________________________________________________________________________________ Berliner Morgenpost Feuilleton Samstag, 3. Juli 1999 Und auf dem Klo ein Schwarzweißfernseher Wo die Szene nachts gern unter sich bleibt Nachts in Berlin. Nachts unterwegs. Nachts auf der Piste. Wir stellen in loser Folge ausgefallene und angesagte Szenetreffs und Partylocations der Stadt vor. Heute: Das Daimler-Chrysler in Mitte. Gut, daß du morgen nicht arbeiten mußt», verkündet das Plakat, das im Daimler-Chrysler eine verschlossene Tür ziert. Ansonsten ist der Eingangs- und Rumstehbereich karg: Grünes und blaues Neonlicht, ein paar alte Stühle, eine Pflanze, ein paar weiße Wände.Allein das Klo verspricht zusätzliche Unterhaltung durch einen Schwarzweißfernseher, der am liebsten nächtlichen Trash-Talk oder schlechte Polizei-Serien empfängt: «Sie halten sich an die Regeln und machen ihren Job oder fliegen raus!» Da ich so wenig aus dem irgendwo in Mitte gelegenen Laden fliegen will wie der junge und überforderte Drogenfahnder aus seinem Arbeitsverhältnis, halte ich mich dann auch an das Schweigegelübde und verrate höchstens, daß Montags- und Dienstagsbar keine Welten weit weg sind. Oder war es die Mittwochsbar? Das Daimler-Chrysler, über das man auf Flyern noch Genaueres erfährt, ist jedenfalls ein durchaus angenehmer Ort, an dem von prominenten und semiprominenten DJanes und DJs Elektronik für Fortgeschrittene aufgelegt wird: Abstrake Beats, die zwar noch nicht weh tun, aber schon nicht mehr wirklich tanzbar sind. In der letzten Woche stand ein Robert an den Decks, diesmal sind es eine Supermerie und eine Ute, die, wie Spex-Fotograf Sebastian Meyer am Mittwoch auf Max Müllers Release-Party am Ostbahnhof zu berichten wußte, irgend jemand auf Twen FM hat deejayen hören. Doch wie ebenda am Montag auf der Sterne-Release-Party der beliebte Friedrichshainer House-DJ Jack «Ruhrpott» Tennis erzählte, hat dieser in Mitte hochgeschätzte Piratensender wegen Kelleraufbruch inklusive Equipmentklau derzeit Sendepause. Das ist zwar eine andere Geschichte, doch da auch eine Stunde vor Freitagsbeginn nicht viel los ist, schweift der Blick den Tresen entlang und erspäht einen Flyer, auf dem «communication guerrilla not found» zu entziffern ist. Gezeichnet http://www.rolux.org. Und siehe da, dort erfährt man einiges über die Crowd, die in den nächsten Stunden hier eintrudeln wird. Alleine die sich abwechselnden Slogans verraten dem Eingeweihten einiges. Mehr noch aber lohnt sich der Blick ums Eck. Im Office von Kitty-Yo, deren jüngere Mitarbeiter man ebenso in Daimler-Chryslers weißgekalktem Kellerraum mit Mini-Bar trifft wie vertraute Gesichter aus dem Umfeld von Ex-BerlinTokyo, brennt noch Licht, und für die Zwischenzeit hat ein sympathischer Kollege noch einen heißen Tip in der Auguststraße. Eine bezaubernde Bekannte aus dem Studentenmilieu, die heute trotz Fahrrad als Rocker-Queen mit Lederjacke auftritt, schließt sich an, und während dort ein freundlicher Türsteher, nettes Publikum und «wicked Ragga-Tunes» für richtig gute Laune sorgen, ist der Chef nicht begeistert: Keine Presse bitte, schließlich kämen lauter berühmte Schauspieler (von denen leider aber gerade keiner in Sichtweite ist) zum Koksen vorbei und wollten dabei dann doch unter sich bleiben. Also kehren wir zurück in den Daimler-Keller und sind froh: Endlich sind sie alle da. Die Künstler, die Architekten, die Musikmenschen. Es ist spät. Zu dumm, daß ich morgen arbeiten muß. http://archiv.berliner-morgenpost.de/bin/bm/e?u=/bm/archiv1999/ 990703/feuilleton/story08.html ________________________________________________________________________________ no copyright 2000 rolux.org - no commercial use without permission. is a moderated mailing list for the advancement of minor criticism. more information: mail to: majordomo@rolux.org, subject line: , message body: info. further questions: mail to: rolux-owner@rolux.org. archive: http://www.rolux.org