviele Realisierungen ein und derselben Transformationsgruppe zu begreifen und auf diese Weise die verborgenen Eigenschaften sichtbar zu machen, die sich nur enthüllen, wenn man sie zu allen anderen, d. h. zum kompletten System der Beziehungen, in dem das Prinzip ihrer strukturellen Verwandtschaft sich ausdrückt, in Relation setzt. Bekanntlich ist es noch nicht lange her, seit es nach langer abstraktiver Arbeit gelang, den Gegenstand der Geometrie als reines Relationssystem zu begreifen und sich vom Denken in Substanzen zu befreien, das die geometrischen Figuren als realiter existierende Gebilde zu begreifen suchte, anstatt sie in ihren reziproken Beziehungen zu betrachten. Schließlich stellte man fest, daß die einzelnen Elemente ihre Eigenschaften nur den Beziehungen, die sie untereinander zu einem System verbinden, d. h. der Funktion verdanken, die sie in dem System erfüllen, und entdeckte am Ende, daß eine jede Geometrie nichts anderes ist als ein reines Relationssystem, das von den Prinzipien, unter deren Herrschaft diese Beziehungen stehen, bestimmt ist, nicht aber von der immanenten Beschaffenheit der Figuren, die in diese Beziehungen eintreten. So lassen sich z. B. die Punkte, Geraden, Planfiguren der euklidischen Geometrie durch unendlich viele, vollkommen unterschiedliche Gegenstände ersetzen, ohne daß dadurch die Gültigkeit der entsprechenden Theoreme im geringsten eingeschränkt würde. Daher nimmt, wie Bachelard schreibt, die »Realität einer Linie in dem Maße zu, je mehr und je verschiedeneren Flächen sie angehört, genauer gesagt (...) bemißt sich das Wesen eines mathematischen Begriffs an den Möglichkeiten der Deformationen, die den Anwendungsbereich dieses Begriffs zu erweitern gestatten«. ------------------------------------------------------------ 1001-1 class library ________________________________________________________________________________ no copyright 1999 rolux.org - no commercial use without permission. is a moderated mailing list for the advancement of minor criticism. more information: mail to: majordomo@rolux.org, subject line: , message body: info. further questions: mail to: rolux-owner@rolux.org. archive: http://www.rolux.org