________________________________________________________________________________ Warum sind Sie noch nicht emigriert? Redaktion N24 / Koschwitz, 1.9.2000 Sehr geehrter Herr Broder, hätten Sie eventuell Zeit und Interesse, am Montag, den 4.9. zusammen mit Cem Özdemir an der Aufzeichnung einer "Koschwitz"- Sendung zum Thema Rechtsradikalismus teilzunehmen? (Herr Özdemir kommt am Montag von einer Reise nach Auschwitz zurück. Das Konzept: 35 Minuten Redezeit, kein Studiopublikum, 1 bis 2 Gäste. Bei "Koschwitz" kommen Sie ausführlich zu Wort. In einer persönlichen, konzentrierten Gesprächssituation werden Zusammenhänge und Hintergründe beleuchtet. Der Moderator: Thomas Koschwitz wurde einem breiten Fernsehpublikum durch seine RTL Late-Night gekannt; davor moderierte er jahrelang beim Hessischen Rundfunk. Die Sendung "Koschwitz" läuft seit 10. April 2000 auf N24. "Koschwitz" wird täglich Mo-Do gesendet und mehrfach wiederholt – hinzu kommen Statements in den Nachrichten von N24 / Pro Sieben / Kabel 1. Das Studio liegt zentral zwischen Deutschem Theater und Friedrichstadtpalast. Die Aufzeichnung dauert, inkl. Vorgespräch und Maske, ca. eine Stunde. Wenn Sie Interesse haben (und auch wenn Sie kein Interesse haben!), freue ich mich über Ihren Rückruf – wenn Sie es einrichten könnten, möglichst schon heute vormittag. Mit herzlichen Grüßen, Matthias Grau CvD N24 / Koschwitz broder, berlin, 1.9.2ooo sehr geehrter herr grau, herzlichen dank für ihre einladung zu "koschwitz". das konzept und den moderator kenne ich. nun wäre ich ihnen noch sehr dankbar, wenn sie mir darüber hinaus erklären würden, warum sie herrn özdemir und mich in der sendung haben möchten und wie ich den hinweis auf die auschwitz-reise von herrn özdemir verstehen soll. muss man, um über rechtsradikalismus reden zu können, vorher in auschwitz gewesen sein? für eine rasche antwort zu diesen beiden punkten wäre ich ihnen sehr verbunden. ich werde mich dann umgehend bei ihnen melden und ihnen sagen, ob ich teilnehmen mag oder nicht. mit vielen grüßen, broder Redaktion N24 / Koschwitz, 1.9.2000 Sehr geehrter Herr Broder, viele Dank für die rasche Antwort. Nein – man muss nicht in Auschwitz gewesen sein, um über Rechtsradikalismus reden zu können. Aber es hilft wahrscheinlich, das Thema in seiner ungeheuren historischen Dimension zu begreifen (soweit das überhaupt möglich ist). Warum Sie und Özdemir: man mag es für eine willkürliche Kombination halten, ich weiß auch – offen gestanden – nicht, wie Sie zu Özdemirs Positionen stehen. Was Sie m.E. Gemeinsam einbringen könnten: die ganz persönlichen Erfahrungen mit Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus, die Ursachenanalyse und das Nachdenken über mögliche Lösungen – aus der Perspektive des Politikers und des Publizisten. Auch wenn Sie dieser Ansatz so nicht überzeugen sollte, würden wir uns freuen, Sie bei Gelegenheit zu dieser Sendung begrüßen zu können. Mit freundlichen Grüßen, Matthias Grau CvD N24 / Koschwitz broder, berlin, 1.9.2ooo sehr geehrter herr grau, vielen dank für ihre antwort auf meine anfrage. ich möchte nicht kleinlich erscheinen und sie nicht unnötig aufhalten, dennoch wäre es hilfreich, wenn sie zwei punkte präzisieren könnten. warum laden sie zu einer solchen diskussion einen türken und einen juden ein, die im übrigen ebenso deutsche sind wie sie und herr koschwitz (will ich zu ihren gunsten mal annehmen)? fühlen sie und herr koschwitz sich von ausländerfeindlichkeit nicht bedroht oder zumindest belästigt? glauben sie nicht, dass es allmählich an der zeit wäre, dass sich die arische volksgemeinschaft des problems annimmt, anstatt es zuerst auf dem rücken der türken und der juden auszutragen und dann dieselben türken und juden zu bitten, "ursachenanalyse" zu leisten und "über mögliche lösungen" nachzudenken? für ein klärendes wort wäre ich ihnen sehr verbunden. mit besten grüßen broder p.s. falls sich herr özdemir übers wochenende aus auschwitz bei ihnen melden sollte, richten sie ihm bitte einen herzlichen gruß von mir aus verbunden mit der anregung, auf dem rückweg mal in guben, cottbus und rathenow vorbei zu schauen, um die aktuelle dimension des rechtsradikalismus zu begreifen. Redaktion N24 / Koschwitz, 1.9.2000 Sehr geehrter Herr Broder, auch wenn Sie das vielleicht langweilig finden: ich bin Ihrer Meinung: es wäre etwas schlicht, zu diesem Thema einfach einen Türken oder einen Juden einzuladen. Wir laden auch keine Arier ein. Wir laden Leute ein, mit denen es zu reden lohnt. Leute, die mit Scharfsinn und Eloquenz ausgestattet sind. Wie möchten mit zwei Deutschen u.a. darüber reden, dass eine verquere Öffentlichkeit immer noch so tut, als wären eben diese beiden doch ein bisschen weniger deutsch und ein bisschen sehr exotisch, bloß weil der eine türkische Eltern hat und vielleicht auch Moslem ist und der andere Jude. Der dritte in der Gesprächsrunde – käme sie zustande – hieße Koschwitz und ist übrigens auch Deutscher. Und nimmt sich eben deshalb dieses Thema sehr zu Herzen. Auch wenn er sich persönlich vielleicht nicht bedroht fühlt. Ich dachte, der ganze völkische Murks ist der Kern des ganzen Wahnsinns. Dass Sie gefragt werden: "warum leben Sie nicht in Israel, als Jude". Ich dachte, das genau ist Ihr Thema. (Denk ich immer noch). Wir wollen klar Stellung beziehen. Wir können auch irgendwas anderes senden. Wollen wir aber nicht. Und wir werden Fragen zu diesem Thema auch noch vielen anderen Gästen stellen, die wir in diesem Herbst erwarten. Ob das nun Klaus Bresser ist, Roger Willemsen oder Reich-Ranicki. Der ist nun wieder Jude. Aber deshalb laden wir ihn nicht ein. Sie würden wir auch gerne mal einladen. Mit oder ohne Özdemir. Einfach als Broder. Das ist schon spannend genug. Herzliche Grüße! Matthias Grau broder, berlin, 1.9.2ooo sehr geehrter herr grau, nein, ich finde es nicht langweilig, ich finde es nur mal wieder aufschlussreich. rein zufällig und ohne sich dabei etwas zu denken, laden sie einen türken und einen juden ein, so wie die brandenburger und mecklenburger glatzen rein zufällig und ohne sich dabei etwas zu denken, "fidschis" und "nigger" klatschen, weswegen die polizei hinterher "nach allen richtungen" ermittelt und einen "fremdenfeindlichen hintergrund" nicht von vorneherein unterstellen mag. sie wollen über eine "verquere öffentlichkeit" diskutieren (lassen), das blöde an diesem vorsatz ist nur, dass sie es sind, der die verquere haltung verkörpert. ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte mal gefragt wurde, warum ich als jude nicht in israel leben würde. sie sind seit mindestens zehn jahren der erste, der mir diese frage stellt, rein zufällig und ohne sich etwas dabei zu denken, im namen einer imaginären verqueren öffentlichkeit. darf ich ihnen im gegenzug eine andere frage stellen: warum leben sie eigentlich in deutschland? warum sind sie (und herr koschwitz) noch nicht emigriert? nur weil sie beide hier geboren wurden? das ist im zeitalter der globalisierung nicht grund genug. das wäre mein thema, über das wir reden könnten. derweil geb ich ihnen einen guten rat: senden sie etwas anderes. schabbat schalom broder ...und so ging die Geschichte dann weiter: Chefredakteur N24, 11.9.2000 Sehr geehrter Herr Broder, wir wurden vor ein paar Tagen am Rande der Keith-Haring- Ausstellung einander vorgestellt. Wir plauderten munter mit Else Buschheuer und Thomas Koschwitz. Hätte ich zu diesem Zeitpunkt Ihre Faxe an meinen Kollegen Matthias Grau gekannt, wäre die Unterhaltung etwas anders verlaufen. Sie stellen in Ihrem letzten Fax die Auswahl unserer Gäste durch Herrn Grau mit den Morden von ostdeutschen Skinheads in einen Zusammenhang. Das ist nicht nur eine Unverschämtheit, sondern auch völlig neben der Sache. Sie können mit Sicherheit die Gästeauswahl der besagten Sendung kritisieren. Auch die Formulierung der Einladung kann sie stören. Dies ist aber kein Grund Herrn Grau vorzuwerfen, eine "verquere" Haltung zu verkörpern. Hätten Sie sich mit Matthias Grau wirklich beschäftigt, hätten Sie festgestellt, dass er so ziemlich der Letzte ist, den man in die rechte Ecke stellen oder dem man Gedankenlosigkeit beim Thema Rechtsextremismus vorwerfen kann. Sie werden nicht viele Deutsche finden, die Preisträger des jüdischen Nationalfonds sind. Leider haben Sie es vorgezogen, selbstgefällige Effekthascherei zu betreiben. Dass Sie die Faxe von Herrn Grau, ohne seine Zustimmung, ins Internet gestellt haben, ist nicht besonders stilvoll. Sie hätten sein Einverständnis auch durch einen kurzen Anruf bekommen. Den ganzen Vorgang finde ich besonders schade, da ich Ihre Meinung schätze und ein treuer Leser Ihrer Bücher und Artikel bin. Schön, dass ich durch Ihre Entgleisung wenigstens Ihre gelungene Homepage kennen gelernt habe. Herr Grau und ich sind übrigens gerne bereit, mit Ihnen von Angesicht zu Angesicht über das Thema zu reden. Unsere Einladung zu "Koschwitz" bleibt selbstverständlich bestehen. Sie können auch gerne jemanden mitbringen. Mit freundlichen Grüßen, Peter Limbourg Chefredakteur broder, berlin, 16.9.2ooo sehr geehrter herr limbourg, vielen dank für ihr schreiben vom 11.9., das ich mit großem vergnügen gelesen habe. ja, auch ich finde es schade, dass sie zum zeitpunkt unserer plauderei am kudamm von meinem briefwechsel mit herrn grau nichts ahnten, denn ich wüsste zu gerne, wie "anders" diese unterhaltung verlaufen wäre. hätten sie sich mit mir geprügelt? mich vom platz entfernen lassen? meinen paß eingezogen? mich nach cottbus in die verbannung geschickt? ein jammer, dass wir es nie erfahren werden. was die causa selbst angeht, kann ich nur sagen: schlecht schimpfen können sie prima, aber gut lesen können sie schlecht. natürlich gibt es einen zusammenhang zwischen dem mörderischen treiben der skins im osten und der auswahl ihrer gäste, weil es einen zusammenhang gibt zwischen den ereignissen im osten (und westen) und ihrer (und meiner) journalistischen aktivität. sie reagieren, und ich reagiere - jeder von uns auf seine art. das ist keine "unverschämtheit", nur eine banale tatsache. tatsache ist aber auch, dass es herr grau war, der mir im namen einer "verqueren öffentlichkeit" eine frage stellte ("warum leben sie nicht in israel?"), die ich so (zumindest seit 199o) nur von ihm gehört habe. ich bin gerne bereit zu glauben, dass dies nicht böse und nur clumsy war, ebenso wie die idee, einen türken und einen juden zum thema rechtsradikalismus einzuladen - wäre ihnen das ein trost? es ist mir außerdem wurscht, ob herr grau ein preisträger des jüdischen nationalfonds ist, beim seifenkistenderby einen pokal oder eine familienpackung bounty bei aldi gewonnen hat. ich beurteile die leute, mit denen ich es zu tun habe, nicht nach den ehrennadeln, die sie tragen, sondern danach, was sie tun und was sie sagen. es freut mich zu hören, dass sie ein treuer leser meiner bücher und artikel sind und dass ihnen meine homepage gefällt. das zeugt von stil und gutem geschmack. ihren letzten zeilen entnehme ich, dass sie sich noch eine chance geben wollen. also kommen sie mit einer großen packung "anthon berg chocolate" (am liebsten kiwi in cognac) rüber und wir schauen, wer von uns beiden zuerst entgleist. koschwitz können wir dazu nicht einladen, er ist ja auf diät. mit besten grüßen broder http://www.henryk-broder.de -- Janko Roettgers - roettgers@devcon.net - www.devcon.net/~roettgers/ ________________________________________________________________________________ no copyright 2000 rolux.org - no commercial use without permission. is a moderated mailing list for the advancement of minor criticism. post to the list: mailto:inbox@rolux.org. more information: mailto:minordomo@rolux.org, no subject line, message body: info rolux. further questions: mailto:rolux-owner@rolux.org. home: http://rolux.org/lists - archive: http://rolux.org/archive