________________________________________________________________________________ Jungle World 18/2000 Killing Me Softly Von offenen Zwangsmaßnahmen bleibt Österreichs Kulturszene verschont. Die schwarz-blaue Regierung setzt auf repressive Toleranz, phantasievolle Bürokratie und Subventions-Abbau. von Hito Steyerl Linz hat nie die Hitlerzeit verloren« heißt es auf einem Plakat, das derzeit an mehreren Stellen der ehemaligen Adolf-Hitler- Stadt hängt. Man kann schwerlich behaupten, dass es besonders auffällt. Es behauptet sich zwar tapfer gegen die Beliebigkeit des städtischen Mobiliars. Aber in Linz hat der Nationalsozialismus im Stadtraum überaus sichtbare Spuren hinterlassen. So etwa die Kunstakademie, ein Nazi-Kasten, dessen Fassade mit dem in Mauthausen gebrochenen Granit bestückt wurde. Plakate können diesem massiven Popanz nichts anhaben. Um die Verbreitung des Plakates, Teil eines Kunstprojektes der Gruppen Maïz und Klub Zwei, »Arbeit an der Öffentlichkeit«, gibt es Streit. Nachdem die schwarz-blaue Regierung in einer abstrusen Präambel ihrer Regierungserklärung dezidiert darauf hingewiesen hat, demokratische Selbstverständlichkeiten beachten zu wollen, wird nun aufmerksam auch nach dem kleinsten Anzeichen für staatliche Repression Ausschau gehalten. Das gilt besonders für den Kulturbereich, schließlich zählt er zu den Angriffszielen populistischer FPÖ-Rhetorik. Ein Beispiel lieferte Jörg Haider auf seiner diesjährigen Aschermittwochsrede, als er drohte, dass vom Staat subventionierte Kulturarbeiter besser nicht die Hand bissen, die sie füttere. Die österreichischen KünstlerInnen haben sich jedoch bislang als effektive pressure group gegen die Regierung erwiesen. Gerade weil sie relativ viel Aufmerksamkeit in den Medien und einigen Rückhalt im kritischen Ausland genießen, sind auf dem kulturellen Sektor offen autoritäre Maßnahmen nicht zu erwarten. Vielmehr ist anzunehmen, so Thomas Hübel von der Wiener Kunstinstitution Depot, dass sich das schwarz-blaue Regime in diesem Bereich auf eine repressive Toleranz zurückziehen wird. Daneben lassen sich immer auch Budget-Zwänge einsetzen. Ein weites Experimentierfeld also für einen unauffälligen und sanften Kulturkampf. Zur Repression gibt es zudem eine postmoderne Variante: die Kulturalisierung von Politik. Das Leitmotiv der mannigfaltigen und beliebigen Repressalien und Zensur-Maßnahmen im österreichischen Kulturbetrieb ist die Verdeckung politischer Sachverhalte durch kultur-administrative Fragen. Das ist der einzige gemeinsame Nenner in einer Situation, in der von autoritärer Repression nur in Ausnahmefällen die Rede sein kann und deren Unangenehmheit eher durch ihre Unberechenbarkeit entsteht. Peter Grabher vom Filmclub Kinoki in Wien umschreibt das mit dem Begriff low intensity repression, in Anlehnung an den Begriff der guerra de baja intensidad. Es handelt sich dabei um eine Kombination aus Desinformation, Zerstörung struktureller Ressourcen und informeller Gewalt - eine Methode, die in der militärischen Aufstandsbekämpfung erprobt wird. So z.B. von der mexikanischen Regierung gegen die Zapatistas. In Österreich hingegen markiert die low intensity repression eine neue Phase im Verhältnis von Kultur und Politik: den Kampf um kulturelle Hegemonie unter den Bedingungen einer weniger autoritären denn rechtspopulistischen und neoliberalen Regierung. Wie um die These der Kulturalisierung von Politik zu belegen, werden in Linz die politischen Auseinandersetzungen um die faschistische Vergangenheit und rassistische Gegenwart um ein Stück Papier geführt - eben um jenes Plakat. Es darf zwar jetzt im Stadtraum gezeigt werden, aber dies musste erst erstritten werden. Die Institution Kunstraum, die das Projekt »Arbeit an der Öffentlichkeit« zeigt, hatte zunächst keinen Platz im öffentlichen Raum für das Plakat vorgesehen. Eine andere Arbeit aus derselben Serie sagte eher zu. Sie trägt den unverfänglichen Titel: »Meine Augen sind aus Brasilien«. Der Linzer Kunstraum ließ sich nach einigem Hin und Her schließlich doch noch davon überzeugen, dass das »Hitlerzeit»-Plakat in der aktuellen Lage eine gewisse mediale Relevanz besitze. Davon nicht zu überzeugen waren jedoch die Medienkunst-Kuratoren der Steirischen Landesausstellung gr2000az. Sie zogen angesichts des Plakats die schon ausgesprochene Einladung an die Künstlerinnen zurück, eine Arbeit im öffentlichen Raum von Graz zu präsentieren, denn es handle sich bei dem Plakat nicht um Medienkunst. So sei »auf dem Bild nur Text zu sehen«. Der inkriminierte Text besteht aus Aussagen von Migrantinnen, die den traditionsreichen Rassismus in Österreich kritisieren. Durch die dicke rote Headline »Graz hat nie die Hitlerzeit verloren« wird eine historische Perspektive aufgezeigt, die z.B. auf die nationalsozialistische Herkunft des österreichischen Staatsbürgerschaftsrechts verweist. Ganz gleich, was einem zu diesem Plakat auch immer einfallen mag, es hat jedenfalls kaum Sinn, darüber zu streiten, ob dies nun »den elektronischen Zustand der Gesellschaft und der Künste sichtbar« macht. So aber hatten die Kuratoren argumentiert. Da dies beim »Hitlerzeit»-Plakat nicht der Fall sei, handle es sich auch nicht um eine Frage politischer Inhalte, so Werner Fenz, sondern um eine Frage ästhetischer Form. Jeglicher Zensur- Vorwurf sei daher zwecklos. Durch solche Aussagen wird eben jene Kulturalisierung von Politik realisiert: Um die Auseinandersetzung über Rassismus zu vermeiden, wird die Aufmerksamkeit auf die Beschaffenheit von Medienkunst verlegt. Und anstatt autoritärer Zensur greift nun ein Gemenge aus Selbstzensur, Formalien und ästhetischen Vorlieben. Gerade die angeblich unpolitische, die rein kunstimmanente Haltung ist derzeit ein politisches Statement, das den Vorteil hat, nicht verteidigt werden zu müssen, da ja nicht über Politik, sondern über Geschmack verhandelt wird. De gustibus non est disputandum - das Motto postmoderner, ästhetisch informierter Repression. Wie als Beleg dafür, dass jede Auseinandersetzung über den flagranten Rassismus in Österreich formal verschleiert wird, funktionierte auch ein anderer Fall von Zensur, diesmal in der ORF-Sendung »Kunst-Stücke« Mitte Februar. Zum Gespräch war dort die Sprachwissenschaftlerin Ruth Wodak geladen, die über Rassismus im politischen Alltag referieren sollte. Dazu sollten ORF-Mitschnitte aus Parlamentssitzungen eingespielt werden, etwa die Äußerung von Helene Partik-Pablé, Justizsprecherin der FPÖ, die über »besonders aggressive« Afrikaner schwadroniert hatte. Der zuständige Redakteur wollte zunächst von den Zuspielungen nichts wissen. Dann sollte Wodak weder die Namen noch die Parteizugehörigkeit der Redner offen legen und die Diskussion ausschließlich mit anonymisierten rassistischen Zitaten bestreiten. Wodak empfand diese Zumutungen als Eingriff in ihre wissenschaftliche Arbeit und setzte sich heftig zur Wehr. Die Kulturchefin des ORF, Heide Tenner, wies Wodaks Zensurvorwurf zurück. Eine »Schuldzuweisung«, also konkret der Nachweis rassistischen Sprachgebrauchs einzelner Politiker, sei »zu einfach«. In einem Offenen Brief an den ORF ging Ruth Wodak davon aus, dass es sich eindeutig um einen Fall politischer Einflussnahme gehandelt habe. Dies erstaunt deswegen kaum, weil der ORF derzeit eine der Institutionen ist, in denen die FPÖ unverhohlen versucht, die schwarz-blaue Mehrheit im Fernsehrat in ihrem Sinne zu nutzen. Dort lässt sich ein strategisches Streben nach kultureller Hegemonie beobachten. In anderen, weniger staatstragenden Institutionen sind solche Eingriffe schwerer auszumachen. Massive Interventionen gehören noch nicht zur Regel. Eine vorläufige Ausnahme ereignete sich in Salzburg. Dort hatte der Kulturverein Kanal den Wiener AktivistInnen von www.gegenschwarzblau Webspace zur Verfügung gestellt. Die Website wurde als einer der wichtigsten Netzknoten zur Koordination der Protest-Termine überregional bekannt. In einer dringlichen Anfrage im Salzburger Landtag monierten daraufhin mehrere FPÖ-Abgeordnete die »zweckwidrige Verwendung von Subventionsmitteln des Landes«. Der Tenor: Es sei nicht hinzunehmen, dass Proteste gegen die Regierung auch noch von dieser finanziell unterstützt würden. Im Unterschied zu anderen Klagen erscheint diese Logik zumindest materialistisch. In dieselbe Kategorie fiel auch der Versuch, die Subventionierung des Preisgeldes für das Filmfestival Diagonale in Graz zu verweigern. Nachdem 350 österreichische Filmschaffende in einer gemeinsamen Resolution die Regierung zum Rücktritt aufgefordert hatten, fühlten sich ÖVP- und FPÖ- Landtagsabgeordnete bemüßigt, darauf hinzuweisen, dass die KritikerInnen »am Futtertrog der Republik« hingen und sich daher gefälligst an die »Spielregeln« zu halten hätten. Wenn es mehr solcher Äußerungen gäbe, wäre zumindet der Rahmen des Konflikts geklärt, und klare und kompromisslose Reaktionen, wie die des attackierten Kulturvereins Kanal, würden erleichtert. Dieser erklärte lakonisch, dass er sich keinesfalls gehindert fühlen würde, weitere Subventionen für die Organisierung der Proteste in Anspruch zu nehmen, da er dies als »demokratiepolitische Aufgabe« verstehe. So einfach ist die Repression leider meistens nicht zu greifen. Die Interferenzen, die sich aus der Kulturalisierung der Politik ergeben, rufen dafür absurde Situationen und groteske Gerüchte hervor. Direkt auf der Schnittstelle zwischen Kunst und Politik positionierte sich auch die Initiative Die Zelle. Sie gab in einem E-Mail bekannt, sich auf die Störung von Ausstellungseröffnungen und anderen Kulturveranstaltungen spezialisiert zu haben, um bei solchen Anlässen keinerlei Normalität im Kontakt mit Regierungsmitgliedern aufkommen zu lassen. Zur Nachahmung wurde das Beispiel einer Aktion empfohlen, bei welcher die AktivistInnen der Zelle die ÖVP-Kulturministerin durch Buh-Rufe erfolgreich an der Verlesung einer Eröffnungsrede gehindert hatten. Diese keineswegs radikale Aktion wurde von Teilen des Publikums mit wilder Erbostheit aufgenommen. Die Aufforderung der Zelle, »keine Koalition mit dem Rassismus« einzugehen, konterte das Publikum mit lautstarken Hinweisen darauf, dass man sich »in den Räumen der Kunst« befinde und »der Kunst ihre Freiheit« gebühre. Dies legt die Interpretation nahe, dass selbst ein so fader politischer Akt wie die Eröffnungsrede einer Ministerin derzeit kulturalisiert - sogar zur Kunst erklärt - wird, um eine politische Auseinandersetzung mit Rassismus zu vermeiden. Der von rechts besetzte Kunstbegriff funktioniert somit faktisch als Kultur-Asyl, innerhalb dessen auch das Koalieren mit bekennenden Rassisten zum ästhetischen Akt erhoben wird. Die Geschichte der Initiative Zelle geht jedoch noch weiter: Einen Tag nach der Versendung des E-Mails mit dem Aufruf zum Widerstand lungerte vor dem Büro einiger Angehöriger der Zelle ein Beamter der Staatspolizei herum, der vorbeigeschickt worden war, um zu ermitteln, ob von der Zelle ein Staatsstreich zu erwarten sei. Diese Geschichte wurde in verschiedensten Kommunikationskanälen als Beleg verschwörungstheoretischer Annahmen über organisierte Repression kolportiert und brachte schließlich sogar das Gerücht hervor, die Staatspolizei würde gewissermaßen eigenhändig E-Mails abfangen. Tatsächlich, so eine Beteiligte, sei der Staatspolizist jedoch sichtlich ratlos und etwas peinlich berührt gewesen. Nachdem er höflich darüber in Kenntnis gesetzt worden war, dass von der Zelle keine umstürzlerischen Aktivitäten erwartet werden durften, trollte sich der Polit-Polizist, dem Augenschein nach eher erleichtert. Den armen Tropf gibt es jetzt auch zur Miete. Frei nach dem Motto »Rent an agent« können ab 1. Mai Privatunternehmen staatspolizeiliche Dienstleistungen, wie etwa die Überprüfung von Führungskräften gegen eine entsprechende Gebühr in Anspruch nehmen. Eine ganze Reihe kulturalistischer Possen also, die derzeit im österreichischen Kulturbetrieb geboten werden. Zu unterschätzen sind sie jedoch in einer Hinsicht nicht: Sie bezeichnen tatsächlich einen Knotenpunkt der politischen Situation. Es ist kaum zu entscheiden, ob die Kürzungen im Kultur-Budget auf eine neoliberale Harmonisierung europäischer Haushaltspolitik zurückzuführen sind oder aber auf rechtskonservative Kulturkampf-Maßnahmen gegenüber unliebsamen künstlerischen Positionen. Dieser Unentscheidbarkeit entspricht der generelle kulturpolitische Stil der FPÖ, wie er von Thomas Hübel vom Depot und Gerald Raunig von der IG Kultur übereinstimmend charakterisiert wird: Widersprüchlichkeiten werden nicht nur zugelassen, sondern offensiv genutzt. Ganz offensichtlich wird dies am Zusammenspiel von Jörg Haider mit seinem rechtsradikalen kulturpolitischen Berater Andreas Mölzer. Während Mölzer den wilden Mann spielt, etwa indem er die Kunst als »Hure« beschimpft, gibt Haider in der Kärntner Kulturpolitik eher den verständnisvollen Gönner. Einbindung und Ausgrenzung finden sich vereint, und somit gelingt es der FPÖ immer wieder, ihre eigene Opposition darzustellen. Der Trend, so Raunig, gehe dahin, die Maßnahmen ins bürokratische Vorfeld auszulagern und oppositionelle Kulturarbeit durch Verordnungen zu erschweren. Darunter etwa die Streichung des »begünstigten Versandtarifs« für Zeitungen, die »Sicherheitsgebührenverordnung« und, als poetische Spitzenleistung des hegemonialen Sprachgebrauchs, »die Lustbarkeitsabgabe«. Die Steigerungsform von Kultur ist in Österreich eben immer noch die Bürokratie. Bevor jedoch der Versuchung nachgegeben wird, diese Form von Repression als dominierend zu beschreiben, muss energisch auf eines hingewiesen werden. Neben den beschriebenen Formen ebenso heimattümelnder wie neoliberaler Kulturkampf-Maßnahmen finden in anderen, weniger genau beobachteten gesellschaftlichen Bereichen jeden Tag ganz banale, brutale und altmodische staatliche Eingriffe statt. So wurde etwa der Flughafen-Sozialdienst, eine Beratungsstelle für Illegalisierte, von der Polizei gestürmt, unter dem Vorwand einer anonymen Anzeige. Der unbekannte Anrufer habe vor einem »Schwarzen, der mit einer Waffe herumfuchtelt«, gewarnt. Natürlich war weit und breit kein solcher zu sehen, dennoch nahm die Polizei dies zum Anlass, acht MigrantInnen zu verhaften und zwei davon umgehend in Schubhaft zu stecken. In ähnlicher Manier wurden polizeiliche Überfälle auf verschiedene Flüchtlingswohnheime verübt, auf einen Schwulentreff und auf etliche DemonstrantInnen. Neuerdings werden unter Verdacht geratene AfrikanerInnen polizeilich vermessen, von Anthropologen, die nebenher in rechtsradikalen Zeitschriften publizieren. Von low intensity kann bei dieser Form offener und gewalttätiger Repression keine Rede sein. Anstatt sich übermäßig vom bürokratischen Kulturkampf faszinieren zu lassen, sollte die Aufmerksamkeit gegenüber repressiven Tendenzen in Zukunft eher auf diesen Sektor gerichtet werden. http://www.jungle-world.com/_2000/18/32a.htm ________________________________________________________________________________ no copyright 2000 rolux.org - no commercial use without permission. is a moderated mailing list for the advancement of minor criticism. more information: mail to: majordomo@rolux.org, subject line: , message body: info. further questions: mail to: rolux-owner@rolux.org. archive: http://www.rolux.org