********************* Arne Höcker ********************** Nach einer in der vergangenen Woche durchgeführten Umfrage glauben 94 Prozent aller Amerikaner, daß Fernsehen, Filme und Computerspiele zu den Ursachen für das Massaker in Littleton gehören. Die Meinungsforscher von Gallup ermittelten außerdem, daß fpr 82 Prozent der Befragten DAS INTERNET ZUMINDEST TEILWEISE FÜR DEN AMOKLAUF VERANTWORTLICH SEI. Computer, Ballerspiele und die universale Vernetzung werden zu Sündenböcken gemacht, auf gleicher Höhe mit den offensichtlich versagenden Eltern der jugendlichen Täter. Die Folgen sind dramatisch, jedenfalls aus der Sicht junger Menschen, die ein enges Verhältnis zum Computer haben. Sie werden zu gefährdeten, gar gefährlichen Außenseitern stilisiert, das alte, nachweislich falsche Urteil vom einsamen und verhaltensgestörten Computerfreak wiederbelebt. Eine Organisation mit dem Namen National School Safety Center veröffentlichte jetzt eine LISTE VON MERKMALEN, mit denen sich potentielle Gewaltkids angeblich verdächtig machen. Das Machwerk liest sich wie eine Anleitung zur Ausgrenzung von unangepaßten Kindern aller Art. Wer öffentlich zugibt an brutalen Ballerspielen wie Doom oder Quake Gefallen zu finden (letzteres spielten die Mörder von Littleton), soll zum Schulpsychologen geschickt werden - bei Weigerung droht der Rauswurf aus der Schule. Auch das stunden- und tagelange Feilen an einem Programmcode ohne Rücksicht auf Spiele der Schulmanschaften soll so asozial sein, daß eine genauere Untersuchung geboten erscheint. In dem Online-Angebot Slashdot, eigentlich einem Forum für unabhängige Programmierer und Techniker, sammelte der Journalist John Katz Hunderte von Erfahrungsberichten junger Computerfreaks, die durchweg ein düsteres Bild vom Alltag technisch interessierter Jugendlicher zeichnen. "Haltet durch!" rät der ältere teilnahmsvoll: Nach der Schulzeit werden die nerds gegenüber den sporttreibenden Normalos DIE BESSEREN KARRIERECHANCEN haben. Diese Paranoia ist kein rein amerikanisches Phönomen. Auch in Deutschland gibt es seit dem Littleton-Massaker entsprechende Reaktionen besorgter Erwachsener. Deren Argwohn erregen vor allem jene Aktivitäten der Jugendlichen, die sich der elterlichen Kontrolle entziehen. Unter Androhung von Hausarrest oder Computerentzug werden Jugendliche dazu gezwungen, IHRE PASSWÖRTER HERAUSZUGEBEN oder die privat verschlüsselten Bereiche von Computerfestplatten für den elterlichen Zugriff offenzulegen. Junge Quake-Fans berichten, ihre Eltern hätten alle Computerspiele konfisziert, aber den Zugriff auf E-Mail, Kabel-TV und Videorecorder bestehenlassen, denn die gehören ja zur modernen ERziehung, die überall gepredigt wird. Computerkenntnisse ja - nur sauber müssen sie sein. Wer sich zu intensiv mit dem rechner beschäftigt, Ballerspiele startet oder gar EIN SPIEL DER GATTUNG "SEX & RUN" auf die festplatte lädt, wird schnell zum Einzelgänger abgestempelt. Verdächtig macht sich, wer im Internet nicht das saubere Reich des elektronischen Handelns sieht, sondern den größten Spickzettel der Welt - Bombenbauanleitungen inbegriffen. [Detlev Borchers in Die Zeit Nr.19/99 vom 6. Mai 1999; Hervorhebungen: Die Zeit] ******************************************************************************** ROLUX h0444wol@rz.hu-berlin.de http://www2.hu-berlin.de/~h0444wol/rolux/