************ Sebastian Lütgert ************ Entpolitisierte Kulturkritik und der Krieg in Jugoslawien von Felix Reidenbach Während die Regierungspartei SPD in Jugoslawien Bundeswehr-Flieger Bomben werfen ließ, focht ihr Fraktionsvorsitzender Struck vor Bundestag und TV-Öffentlichkeit mit feinerer Klinge: Die Belgrad-Reise seines PDS-Amtskollegen Gysi bezeichnete er in der zurückhaltenden Stimmlage einer Mikrophon-Sprechprobe als "peinlich". Die Lautsprecheranlage verstärkte dabei die Leisheit des Gesagten in solchem Maße, daß noch auf den hintersten Plätzen nicht zu überhören war: hier hat es einer nicht nötig groß rumzutönen, hier näselt einfach das gewisse Etwas. Peinlichkeit öffentlich definieren zu wollen, setzt voraus, sich auf diesem Gebiet für unangreifbar kompetent zu halten. Und obwohl bzw. gerade weil es sich bei Peinlichkeitsproblemen eher um Fragen des Stils als um inhaltliche zu handeln scheint, spricht ein Inhaber des Stilsicherheits-Monopols von einer subjektiv besonders unbeirrbaren Warte aus - da wird aus einer begründbaren Ansicht schnell mal eine "tiefste Überzeugung" und lebt politisches Urteilsvermögen auf Pump, indem es beim Stilempfinden zusätzlich Sicherheiten aufnehmen zu können glaubt. Es sind diese Schein-Sicherheiten, die rhetorisch den Jugoslawien-Krieg mitbestimmen. Das vielbeschworene "Entsetzen darüber, daß so etwas am Ende des 20. Jahrhunderts mitten in Europa noch einmal möglich wurde", kann sich auch bei der Beobachtung einstellen, daß eine deutsche Regierung derzeit stilistisch, ästhetisch, mit einem Wort: kulturkritisch keine größere Gegenmacht zu fürchten hat. Die "Gleichschaltung" der deutschen Medien, die momentan von einigen Kritikern bemerkt wird, ist weniger ein expliziter Weisungseingriff als vielmehr das Ergebnis eines Entpolitisierungsprozesses der Kultur bzw. ihrer implizit kritischen Aspekte. Es gibt keine Sendungen, keine Zeitschriften, keine Formate, keine Lifestyles, kaum ästhetische Positionen, von welchen aus das Doppel Schröder/Fischer wirksam als ästhetisch inkompetent dargestellt werden könnte. Als Menschen in Machtpositionen fehlt ihnen damit ein in der Nachkriegszeit bestimmend gewesenes politischen Korrektiv, nämlich ein ständig leicht blinkendes Alarm-Instrument für drohende Machteinbußen: Es fehlt ihnen, aber auch der Öffentlichkeit, die Möglichkeit, Fragwürdigkeiten nicht erst auf der Ebene behäbiger, sich einlassender Argumentationen zu bemerken, sondern schon in Gestalt evidenter Gegenentwürfe. Ästhetik als ein die Politik betreffendes Damoklesschwert begünstigte traditionell, daß mit der Formel 'Herrschaft auf Zeit' nicht eine bloße Personalfrage gemeint war, sondern zugleich ein Infragestehen herrschender Lebensverhältnisse. Weder die provinziellen Kohl/Kinkel, noch die herzkranken Schmidt/Genscher, noch selbst die nackengelockten Brandt/Scheel konnten in der Illusion leben, ästhetisch die am stärksten vorausweisende Kraft darzustellen - sie waren auf diesem Gebiet schon bei Amtsantritt deutlich sichtbar älteres Eisen. Mit dem Duo Kaschmir-Kanzler/Turnschuh-Minister haben sich die einander beherrschenden Sphären Politische Administration und Öffentlichkeit für kulturkritische Selbstrelativierungen unempfindlich gemacht. Man kann sich den Entpolitisierungsprozeß, der in der Kritikkultur der letzen Jahre stattgefunden hat, an dem Bedeutungswandel veranschaulichen, den die Turnschuhe an den Füßen Joschka Fischers durchgemacht haben - seit dessen oft abgebildeter Vereidigung zum ersten grünen Landesminister 1985 in Hessen hat sich die politische Bedeutung dieses Kleidungsstücks vielleicht noch stärker geändert als die politische Haltung ihres Trägers: Während die frühen Fischer-Turnschuhe noch "Fight for Your Right" sagten und vor der Polizei davonliefen, sagen die späten "Fit for Fun" und lassen die Polizisten zum Personenschutz hinterherjoggen. Während sie also noch in den achtziger Jahren ein machtskeptisches und autoritätskritisches Signal abgaben (natürlich auch, um Wählerstimmen zu erlangen), stellten sie in den späten Neunzigern eine gegenteilige Haltung dar: einen Fitness-Lifestyle, der körperästhetisch unangreifbar machen soll, indem er sich den ästhetischen Autoritäten, nämlich Popstars, Models usw. gleichmacht. Zwar ist auch die gewandelte, verlifestylte Bedeutung der Turnschuhe objektiv politisch. Ihr Signalcharakter aber, ihre öffentlich-konventionalisierte Politizität, verschwindet hinter der scheinbar rein privaten Verwendung als Sportschuhe, als scheinbar nicht-zeichenhaftes, reines Fortbewegungsmittel. Es ist nicht neu zu bemerken, daß Outfits und Stylings ihre Bedeutung als Kritik-Instrumente politischer Oppositionenbildung im Lauf der letzten Jahrzehnte immer stärker eingebüßt haben: gegelt und gepeirct ist man heute beiderseits des Bankschalters oder des Polizeischlagstocks. Widersinnigerweise hält sich jedoch gleichzeitig hartnäckig das 'linke' oder auch nur 'gesellschaftskritische' Image des großen Haufens der Kultur-Waren und -Dienstleistungen, insbesondere der "jungen" oder "modernen", oder der "Popkultur". (Immer wieder gibt es Models, die, obwohl sie vielleicht in zwar reaktionären, aber ästhetisch höchstkompetenten redaktionellen Fotostrecken zu sehen sind, in Interviews lieber über irgendeine drittklassige und mindestens so reaktionäre Schauspielrolle sich promoten hören. Schauspiel gilt numal ebenso wie Popmusik und andere Publikations-Sparten als Kunst und Kunst 'irgendwie' als gesellschaftskritisch, als nicht undufte.) Bei den beiden größeren Anti-NATO-Bomben-Demos, die es in den letzten vier Wochen in Hamburg gab, war die poppige Scheinlinke praktisch nicht vertreten. Graumäusiger hat eine Demonstrantenschaft nie ausgesehen, und setzte sich zum Beispiel das Publikum der Harald-Schmidt-Show aus Leuten solch schlammfarbener Gesinnung zusammen, blieben der Sendung sämtliche Werbekunden weg. (Nebenbei: für Entpolitisiertheit und Unpeinlichkeitsbeflissenheit ist die Harald-Schmidt-Show besonders symptomatisch der neuen rechten Mitte der poppigen Pseudolinken bei der Ausprägung ihres Stilprofils behilflich - der Kireg und seine Medienpräsenz kommen gegenwärtig dort in solcher Konsequenz nicht vor, daß man dauernd das Gefühl hat, es handele sich um eine überlange Wiederholungsstaffel.) Leider wird in sich für links haltenden Debatten der Bemerkung, Kulturkritik sei entpolitisiert, immer wieder der Vorwurf des Kulturpessimismus gemacht - auch dann, wenn niemand gesagt hat, früher sei alles besser gewesen. Das Aufrechterhalten des Fortschrittlichkeits-Mythos der (Pop-)Kultur, kann man darauf nur entgegnen, ist Kulturoptimismus. Das lasche Blatt, in welchem dies geschrieben steht, ist weitenteils ein trauriges Organ solch kulturoptimistischer Verdummtheit. Um es mal klar zu sagen und wenigstens einmal gedruckt zu sehen: Ich will in Publikationen nicht mehr das Gewäsch von Vorteilen lesen, die irgendeine vefickte CD oder sonstein Kulturerzeugnis angeblich hat (für wen? für wieviele?). Vorteilsliteratur gibt es genug. Ich will eine Kulturkritik, die Nachteile explizit macht. Es ist meiner Beobachtung nach die schlimmste, weil generationenübergreifend festestsitzende aller linken Lebenslügen der letzten dreißig Jahre, wenn immer wieder behauptet wird, der Geschmack von KulturexpertInnen würde moralischen Begründungen folgen - genau darin besteht Kulturoptimismus. (Habe mich deswegen unlängst von meinem Bekanntenkreis getrennt.) Noch einmal: Entpolitisierung der Kritikkultur festzustellen ist weder pessimistisch noch optimistisch; die Feststellung rechnet lediglich mit einem Potential. Die Entpolitisierung der Formen könnte ein Fortschritt sein, wenn man sie als historischen Anlaß versteht, kritische Äußerungen nicht mehr auf vagen Ähnlichkeitsbezügen und anderen Beliebigkeiten aufzubauen, sondern vielmehr auf expliziten Nachteilsbeschreibungen und Analysen. (spex, magazin für popkultur, 5/99) ******************************************************************************** ROLUX h0444wol@rz.hu-berlin.de http://www2.hu-berlin.de/~h0444wol/rolux/