________________________________________________________________________________ Jungle World 17/99 Kunst am Volk Der Bundestag hat zu Gunsten des Haacke-Projekts entschieden. Aber die demoskopische Kunstkritik urteilt anders. Von Joachim Rohloff Der Sprachkritiker Wolf Schneider wird nicht müde, in seinen zahlreichen Büchern immer wieder den falschen Gebrauch des Worts »Bevölkerung« zu rügen, das eigentlich keine Menschengruppe meine, sondern einen Vorgang: »die Bevölkerung Ostpreußens durch Friedrich den Großen beispielsweise«. Wie ja auch die »Lichtung« nicht das Loch im Wald benennt, sondern den Prozess der partiellen Negation eines mehrere Individuen umfassenden lebenden Holzbestandes zu forstwirtschaftlichen Zwecken? Seltsam nur, dass man trotzdem drauftreten kann. Schneider zufolge, der mehrere Generationen von Journalisten angeleitet hat, ist die »Bevölkerung« viel zu oft »ein modisches und schiefes Synonym« fürs »Volk«. Hoffentlich sagt ihm bald jemand, dass die Klage über einen modischen Sprachfehler, wenn er nach hundert Jahren noch immer nicht behoben ist, ziemlich albern wird: »Aber ein gut Teil der Bevölkerung war doch versammelt in den Gassen und Gäßchen um seine Behausung her« (Wilhelm Raabe, »Stopfkuchen«, 1891). Seit dem letzten Krieg vermehrt sich die »Bevölkerung«, und das »Volk« stirbt aus. Schneider ahnt, warum: »vermutlich weil Hitler es missbraucht und zu Tode geritten hat«. Was aber die Sprachzucht gebeut, erlaubt zum Glück auch der demokratische Diskurs: dem »Volk« trotz seiner unguten Vergangenheit aufzuhelfen. Denn »andererseits steht es im Grundgesetz« und überm Westportal des Reichstags: »Dem Deutschen Volke«. Womit wir auch schon beim Thema sind. Der Projektkünstler Hans Haacke, vom Bundestag um ein Stück Kunst am Bau gebeten, antwortete mit einem Entwurf, der zunächst zwar akzeptiert wurde, plötzlich aber auf heftigsten parlamentarischen Widerstand stieß. Einen großen Bottich will er im Lichthof des Reichstags aufstellen, und die Abgeordneten sollen ihn mit je einem Zentner Erde füllen, den sie aus ihrem Wahlkreis herbeigeschafft haben. Ohne gärtnerischen Eingriff soll aus zufällig vorhandenem Samen ein Biotop wachsen, und darin soll eine Widmung aus Neonbuchstaben angebracht werden: Der Bevölkerung. Mit den bescheidenen Mitteln seiner Kunst will Haacke den Streit ums Staatsbürgerschaftsrecht kommentieren, sein Werk soll Zeugnis ablegen gegen das völkische Blutsrecht und fürs »ökumenisch integrierende Bodenrecht«. Als erster formulierte Norbert Lammert, der kulturpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, ein intelligenter Gegner des Haackeschen Projekts unter vielen dummen, den Widerspruch im Antrag, der Bundestag, der sich für gewöhnlich den Beschlüssen seines Kunstbeirats fügt, möge diesen einen aufheben und den Ankauf des Terrariums verweigern. Schließlich seien alle Abgeordneten aufgefordert, sich an dem Kunstwerk zu beteiligen, deshalb müssten sie auch darüber entscheiden dürfen. Er selbst halte es für misslungen, es sei nicht mehr als eine »skurrile Bundesgartenschau« und eine »Albernheit«. Obwohl er darauf bestand, man habe nicht nur eine ästhetische, sondern auch eine politische Entscheidung zu fällen, mochte er die politischen Gründe seines Missbehagens nicht verraten. Anders Karl Feldmeyer von der FAZ. Sein Kommentar, der ebensogut in der Nationalzeitung hätte erscheinen können, bezichtigte Haacke, er wolle »dem deutschen Volk das Parlament wegnehmen und es 'Der Bevölkerung' geben, kurz: Er will den Bundestag umwidmen. Auch den Grund dafür nennt er - seine tiefe Aversion gegen dieses Volk, dem er eine unheilvolle Rolle zuordnet«. Wer aus Unkraut Kunst macht, der erhebe letztlich »die Forderung, das deutsche Volk als Subjekt der Politik durch eine amorphe 'Bevölkerung' abzulösen. (...) Inzwischen liegt ein Rechtsgutachten vor, in dem das Projekt als verfassungswidrig beurteilt wird.« Man ist zwar von Juristen vieles und von wissenschaftlichen Gutachtern fast alles gewöhnt, wenn aber einem der Beweis gelingt, ein Kunstwerk könne verfassungswidrig sein, obwohl doch die Freiheit der Kunst von der Verfassung garantiert wird, so sollte er sein Hirn der medizinischen Forschung vererben. Feldmeyern in seinem Grimm war selbst das Argument Noelle- Neumann nicht zu blöd: »Zudem hat eine Umfrage ergeben, dass mehr als achtzig Prozent der Deutschen die Inschrift 'Dem Deutschen Volke' bejahen und drei Viertel der Deutschen die Widmung 'Der Bevölkerung' ablehnen.« Ein demokratisches Parlament, sollte das wohl heißen, darf sich mit keinem Werk schmücken, das vor einer demoskopischen Kunstkritik nicht besteht. Verfassungswidrige Kunst ist schlimm genug, noch schlimmer ist, dass die Volksvertretung sich mit ihr gegen das Volk verbündet: »Die Deutschen haben vor zehn Jahren mit dem Ruf 'Wir sind ein Volk' Europa verändert. Dass der Bundestag jetzt in Betracht zieht, eben dieses Volk zu negieren, ist schwer zu fassen. Sich nur darüber zu empören, reicht aber nicht.« Sondern? Die Antwort gibt eine Phrase, die man schon hundertmal in rechtsextremen und geschichtsrevisionistischen Texten und eben auch in der FAZ gelesen hat: »Besser wäre eine unvoreingenommene Auseinandersetzung mit der Geschichte: neben Schuld und Versagen sollten auch Verdienst und Leistung des deutschen Volkes in die Betrachtung einbezogen werden. Wer ihm die Selbstachtung und das Recht auf nationale Identität verweigert, verliert auf Dauer die demokratische Legitimation.« Denn, so stand es anlässlich der Walser-Debatte im Ostpreußenblatt, Demokratie heißt Volksherrschaft, also kann es ohne das deutsche Volk in Deutschland keine Demokratie geben. Und das deutsche Volk ist halt etwas grundsätzlich anderes als eine »amorphe« oder »beliebige« Bevölkerung. Man braucht ihm nur ganz sanft in seine weiche Stelle zu pieken, schon quillt es schönhubern aus ihm heraus. Obwohl der Anlass kaum geringer hätte sein können, ging es wieder einmal ums Ganze. »Es gilt, die Freiheit der Politik gegen die Anmaßung der Kunst zu verteidigen.« Diese Freiheit zu erfinden, brauchte es mindestens eine abgewickelte Diplomphilosophin. Dabei sollte Vera Lengsfeld doch am besten wissen, dass die Politik immer einem Zweck unterworfen ist: entweder dem Gemeinwohl oder dem persönlichen Auskommen. Schließlich betreibt sie die »Politik als Beruf« (Max Weber) nur deshalb, weil sie zur Hausfrau zu dumm ist. Von Feldmeyers Liebe wusste das deutsche Volk seit längerem. Seit der Debatte um Hans Haackes Kleingarten kennt es auch den Abgeordneten Volker Kauder. Er sagte dreimal Nein: »Ich sage Nein zu diesem simplen und für unser Haus unwürdigen Kunstwerk. Ich sage Nein dazu, dass der Versuch unternommen wird, das deutsche Volk verächtlich zu machen, auf eine kurze Zeit seiner Geschichte zu reduzieren. Ich sage Nein zu dem Versuch der Distanzierung des Deutschen Bundestags von seinem eigenen Volk.« Das deutsche Volk dürfe sich nicht immer wieder auf »die schrecklichen zwölf Jahre Nationalsozialismus« reduzieren lassen, es müsse endlich normal werden, »so normal wie die Franzosen und die Briten«. Wie einst Martin Walser hatte auch Kauder »zahlreiche Zuschriften von Deutschen« erhalten, die ihn in seinem Willen bestärkten, den Angriff auf die deutsche Identität abzuwehren. Was es aber mit diesen Briefen auf sich hatte, erklärte Rita Süssmuth. Die einschlägige Passage ihrer Rede verdient es, in ganzer Länge zitiert zu werden: »In Hunderten von Briefen - von wenigen Ausnahmen abgesehen - gibt es nur einen Tenor, nämlich dass das, was wir hier zulassen würden, all denjenigen, die es wollen, den Vorwurf einbringt, Verbrecher, Mörder und Verräter des Vaterlands zu sein. Nun kann man sagen, diese Minderheit kümmert uns nicht. Aber diese Minderheit hebt kräftig an und wirft den noch Mächtigen vor, sie seien für die Milliardenbeträge an Sozialhilfe, die wir für Ausländer und Asyl Suchende, die hier nicht hingehören, zahlen müssen, verantwortlich. Ich muss dies beim Namen nennen, weil es der Grundtenor nicht nur einzelner Briefe, sondern Hunderter von Briefen ist. Weiter wird gefragt, ob diejenigen, die zugestimmt hätten, nicht sowieso geisteskrank oder von allen guten Geistern verlassen seien. Es wird gefragt: Sollen die Gelben, die Schwarzen, die Türken und die Zigeuner etwa auch dazu gehören? Das wäre der Verrat am Vaterland. Dies muss man mit im Hinterkopf haben. Es wäre gut, wenn all die Briefe, die viele von uns bekommen haben, bei einer Ablehnung des Projekts als Dokumentation an den leeren Platz des nördlichen Lichthofes gelegt würden.« Keine schlechte Idee - dann entspräche der Inhalt des Reichstags endlich seiner Widmung. Einige Kommentatoren meinten, Kauder habe mit seiner Rede zu Gunsten des Antrags, Haackes Kunstprojekt nicht zu realisieren, entscheidend dazu beigetragen, dass er schließlich mit 260 gegen 258 Stimmen abgelehnt wurde. Fast die Hälfte aller Abgeordneten des Bundestags, muss man daraus schließen, fühlt sich noch immer dem völkischen Volk verbunden. Denn so sehr sich Norbert Lammert auch bemüht, die Motive der Antragsteller zu verschleiern - es gibt keinen ästhetischen Grund, um dessentwillen man sich mit Kauder, Feldmeyer und den Briefeschreibern gemein machen dürfte. http://www.jungle-world.com/_2000/17/30a.htm ________________________________________________________________________________ no copyright 2000 rolux.org - no commercial use without permission. is a moderated mailing list for the advancement of minor criticism. more information: mail to: majordomo@rolux.org, subject line: , message body: info. further questions: mail to: rolux-owner@rolux.org. archive: http://www.rolux.org