________________________________________________________________________________ Telepolis Vom Radio Internationale Stadt zum Open Meta Archive Armin Medosch 23.11.2000 Gespräch mit Thomax Kaulmann über Open Source und kulturelle kollaborative Environments im Netz In den letzten Jahren war für den harten Kern der Medien- und Netzkunstszene Software für "kollaborative Environments" im Netz ein heiß diskutiertes Thema. Wer an der vordersten Front der Entwicklung mitmischen wollte, durfte sich nicht mehr dabei erwischen lassen, an der Gestaltung sogenannter Inhalte herumzudoktern. Stattdessen ging es darum, den Rahmen selbst zu programmieren, in dem Inhalte entweder präsentiert werden oder, noch besser, Systeme, die es ermöglichen, dass Inhalt aus kollaborativen, prozesshaften und interdisziplinären Praktiken entsteht. Der Berliner Künstler und Entwickler Thomas Kaulmann, im Netz besser bekannt als thomax, hat auf diesem Gebiet bereits nachhaltige Entwicklungsarbeit geleistet. Thomax ist nicht nur Mitbegründer der frühzeitig verschiedenen Internationalen Stadt Berlin, sondern hat mit dem "Radio Internationale Stadt" (RIS) ein Audio-on-Demand-System geschaffen, das diese überlebt und sich in verschiedenen Evolutionsschritten weiterentwickelt hat. 1998 wurde daraus die Open Radio Archive Network Group ( ORANG), 1999 folgte das Open Video Archive (OVA), und derzeit arbeitet thomax am Metalevel - dem Open Meta Archive (OMA). In einem ausführlichem Gespräch gab er Auskunft über Motive und Inhalt seiner Arbeit. Vor- und Frühgeschichte Die Projekte von thomax sind inspiriert von der Begegnung der Idee von Free Software mit kollaborativen Environments aus dem Kunst- und Kulturkontext. Erste Anstöße kamen sehr früh. "Ich hab mich schon als Schüler auf Rechnern rumgetrieben und da mit Leuten gechattet, die ich noch nie gesehen hab, ja, das war natürlich Fun", erzählt Thomax. Mailbox-Szene, Chat, schwarze Bretter, wurden bald vom Hobby zum Beruf. Thomax wurde zu einem der Mitbegründer der "Contributed Software GBR in Berlin, die schon ziemlich frühzeitig in den achtziger Jahren GNU-Software in Deutschland vertrieben und supported hat. Wir haben damals schon Kontakt zu Richard Stallman gesucht, damit wir auch die GNU-Manuals in den Vertrieb reinkriegen. So ein Buch hatte damals 20 Mark gekostet." Die Idee Freier Software und das Kommunikationsgefühl der Mailboxszene sollten thomax fortan nicht mehr loslassen. Contributed wurde einer der ersten Internetprovider, und darüber ergaben sich Kontakte zur Kunstszene. Als 1992 bei der documenta 9 in Kassel Ponton/Van Gogh TV mit der Piazza Virtuale ein interaktives Non-Stop-Fernsehprogramm verwirklichten, lief in einem der Fenster des mehrfach unterteilten Bildschirms permanent Live-Chat mit. "Wir haben IRC-Terminals, ASCII-Terminals aufgestellt, die Leute in Chats reingebracht und dann Chat auch via documenta ausgestrahlt. Das war eigentlich das einzige Interface zum Internet, das die Pontons benutzten. Ich hab da auch entscheidende Leute kennengelernt, z.B Frank Kunkel, Armin Haase, Rudolf Stoert und auch Pit Schultz. Da gings dann auch darum, diese Sendezeit vollzukriegen, das ging 90 Tage, jeden Tag Sendung. Über Armin Haase kam dann auch der ganze Kontakt zu dieser Handshake-Szene." Die Gruppe Handshake, die unter anderem aus ehemaligen Mitgliedern von "Lux Logis" bestand, kam mit der Unterstützung von Contributed als eine der ersten Künstlergruppen in Deutschland 1993 in Kontakt mit dem WeltWeitenWunder, dem nagelneuen Web und dem avantgardistischen Mosaic-Browser. "Wir haben die ein bisschen supported Richtung Internet als Provider zunächst aber auch als Ansprechpartner für technische Fragen", hört sich das in der Fassung von thomax an. Im 1994 von Handshake verwirklichten frühen Webkunstprojekt "Feldreise" wurde die damals tatsächlich revolutionär erscheinende Möglichkeit der HTML-Image Maps benutzt, um die Karte eines verwaisten UdSSR-Militärgesetzes zu kontextualisieren. Radio Internationale Stadt Nach einer Präsentation der Feldreise im Herbst 1994 in Potsdam kam es zum Clash innerhalb von Contributed, und thomax wechselte auf die Seite der Künstler. "Der Rest ist Geschichte", wie man an dieser Stelle mit einem lachenden und einem weinendem Auge anmerken könnte. Gemeinsam gründeten sie den Internationale Stadt e.V. und es wurde, "das Internationale-Stadt-Projekt mit den Clubnetz-Ideen, mit Stadtmetapher und all diesen Referenzen aufgebaut", so thomax. Es war die Blütezeit der Stadtmetaphern mit Digitale Stad Amsterdam dds.nl, der Ausstellung und Konferenz Telepolis und eben der Internationalen Stadt Berlin. "Innerhalb dieses Projekts kam dann die Idee auf, ein Audioarchiv zu machen, mit Hilfe von Streaming-Technologien, der Realaudio-Server kam damals gerade auf den Markt, und wir begannen ein On-Demand-Archiv aufzubauen." Thomax holte Musiker und Leute, die sich mit dem Vertrieb von Musik beschäftigt haben, an einen Tisch und fragte sie, was sie sich von einem derartigem Archiv erwarten würden. Aus diesem Kreis heraus fand thomax auch seine ersten Kontributoren, Leute, die das Archiv mit Aufnahmen bestücken würden, von denen sie Urheber- und Copyright besaßen (kein File-Sharing von Massenmarkttiteln sondern "Copyleft"-Material). Im März 1996 ging das Radio Internationale Stadt (RIS) ans Netz, ungefähr zur selben Zeit wie dieses Magazin. Das Electronic-Label Mego spielte in der Frühzeit eine wichtige Rolle, ebenso wie das E- Lab in Riga, Radioqualia, Australien, Kunstradio Wien, Convex TV und andere Anbieter von verschiedenstem Content, von Musik über experimentelle Sachen bis hin zu reinen Sprachbeiträgen im Radiostil. Anders gesagt, die meisten dieser Inhalte sind nicht unbedingt dem massenmedialen Mainstream zuzurechnen. Thomax erklärt den Vorzug eines solchen Systems für kleine Anbieter mit einem Verweis auf die "Aufmerksamkeitsökonomie": "Natürlich kann das auch jeder für sich selbst machen, aber es geht auch darum, eine Sichtbarkeit zu erzeugen, durch die Schaffung gemeinsamer Strukturen. Hey, warum nicht so, warum nicht ein vernetztes kollaboratives System. Kollaborativ kannst du ziemlich schnell einen großen Contentpool aufbauen und eine ziemliche Außenwirkung zusammenkriegen. Das ist es, was die Majors nicht machen können, die müssen immer aufkaufen." Open Radio Archive Network Group 1998 kam das frühzeitige Ende der IS Berlin, die digitale Stadt zerfiel, doch die Audioecke überlebte. Zwar zeigte auch RIS Sprünge, weil einige der wichtigsten Content-Anbieter ihre eigenen Vertriebskanäle aufbauen wollten. Insbesondere Mego zeigte auch die Ambition, übers Netz zu verkaufen, was das System jedoch nicht unterstützt, und so zogen sie es vor, eigene Wege zu gehen. Doch das mögliche Abspringen von Content-Anbietern wurde hier zum Ausgangspunkt für eine kreative Erweiterung. Thomax dachte, "dass wenn die Leute wirklich einen eigenen Server betreiben wollen, dann wenigstens eine standartisierte Schnittstelle da sein muss." Er schlug vor, eine gemeinsame Datenbanktabellenstruktur zum Standard für ein Netzwerk zu machen, das sich ORANG nannte, Open Radio Archive Network Group. "Konkret sah das so aus, dass ich begann, zusätzliche Server aufzusetzen, einen in Riga bei E-Lab, einen weiteren bei Backspace in London. Die SQL-Tabellen sind über ein DBI- Interface verbunden. Damit alle Server über die gleichen Datensätze verfügen, gleichen sie sich mittels SMPT, also Email, ab. Die Audiofiles selbst bleiben jeweils lokal auf dem Server, auf dem sie hochgeladen wurden." Der Schritt hin zu einem dezentralen Verbund von Orang-Knoten erweitert einerseits das Gesamtangebot, die beste Connectivity wird aber da angeboten, wo sie am meisten gebraucht wird, lokal. Neben London und Riga gibt es auch Interesse in Wien und Australien, einen Orang-Server einzurichten. Dass das System auch angenommen wird, zeigt sich allein schon an den auf der Startseite veröfentlichten Statistiken. Zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels waren allein am deutschen Orang-Server 32 Tage und 3 Stunden Musik gespeichert (würde man alle Stücke zusammenkleben), und dieses Material wurde bisher 845 Tage gehört. "Ich rechne nicht in Hits, aber ich habe ca. 2000 Sessions am Tag", erzählt thomax. Ausführliches Logging würde er allerdings nicht betreiben, "das mach ich nicht so gern", erklärt er lapidar. Open Video Archive Auf Orang folgte 1999 OVA, das Open Video Archive. Dieses beruht im Wesentlichen auf den selben Features wie Orang und bietet Videoschaffenden diverser Genres die Möglichkeit, ihre Digitalvideos in einem übersichtlichen System anzubieten und zu verwalten. Die Connectivity dafür, wie auch den RIS-Server, stellt das ZKM zur Verfügung, beteiligt sich aber nicht an den Entwicklungskosten. Das auf OVA gesammelte Videomaterial umfasste zuletzt 7 Tage und 9 Stunden. Open Meta Archive Mit der Realisierung von OVA begann thomax sich die Frage nach dem springenden Punkt zu stellen, wie so ein Archiv wirklich interessant werden würde. "Bislang war alles, das Video-Archiv, das Audio-Archiv, ja erstmal nur Archive. Es gibt keinen Kontext, also nichts, wo jetzt ein Thema wäre", stellte thomax als entscheidenden Mangel fest. Die Archive brauchten Kontextualisierung, Einbindung in Inhaltszusammenhänge, mit anderen Worten "Redaktion". Ein neues Projekt wurde in Angriff genommen. "Die Kontextualisierung wird jetzt hoffentlich mit dem OMA- Projekt passieren. OMA ist das Open Meta Archive. Das ist im Wesentlichen eine offene Baumstruktur, wo ich meine Verschlagwortung über einen offenen Baum realisieren und einzelne Medien in diesem Baum verorten kann. Das heißt, ich gebe den Kontributoren die Möglichkeit, die einzelnen Objekte - Video, Audio, Image, Text - in diesem Baum zu verorten und diese Verortung dann wieder auf einer Meta-Ebene zusammenzuziehen, wo auf einen Punkt fokussiert verschiedene Medien kompiliert werden. Das System erzeugt dann über Templates statische Seiten. Das System ist auch durchsuchbar über Volltextsuche und, in Zukunft, über eine verfeinerte Suchmöglichkeit, aber das alles ist noch nicht fertig." OMA ist derzeit noch in der Alpha-Phase und soll zum Jahreswechsel in die Betaphase gehen. Damit das System Fortschritte macht, braucht thomax nun Unterstützung: Geld, Mitarbeit auf der inhaltlichen Ebene, auf der technischen Ebene, Promotion. "Ich geh mit meinen Ideen rum und erzähl die Leuten. Wenn die dann auch so was haben wollen, gibts den einen oder anderen Auftrag, was zu entwickeln." Die Software, die dabei entsteht, "ist natürlich Free Software". "Ich bin am überlegen, ob ich da eine GPL draus mache oder eine LPGL, momentan läuft es unter der Artists-Licence (das Recht des Künstlers zu entscheiden, was mit seinem Werk passiert)." Technisch gesehen läuft das ganze System, "auf irgendeinem UNIX- Derivat, vielleicht auch unter Microsoft, wer weiß, ich werds nicht ausprobieren." Unter Perl wird die DBI-Schnittstelle benutzt, ein Apache-Webserver, der mit mod_perl funktioniert, hilft die Interpreter-Zeiten zu optimieren. Doch eigentlich möchte thomax das System auf eine solidere Basis stellen. "Was ich brauche sind Programmierer, die Perl-Code verstehen, aber auch C und Java können, weil ich vorhabe, das ganze System nach C zu migrieren. Einerseits um da noch mehr Entwickler reinzukriegen, denn es können tatsächlich noch immer mehr Leute C als Perl. Eventuell kann ich mir vorstellen, dass die ganze Distributionsgeschichte über ein CORBA-System funktioniert. Das ist ein objektorienter Ansatz, so dass es unabhängig von selbstgeschriebenen Protokollen auf Objekte zugreifen kann, die auf einem entfernten Rechner laufen." Der "wissenschaftliche Reiz" besteht für thomax in der Verteilung von Datenbanken über schlechte Netzwerke. Auf die Daten soll heterogen zugegriffen werden können, ganz egal, wo nun die Daten liegen. Standardprodukte für verteilte Datenbanken gehen aber meist von optimierten Netzstrukturen in Firmennetzen aus und nicht von den Schlaglöchern im offenen, allgemein zugänglichen Internetz. Die Teilnehmer am Open Meta Archive, d.h. die "Redakteure", die Metalevel-Seiten anlegen, sollen die Möglichkeit haben, Materialien nach thematischen Gesichtspunkten zu verknüpfen, ob das Ausgangsmaterial nun von einer Kunstinstitution oder einem Institut für theoretische Physik kommt. Einen weiteren Ansatz, den thomax für diese Verbindung von Archiven auf einer Meta-Ebene ins Auge fasst, ist OpenLDAP ein Verzeichnisdienst. Thomax betont die Offenheit des Systems. "Ich arbeite eher im Feld der Kultur, für mich ist es wichtig, da ein Stück Kultur aufzubauen, zu mobilisieren, zu bewegen. Insofern bleibe ich dem auch verhaftet, aber es ist sehr offen für andere Contentsysteme. Die Entwicklung soll Open Source bzw. Free Software sein. Ich denke, dass es wichtig ist, einen Standard zu kreieren, der dann auch von anderen Projekten genutz wird, und ich kann mir auch vorstellen, dass auch Gateways existieren, die den Content verschiedener Disziplinen wiederspiegeln, und dass damit ein interaktiver und interdisziplinärer Context- und Content-Server aufgebaut wird." Erster Geldgeber für OMA ist das Haus der Kulturen der Welt in Berlin, das seine Veranstaltungs-Programme in einer Künstlerdatenbank archivieren wird. Eine proprietäre Lösung hatte thomax dafür nicht im Sinn und bot stattdessen OMA an. Sollten weitere ähnliche Aufträge folgen, die thomax ermöglichen, die Entwicklungsarbeit an OMA energisch weiterzutreiben, könnte es bald ein Pilzgeflecht von Servern geben, deren Inhalte über OMA verknüpft werden können. RIS, Orang, OVA und OMA sind damit erste greifbare Früchte einer Dikussion, die künstlerische Themen mit der Welt von Open Source in Verbindung zu bringen versucht. http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/sa/3590/1.html ________________________________________________________________________________ no copyright 2000 rolux.org - no commercial use without permission. is a moderated mailing list for the advancement of minor criticism. post to the list: mailto:inbox@rolux.org. more information: mailto:minordomo@rolux.org, no subject line, message body: info rolux. further questions: mailto:rolux-owner@rolux.org. home: http://rolux.org/lists - archive: http://rolux.org/archive