________________________________________________________________________________ Jungle World 33/00 WorldWideWahl Erstmals stimmen User des Internet weltweit über die Zusammensetzung der Netz-Regulierungsbehörde Icann ab. In der BRD kandidieren Telekom-Manager und CCC-Sprecher. Von Ulf Treger Der Internet-Community steht ihre erste transnationale elektronische Abstimmung bevor. Gewählt wird das Direktorium der Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (Icann). Sie ist die oberste Regulierungsbehörde im Netz, die vor allem die Vergabe der IP-Nummern und der Top-Level-Domains (TLD) kontrolliert. Dieser Teil der Internet-Adressen ist entweder länderspezifisch nach so genannten country codes geordnet wie .de für Deutschland oder bereichsspezifisch nach generic domains wie .com für kommerzielle Websites. Im Oktober sollen fünf der 15 Mitglieder des Icann-Direktoriums von der »Netz-Bevölkerung« gewählt werden. In der BRD konkurrieren Konzernvertreter mit Netzaktivisten, Webkünstlern und Bürgernetz-Organisatoren um die Nominierung. Bis Ende Juli konnten sich Internet-Nutzer über 16 Jahre als stimmberechtigte Mitglieder registrieren - knapp 160 000 User haben sich angemeldet. 60 Prozent stammen aus dem asiatisch-pazifischen Raum, ein gutes Viertel aus Europa und 13 Prozent aus Nordamerika. Der weitaus geringste Teil kommt aus Lateinamerika (vier Prozent) und Afrika (0,5 Prozent). Weltweit wird die Zahl der Internet-Nutzer auf 300 Millionen geschätzt. Der Frauenanteil unter den Wahlberechtigten beträgt zehn Prozent. In Europa dominieren die Deutschen, sie stellen über 55 Prozent der Wähler. Eine vom Spiegel initiierte Kampagne unter dem Namen »I can! eLection 2000« hatte hierzulande kräftig für die Wahl getrommelt. Tenor war der digital-nationale Appell, dass Deutschland im Rahmen der EU bei der Regulierung des Netzes nicht zurückstehen darf. Icann-Präsidentin Ester Dyson, Managerin osteuropäischer IT- Start-ups und Vertreterin einer konservativen Netzpolitik, die seit Jahren mit der Gleichung »Wissen ist mehr Demokratie ist besserer Kapitalismus« arbeitet, reagiert sehr verhalten auf das große öffentliche Interesse an der Icann-Wahl. Ihre Organisation ist von der US-Regierung eingesetzt worden, um die Verwaltung des Internet einer eigenen Institution zu übergeben. Von Anfang an wurde sie aber von Regierungs-, Unternehmens- und Trademark- Interessen dominiert. Und schon die Miniatur-Demokratie einer Teil-Wahl des Icann-Direktoriums scheint in der Organisation die Furcht umgehen zu lassen, ihren Einfluss mit dem Rest des Internets teilen zu müssen. Bei den Wahlen geht es nämlich um viel mehr als die Besetzung eines technischen Gremiums. Da die bisherigen generischen Internet-Adressen wie .com, .net, .org langsam knapp werden, ist die Einführung neuer TLDs nötig. Die Besitzansprüche auf Domainnamen sind aber ein entscheidender Wirtschaftsfaktor. Unternehmen wie amazon.com wollen sicherstellen, nicht in einer Flut von .music, .arts, .social-Top-Level-Domains unterzugehen. Der Wert einer Internet-Adresse als digitales Warenzeichen lässt sich nämlich nur durch künstliche Verknappung einer theoretisch kaum begrenzten Ressource aufrechterhalten. Im Juli hat Icann trotzdem endlich der lang erwarteten Einführung neuer TLDs zugestimmt. Ihre Zahl wurde aber auf maximal zehn begrenzt, die Bewerbungskosten liegen bei 50 000, die Kaution bei mehreren Hunderttausend Dollar. Konzernvertreter plädieren dafür, vorerst höchstens ein bis zwei neue TLDs zuzulassen. Einige Netzaktivisten wollen dagegen eine völlige Freigabe des Domain Name Service (DNS) für beliebig viele Domain-Registries und ihre nicht-hierarchische Verwaltung durchsetzen. Außerdem wird kritisiert, dass Icann die Auswahlkriterien für die wenigen neuen TLDs nicht bekannt gibt. In diese Auseinandersetzung platzen die ersten Wahlen des Icann-Direktoriums. Schon jetzt wird die Abstimmung von technischen Unzulänglichkeiten und häufigen Regeländerungen beeinträchtigt. Viele Interessenten konnten sich wegen einer Überlastung des Servers nicht registrieren. Die Einschreibefrist wurde zudem kurzfristig um mehrere Tage vorgezogen. Weder die Kompetenzen noch die Amtszeit des obersten Icann-Gremiums sind definiert. Kritiker sehen deshalb in der Wahl einen publicity-wirksamen Versuch, Icann eine transnationale Legitimation zu verleihen. Noch bis zum 14. August wird über die Kandidaten entschieden. Pro Region dürfen sieben Bewerber antreten. Für die Region Europa hat das Nominierungs-Komitee letzte Woche fünf Kandidaten aufgestellt, darunter einen Deutschen - den Telekom-Manager Winfried Schüller. Lediglich zwei weitere können noch durch Wahlvorschläge nominiert werden. Deutsche Bewerber werden derzeit hektisch gesucht. Die Medieninitiative »I can! eLection 2000« meldet statt Namen nur eine hohe Absagequote. Zu erwarten ist, dass die Interessenverbände der Online-Wirtschaft einen Kandidaten präsentieren werden. Die Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) forderte Ende Juli Konzerne wie Siemens oder Telekom zu einer aktiven Beteiligung der »deutschen IT- Community« auf - getrieben von der Sorge, Deutschland könne nicht entsprechend seiner »wichtigen Position« repräsentiert sein. Im Netz werden mittlerweile die Namen der Kandidaten veröffentlicht. Der Infodienst www.Icannchannel.de meldete unter anderem die inzwischen zurückgezogene Bewerbung von Joerg-Menno Harms (Hewlett-Packard), die Bewerbung von Bertram Gebauer, dem Initiator des bayerischen Bürgernetzes, und die des Netzkünstlers und Mailbox-Veterans padeluun. Der Chaos Computer Club schickt mit seinem Sprecher Andy Müller-Maguhn einen eigenen Bewerber ins Rennen. Wegen der vielen Unregelmäßigkeiten im Vorfeld der Icann-Wahl fordert der Politologe Claus Leggewie inzwischen dazu auf, offen über einen Boykott nachzudenken. Anstatt aber empört am Wahlprocedere herumzumäkeln, gibt es noch die Alternative, die politischen Energien auf eine radikale Veränderung des Domain Name Service zu verwenden. Die Verbreitung und Förderung von bereits vorhandenen alternativen Adressräumen außerhalb der Kontrolle der Icann wäre eine mögliche Perspektive. So könnte sich eine unbegrenzt große Zahl von TLDs etablieren - vergleichbar mit der Themenvielfalt heutiger Newsgroups. Der Einfluss von Icann könnte damit unterhöhlt werden. Die länderspezifischen TLDs blieben zwar weiterhin unter nationaler Kontrolle, würden aber allmählich zu unbedeutenden Nischen im Cyberspace verkommen. http://www.jungle-world.com/_2000/33/09a.htm ________________________________________________________________________________ no copyright 2000 rolux.org - no commercial use without permission. is a moderated mailing list for the advancement of minor criticism. post to the list: mailto:inbox@rolux.org. more information: mailto:minordomo@rolux.org, no subject line, message body: info rolux. further questions: mailto:rolux-owner@rolux.org. home: http://rolux.org/lists - archive: http://rolux.org/archive