________________________________________________________________________________ Vorsicht Baustelle Stefan Krempl 28.05.99 Der Aufbau von ICANN kommt langsam voran, doch gerade die Vertreter der nichtkommerziellen Netizens sehen sich an den Rand gedrängt. Der meistgebrauchte Satz Esther Dysons während der Pressekonferenz zum Ende der dritten Sitzung der im Aufbau befindlichen Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) lautete sinngemäß: Wir haben die Vorschläge nicht zurückgewiesen, eine Entscheidung aber verschoben. Die Übergangspräsidentin der Körperschaft, die bis zum September 2000 das Management der technischen Grundfunktionen für den Betrieb des Netzes wie die Vergabe von Domain-Namen und ihre Zuordnung zu den ihnen zugrundeliegenden Protokoll-Nummern voll übernehmen soll, zeigte sich sichtlich bestrebt, Vertrauen bei der Internet-Gemeinde in ICANN und ihren vorläufigen Verwaltungsrat aufzubauen und niemandem auf die Füße zu treten: "Es ist eine große Herausforderung für uns, die weltweite Community zu vertreten." Daß "verschoben" aber auch "aufgehoben" heißen könnte, fürchten die von den verzögerten Entscheidungen Betroffenen. Dyson verkündete, daß in Berlin zwei der drei den endgültigen ICANN-Verwaltungsrat wählenden und unterstützenden Organisationen (Support Organizations) ins Leben gerufen worden seien. Zum einen hat sich die Domain Name Supporting Organization (DNSO), die sich als eine der wichtigsten Komponenten mit der Zukunft des Domain Name Systems und somit auch mit der Vergabe von Top Level Domains beschäftigen wird, aus sechs Einheiten konstituiert, für die Domain-Namen aus unterschiedlichen Interessen eine große Bedeutung haben. Dazu gehören Vertreter der Register der allgemeinen Top Level Domains wie .com, .org oder .net und der Länderdomains wie .de oder .uk, kommerzielle Interessensvertreter, Wächter über Aspekte von mit Domain-Namen verbundenen Urheberrechten, eine Gruppe mit Vertretern von Internetprovidern sowie von Registrierungsstellen wie etwa Denic in Deutschland, die für spezifische Domains Anmeldungen durchführen. Daneben wurde auch die Protocoll Supporting Organization (PSO) gebildet und vom Verwaltungsrat anerkannt. Die PSO soll vor allem die Implementierung des für die Erweiterung des Adreßraums im Netz dringend benötigten Internet-Protokolls der nächsten Generation (Ipv6) beschleunigen und so gewährleisten, daß all den ins Internet drängenden Nutzern und ihren Kühlschränken oder Mikrowellen Kennnummern für die Teilnahme am Netzverkehr zur Verfügung stehen. Steht also nur noch die Gründung der Address Supporting Organization (ASO) aus, die mehr oder weniger die Aufgaben der Internet Assigned Numbers Authority (IANA) übernehmen und dafür Sorge tragen wird, daß der Rechner 129.4.134.175 im Netz unter einem, so Dyson, "für Menschen merkbaren Namen" erreichbar ist. Die Übergangspräsidentin hegt allerdings die Hoffnung, daß die ASO beim nächsten ICANN-Treffen in Santiago de Chile ihre Arbeit aufnehmen kann. Jede der Support Organizations wird letztlich drei der 19 endgültigen Direktoren des dann kompletten Verwaltungsrats wählen. Über die Prozedur der Wahl der restlichen zehn Mitglieder versucht sich gerade ein extra gegründeter Beirat, das Membership Advisory Committee (MAC) zu verständigen. (Noch) kein Mitspracherecht für Non-Profit-Sektor Soweit, so kompliziert. Doch hinter den Kulissen brodelt bei manchem die Verzweiflung. Gerade um die Konstituierung des DNSO ist ein Streit entbrannt, weil der Verwaltungsrat eine siebte Gruppe, die die Interessen der nicht-kommerziellen Domain-Namen vertreten sollte, nicht anerkannte bzw., so Dyson, die Anerkennung "verschoben hat." Ein "Ausgleich von Interessen" in der DNSO sei in weite Ferne gerückt, empörte sich Joop Teermstra von der Vereinigung der Individual Domain Name Owners (IDNO), der extra für die geplante Konstituierung der Gruppe auf eigene Kosten von Neuseeland nach Berlin geflogen war. "Der Verwaltungsrat will die Stimme der nichtkommerziellen Nutzer blockieren", fürchtet auch Michael Sondow, Vorsitzender des International Congress of Independent Internet Users . Ohne eine Vertretung des Non-Profit-Sektors seien die ICANN-Pläne hinfällig. Dyson, die seit Jahren die durchs Internet vorangetriebene Machtverschiebung von großen zu kleinen Unternehmen, vom Konzern zum Individum hin predigt, sah sich durch diese Kritik in die Enge getrieben. Sie sei nach wie vor "persönlich begeistert" von den Potentialen des Netzes, ließ die Venture-Kapitalgeberin und häufig Rußlandreisende die Pressevertreter wissen. Es sei deshalb keine Frage, daß es eine Rolle für das Individiuum bei ICANN geben müßte. Die Problematik sei aber überaus komplex. Zum einen seien Individuen nicht von ihrer Natur her ohne kommerzielle Tendenzen geschaffen. Jeder könne seine Website schließlich sowohl fürs Verkaufen oder für nichtkommerzielle Aktivitäten verwenden, man könne da kaum einen Trennstrich ziehen. Außerdem mache sich der Verwaltungsrat noch immer viele Gedanken darüber, wie man eine größtmögliche Beteiligung der Nutzer an und der Mitgliedschaft bei ICANN gestalten könne, ohne die Leitungsfunktionen des Gremiums ad absurdum zu führen. "Es gibt 6 Milliarden Menschen in der Welt - doch wie viele interessieren sich wirklich für ICANN?", fragte Dyson. Solle man sich also für eine begrenzte Mitgliedschaft entscheiden und Leute im Boot haben, die das Netz wirklich vorantreiben wollen oder viele Millionen Mitglieder akzeptieren, die dann blind oder nach Geheiß ihrer Firmen und Regierungen wählen würden? Natürlich sehe man auch, daß die geographische Verteilung der sich bei ICANN engagierenden Unternehmen und Institutionen noch keineswegs den Ansprüchen gerecht werde und auch das Netz nach wie vor sehr amerikanisch geprägt sei. Deswegen werde man aber im nächsten Frühjahr in Afrika eine Sitzung abhalten, wo man natürlich auch für die Beteiligung der dortigen Nationen werben wolle. "Ich hoffe natürlich", sagte Dyson mit einem Lächeln, "daß die Menschen dort sich dafür entscheiden, daß sie ohne ICANN nicht leben können." Langer Rede, kurzer Sinn: Die Gruppe der nichtkommerziellen Interessensvertreter sei keineswegs zunächst abgewiesen worden, weil man ihre Bedeutung nicht erkannt habe. Die unterschiedlichen Organisationen des Non-Profit-Sektors seien aber unter sich zu sehr zerstritten gewesen und hätten alle die gesamte Gruppe kontrollieren wollen. Der Verwaltungsrat habe sie daher gebeten, ein "einheitliches Regel-Set" aufzustellen und innerhalb der nächsten Wochen ein neues Konzept einzureichen. Verschoben wurde auch eine Stellungnahme des Boards zu den WIPO-Vorschlägen für den Umgang mit Domain-Namen-Streitigkeiten und Spekulanten, die die DNSO zunächst ausführlicher behandeln soll. Keine Neuheiten auch in der Frage der Schaffung neuer Top Level Domains wie .store oder .firm: Zunächst sei es wichtig, daß für die .com-Domain verläßliche Verfahrensregeln etabliert würden, erläuterte Michael Roberts, Übergangsgeschäftsführer von ICANN. Nur dann seien Konflikte zwischen Markeninhabern und Individuen oder anderen Unternehmen, die durch die Einführung neuer Domains sonst noch verstärkt werden könnten, zu verhindern. Daß ICANN es mit der Schaffung des Wettbewerbs unter den Registrierungsstellen Ernst meint, wollte der Verwaltungsrat dann auch noch beweisen. So wurde Network Solutions Inc. (NSI), die momentan noch das Vergabemonpol für die wichtigsten allgemeinen Top Level Domains innehat, gebeten, nur einen Vertreter statt der eigentlich in den ICANN-"Bylaws" erlaubten drei für den Namensrat, der den Kern der DNSO bilden soll, zu nominieren. NSI hat die "Bitte" bisher nicht kommentiert. Siehe auch den Bericht vom ICANN-Meeting vom 27.05.99 from: http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/2891/1.html more: http://www2.hu-berlin.de/~h0444wol/rolux/archive/111.txt http://www2.hu-berlin.de/~h0444wol/rolux/archive/097.txt http://www2.hu-berlin.de/~h0444wol/rolux/archive/095.txt ________________________________________________________________________________ no copyright 1999 rolux.org - no commercial use without permission. is a moderated mailing list for the advancement of minor criticism. more information: mail to: majordomo@rolux.org, subject line: , message body: info. further questions: mail to: rolux-owner@rolux.org. archive: http://www.rolux.org