________________________________________________________________________________ Rendezvous der Ressentiments Todesstrafe für Nazis, Ausländer raus. Auf der Website der Stadt Sebnitz wird nach dem rassistischen Mord an Joseph A. über Deutschland diskutiert. Von Elke Wittich An ihrer Homepage dürfte die »Kunstblumenstadt Sebnitz« nur wenig Freude gehabt haben. Denn die Seite wurde nicht, wie erhofft, von Investoren besucht, die »besonders die schnelle Arbeitsweise der Unteren Bauaufsicht schätzen«, sondern von Menschen, die sich zum Mord an dem sechsjährigen Joseph A. äußern wollten, der höchstwahrscheinlich vor drei Jahren im örtlichen Freibad von Neonazis ertränkt wurde. In einem eher hilflosen Versuch der Schadensbegrenzung haben die Seiten-Verantwortlichen vor die Page ein Pull-Up-Fenster geschaltet, das die Erklärung der Ratsversammlung zu dem mutmaßlichen Mord enthält. »Die Sebnitzer Bürgerinnen und Bürger zeichnet seit jeher ein hohes Maß an Zivilcourage aus. Wir sind keine Stadt der Weggucker.« Das sei »vielleicht ein schlechter Augenblick, um Witze zu machen, lieber Stadtrat«, findet nicht nur User »Weisse Rose 2000«, der sich wie viele andere auch im virtuellen Sebnitzer Gästebuch eingetragen hat. Vor allem die Tatsache, dass hier ein Kind Opfer eines rassistischen Mordes wurde, beschäftigt die Leute. »Heute hab ich meine beiden Kinder in die Arme genommen und in ihre Augen geschaut. Diese unschuldigen Blicke ..., wie könnnen nur solche degenerierten 'Menschen' so etwas zerstören«, schrieb eine Userin. Immer wieder wurde der »Tod eines unschuldigen Kindes« beklagt, aber auch gefragt: »Ist ein rassistischer Mord an einem Mann tatsächlich weniger schlimm als der an einem Kind?« Ansonsten beließ man es in den ersten Stunden nach Bekanntwerden der Verhaftung dreier mutmaßlicher Täter zunächst bei wütenden Beschimpfungen oder versuchte es mit Vorschlägen, die sichtlich um Originalität bemüht waren. »Ihr Nazi-Pisspötte!« schrieb Userin »Maria«, und »Julia« meinte: »Wir sollten die Russen bitten, Ostdeutschland wieder zu sich zu nehmen.« Es müssen in dieser Zeit eine Reihe einschlägiger Antworten von Neonazis eingegangen sein, die jedoch allesamt wieder gelöscht wurden. Einträge wie »Warum schreibt ihr nichts über den NPD- Funktionär XX, Vater von sechs Kindern, der von Linken schwer verletzt wurde« sind eben nicht geeignet, das Image der Stadt aufzupolieren. Das ahnten auch die Gästebuch-Schreiber und versuchten, die Sebnitzer davon zu überzeugen, dass der Rechtsradikalismus ein Standortnachteil ist: »Ich möchte gerne zukünftig versuchen, alle Produkte die in dieser Stadt produziert werden, zu boykottieren. Gibt es irgendwo Informationen über die Firmen, die in Sebnitz ansässig sind, und ihre Produkte? Für Hinweise wäre ich dankbar«, fragt ein Anonymus. T. Rabens aus München geht noch weiter: »Meine Reaktion: Es werden in unserer Firma keine Produkte mehr aus Sachsen gekauft, Verträge mit Lieferanten werden gekündigt.« »Samat« aus Bochum fügte einen »Aufruf an die Wirtschaft« hinzu: »Orte mit Nazi-Gewalt als Investitionsstandort meiden. Nazis kreditunwürdig listen. An die Sebnitzer Stadtverwaltung: Stellt an den Ortseingang ein Schild mit der Aufschrift: Vorsicht, hier laufen Nazis frei herum! Bastelt antifaschistische Seidenblumen (darauf scheint Ihr ja besonders stolz zu sein) und schickt sie kostenlos an jedes Asylantenwohnheim in Deutschland. Wenn ihr deren Adressen nicht kennt, fragt eure Nazis, die kennen sie bestimmt. Dazu müsst ihr nur aus eurer Verwaltung herauskommen und die Passanten in der Fußgängerzone befragen.« Den Mord an dem sechsjährigen Joseph, der eine deutsche Mutter und einen irakischen Vater hat, verurteilen auch stramme Patrioten. Dr. jur. Heinrich Grubens aus Reutlingen beispielsweise sieht sich durch das Hatecrime in seinen patriotischen Gefühlen verletzt: »Schämen Sie sich alle! Wegen Ihnen ist man UNstolz Deutscher zu sein und traut sich nicht mehr ins Ausland. Sie schmutzige dumme Vollidioten«, schreibt er. Schon am frühen Freitagnachmittag diskutieren die User geeignete Strafen für die Täter und lassen ihren Säuberungsphantasien freien Lauf. Um den Mord an Joseph geht es nur noch am Rande. Der Rassismus in Ostdeutschland ist für die Schreiber noch das geringste Problem, die Bedrohung durch Nazis schätzt man jedenfalls nicht höher ein als die durch die PDS-Anhänger. »Ihr gottverdammten Drecks-Ossis, für jeden Ausländer, den ihr tötet, sollte man die gesamte OSTZONE eine Woche AUSHUNGERN. Und für Euch Bastarde zahle ich Soli. Pack bleibt Pack, egal ob rot oder braun. Schade, dass der Russe nicht mehr von Euch erledigt hat«, schreibt Anton Backes aus Düsseldorf. Auch Ralph Hower aus Paderborn meint: »Zuerst fresst Ihr Ossis uns die Haare vom Kopf - und zwar massiver als alle Scheinasylanten - und nun ruiniert ihr unseren Staat mit euren Sozialneid-geplagten Nullnummern wie Skins und PDS. Die Mauer muss endlich wieder her - und zwar aus Glasbaustein, damit ihr auch seht, wie schnell wir uns von euch Asozialen erholen.« Hans Garbatz fordert: »Hier hilft nur der eiserne Besen. Was nützt uns die vielgepriesene Demokratie, wenn sie von Verbrechern zerstört wird?« Die Forderung lautet: »Aufhängen, vergasen, erschießen«, eine Maßnahme, die man auch auf Sexualstraftäter anwenden will. User »Dreher« betont, dass Ausländer allein schon wegen ihres Beitrags zur Auffrischung des deutschen Volkskörpers nicht getötet werden dürfen: »Wir sollten über jeden Menschen dankbar sein, der frische und nicht verwandte Gene mit zu uns bringt.« Andere nutzen das Gästebuch für Solidaritätsbekundungen mit der Stadt: »Liebe Sebnitzer! Ich möchte auf diesem Wege meine Anteilnahme in bezug auf die seit einigen Tagen andauernden Vorverurteilungen dieser ja immer so um Aufklärung bemühten Massenmedien zu Ausdruck bringen. Es ist wohl doch nicht so, dass jeder in diesem Land so lange als unschuldig gilt, bis seine Schuld durch unabhängige Gerichte bewiesen wurde, zumindest für die 'freie' bundesdeutsche Presselandschaft gilt dieses! Ich beabsichtige daher meinen nächsten Urlaub in dem schönen Städtchen Sebnitz zu verbringen.« User »Adolf« grüßt Sebnitz: »Heil Euch, Kameraden! Brav wart Ihr! Undeutsches Leben gehört in den Irak zu Kameltreibern, nicht in unsere schöne Heimat! Vorwärts!!« Kurz darauf schreibt unter dem Titel »Jetzt spricht mal Sebnitz« ein »Michael« »im Namen aller Sebnitzer, die sich ebenfalls keine Kollektivschuld aufschwatzen lassen wollen«. Die drei Festgenommenen seien keine Neonazis, im Schwimmbad seien damals gar keine Skinheads gewesen, Josephs Schwester lüge, und in Dresden gebe es viel mehr Skinheads als in Sebnitz. Damit spricht er wohl den meisten ostdeutschen Usern aus der Seele, Verschwörungstheorien werden entworfen. Weil der Vater der verhafteten Frau ein Sebnitzer CDU-Ratsherr und Apotheker sei, könne es sich daher »bei der Sache« entweder nur um eine politische Schlammschlacht oder um eine Konkurrenz zwischen zwei Apothekern handeln. Josephs Eltern betreiben schließlich auch eine Apotheke, deswegen würden sie den »bedauerlichen Unfalltod« für geschäftliche Zwecke instrumentalisieren. Andere Verschwörungstheoretiker erklären, dass es in der DDR keinen Rassismus gegeben habe, der sei erst durch die Westdeutschen importiert worden. »Die NPD stammt doch wohl von euch, oder?« fragt drohend ein Anonymus. Dass aber die westdeutschen Nazis nicht in der Lage sein dürften, aus aufrechten Demokraten ausländerhassende Nationalisten zu machen, fällt dabei niemandem weiter auf. Man sei an den Westen verkauft worden, obendrein arbeitslos, da könne halt die Stimmung manchmal überkochen, lautet der Tenor. Und entsprechend warnt man einen eifrigen Schreiber, dass er sich am besten niemals in Sebnitz sehen lassen solle und verkündet vorbeugend: »Wessis in die Gaskammer! Verreckt mit euren Scheiß-Ausländern! Wenn dir der Döner im Halse steckt; die Türkin dir die Eier leckt; dann wirst auch du bald wissen, warum wir Adolf so vermissen!!!!« Während jemand mit dem Pseudonym »istmeinesache« seine Gesinnungsgenossen zu Gelassenheit mahnt: »Lasst euch nicht klein kriegen. Was schert es eine deutsche Eiche, wenn eine Sau sich daran reibt?« Chan Dee Ko aus Hongkong kann sich dagegen über die Beiträge auf der Sebnitz-Page nicht wundern: »Ich habe mein Studium in Deutschland abgebrochen, weil sich seit der Hitlerzeit anscheinend nichts geändert hat. Ich würde vorschlagen, dass Deutschland von der internationalen Gemeinschaft, der Uno oder von Amerika regiert wird. Ich habe auf der ganzen Welt nicht so viele arrogante Dummköpfe wie in Deutschland gesehen!« Vergangenen Samstag wurde das virtuelle Gästebuch der Stadt Sebnitz geschlossen. http://www.jungle-world.com/_2000/49/30a.htm ________________________________________________________________________________ no copyright 2000 rolux.org - no commercial use without permission. is a moderated mailing list for the advancement of minor criticism. post to the list: mailto:inbox@rolux.org. more information: mailto:minordomo@rolux.org, no subject line, message body: info rolux. further questions: mailto:rolux-owner@rolux.org. home: http://rolux.org/lists - archive: http://rolux.org/archive