________________________________________________________________________________ Die magischen Kanäle des Rap Linke Intuitionen versus rechte Intentionen: Public Enemy melden sich zurück "Yeah, yeah, here we go again, back to the roots, back to the roots". Public Enemy sind unüberhörbar wieder da. Mit der vertrauten, leicht zu lauten und immer etwas beleidigten Stimme ihres Chefideologen Chuck D. und dem quäkenden Sirenenorgan ihres Spaßmacher-Schrats Flavour Flav verkündet die einst gewaltigste, mächtigste und zornigste Hip-Hop-Gruppe, dass wieder mit ihr zu rechnen sei. Und sie wollen anscheinend irgendwohin zurück, an einen Ort, von dem sie herkommen. Wo könnte der liegen? In den Achtzigern? Späte Reagan-Ära, frühe Perestrojka? Damals führten sie nicht nur musikalisch das an, was man die Rap-Revolution nannte, sondern trugen auch maßgeblich dazu bei, dass man diese tatsächlich für eine politische hielt. Für die Gegenwart und die letzten zehn Jahre Rap-Geschichte bringen sie heute nur Verachtung auf. Public Enemy vergleichen die Video-Gläubigen von heute mit den 85-Prozent-Verblendeten, wie sie in den pseudo-islamischen, elitären Geheimlehren der nationalistisch-afroamerikanischen Sekte der Fünf-Prozent-Nation; vorkommen, an deren millennaristisches Gebrabbel soviele Hip-Hop-Stars glauben. Die anderen, die R’n’B- und Gangsta-Rapper, sind für PE nur noch geldgeile Verräter. Überhaupt hat sich in jenen vergangenen Jahren alles zum Üblen entwickelt, als PE nur durch endlose Probleme mit ihrer Plattenfirma, durch künstlerisch und kommerziell vergebliche Versuche, ihr altes Produzententeam, die Bomb Squad, zu ersetzen, sowie mit einigen zwar vielversprechenden, aber erfolglosen Solo-Platten von Chuck D und Terminator X hervorgetreten sind. Mit ihren ersten drei Platten zwischen 1987 und 1990 (Yo! Bum Rush the Show, It Takes a Nation of Millions to Hold us Back und Fear of a Black Planet) hatten PE sich das eigentlich unschätzbare Verdienst erworben, die implizite politische Dimension von Rap und Hip-Hop explizit gemacht zu haben. Das von Punk-Jacken bekannte Schieß doch Bulle!-Logo mit der Silhouette im Fadenkreuz hatten sie zum Symbol einer rassistisch benachteiligten, vorwiegend männlichen schwarzen Großstadt-Jugend umgestaltet, die von der weißen Mehrheitsgesellschaft wie ein public enemy, ein Staatsfeind, bekämpft werde. Möge die Macht mit euch sein Im Windschatten ihres Erfolges und dem einiger ähnlich militantgesonnener Kollegen hatte sich die Hip-Hop-Community innerhalb kürzester Zeit darauf besonnen, ihr immer schon beträchtliches Potenzial an Zorn und Unzufriedenheit politisch zu deuten und einzusetzen. Und das entsprach nicht nur den Tatsachen ; die Lebensbedingungen schwarzer amerikanischer Großstadtbewohner sind und waren ja ein politischer Skandal, sondern belebte auch viele benachbarte Diskussionen und politisch-kulturelle Entwicklungen, vom Aufstieg eines politisierten afroamerikanischen Kinos (Spike Lee zum Beispiel, John Singleton oder die Hughes-Brüder) bis zu Einflüssen auf Multikulti- und Rassismus-Diskussionen in allen Teilen der Welt. Neue afroamerikanische Intellektuelle wie Henry Louis Gates jr., Cornell West oder Houston Baker bezogen sich explizit auf die explicit lyrics der Rap-Kultur. Und Public Enemy hatten das weitgehend allein angestiftet. Mittlerweile ist das so lange her wie die großen Erfolge von Guns;n;Roses. Mit ihrer Hymne Fight The Power aus dem Soundtrack zu Spike Lees Ghetto-Lehrstück, Do The Right Thing! hatten sie schließlich eine Formel gefunden, auf die sich die komplette Post-Linke mit jedem Altlinken einigen konnten: zwei wahrhaft universale und seinerzeit kaum angreifbare Imperative. Tu das Richtige! Zeig es der Macht! Heute wollen dagegen wieder alle, dass die Macht mit ihnen ist, und ziehen das Unterhaltsame dem Richtigen vor. Doch just im heurigen Sommer der Machtunterwerfung kommen Public Enemy mit einem neuen Album zurück und auch Spike Lee hat mit Summer of Sam einen Film gemacht, der endlich auch wieder breit und vor allem politisch diskutiert wird. Das politische Engagement von PE gegen die Benachteiligung von Schwarzen, gegen strukturellen und offenen Rassismus in den USA und im globalen Zusammenhang war indes von Anfang an kontaminiert. Mehr oder weniger offen bekannte sich das Ensemble zu Louis Farrakhans mal mehr und mal weniger offen antisemitisch auftretender Nation of Islam. Und auch wenn sich diese größte außerparlamentarische undoppositionelle Organisation der amerikanischen Schwarzen immer wieder in linken und liberalen Koalitionen fand und sich die zuweilen brillanten Reime Chuck Ds aus der sektenhaft-religiösen Enge der Nation of Islam absetzten und zu großkalibrigen antikapitalistischen Wahrheiten aufschwangen, drang das Problem Farrakhan immer wieder an die Oberfläche. PE-Mitglied Professor Griff wurde schließlich wegen antisemitischer Äußerungen von Chuck D ausgeschlossen: Heute ist er in Ehren wieder aufgenommen. Noch ärgerlicher als der bei PE immer wieder aufblitzende Black Nationalism war der Einfluss, den diese Orientierung, von PE stark gefördert, auf den Rest der politisierten Hip-Hop-Szene hatte. Auch wenn das nicht allein Chuck D zuzurechnen ist, so hat er doch eine Menge damit zu tun, dass von Ice Cube bis A Tribe Called Quest viele andere begabte junge Rapper sich der Organisation anschlossen oder für sie warben, die für die Ermordung ihres früheren Sprechers Malcolm X verantwortlich ist und deren heutiger Führer Farrakhan diesen Mord seinerzeit auch gerechtfertigt hatte (Ein Mann wie Malcolm ist des Todes). In dieser Hinsicht waren PE zwar nie konsistent und sampelten Malcolm-Reden auch aus seiner internationalistischen Phase, aber gerade ihre gelegentliche Offenheit für Koalitionen aller Art; von der Metal-Gruppe Anthrax bis zum linken Punk-Bürgerrechtler Jello Biafra ; ließ ihre Version eines jugendlichen Farrakhanismus so attraktiv werden. Gerade in dessen haarspalterischen und homophoben und gelegentlich gemeingefährlichen Sektenwahnsinn liegt aber der politisierte Hip-Hop begraben. Auch wenn PE bis heute zu scharfsinnigen Beobachtungen zu Massenmedien und rassistischer Flüchtlingspolitik in der Lage sind und linke Intuitionen sich oft gegen rechte Intentionen bei ihnen durchsetzen, hatten doch im Gesamtbild des politisierten Hip-Hop die Werte Unity, Nation und Motherland gegen den bloß strategischen Einsatz des Afrozentrismus und die klassisch linke Orientierung früherer Phasen schwarzer Militanz die Oberhand behalten. Der in den Sechzigern durch die Black Panther zugunsten eines marxistischen Internationalismus entschiedene alte Konflikt zwischen ethnozentrischen ;Cultural Nationalists; und den verschiedenen linken Orientierungen der schwarzen Opposition wurde bei seiner Wiederaufführung im Hip-Hop von den Nationalisten gewonnen. (Anders im Kino, wo Spike Lee in seinem Malcolm X-Film mit den Nationalisten deutlich abrechnete.) Deutsche Fans merkten das, als sie bei der 91er PE-Tour von Chuck D und Flavour Flav Glückwünsche zur Wiedervereinigung entboten bekamen. Auf die irritierten Reaktionen des damals noch weitgehend links politisierten Rap-Publikums - heute wäre so ein Glückwunsch wohl kein Problem mehr - , fragte Flavour zornig, ob wir denn keine national unity wollten und er wäre froh, wenn brothers and sisters endlich in unity leben würden. Schwindlers Lust Heute beklagen PE zurecht die Depolitisierung des Rap. Aber sie wissen seine ästhetischen Entwicklungen seit 1990 nicht zu schätzen.Verdankten sie ihren Einfluss ja gerade der Kongruenz der explosiven und gleichzeitig hochfiligran gebastelten Sample-Architektur der Bomb Squad mit ihren Angriffen auf weißen Suprematismus, fallen sie heute weit hinter die zeitgenössischen musikalischen Errungenschaften der Hip-Hop-Welt zurück. Ihr DJ Terminator X kommt kaum zum Zuge und hinkt den abstrakt-virtuosen Scratch-Orchestern unserer Tage wie X-Ecutioners oder Invisible Scratch Piklz hinterher. Und ihr Beat-Meister Tom E. Hawk kann nicht nur den Bomb-Squad-Standard nicht erreichen, er hat kaum Verbindungen zu den kristallklaren und gleichzeitig kompliziertesten Beat-Texturen des heute im Hip-Hop-Umfeld eine neue Blütezeit erlebenden R´n´B (Missy Elliot, Timbaland). PE klingen heute eher wie eine mittelprächtige Truppe des um Bands wie Company Flow oder das Rawkus-Label ebenfalls zu neuer Kreativität erwachten Underground-Rap ; ohne positiv oder negativ besonders aufzufallen. Zuweilen gelingen Hawk schöne Details: wenn "Do You Wanna Go Our Way???" kaum merklich inein Hendrix-Sample aus "Little Wing" ausläuft. Oder die paranoide Enge indizierende, zitierte Dissonanz in "LSD". Hier scheitert auch Chuck D einmal nicht daran, die seelischen Gefängnisse, die er schildert, darzustellen; in anderen Stücken wird er erkennbar selbst ihr Opfer, etwa wenn er die in der Tat kritikwürdige Dominanz der "Big Six"-Schallplattenfirmen nur unter dem Aspekt angreifen kann, dass sie planmäßig schwarze Künstler benachteiligen und der ganzen Tirade den ungut ambivalenten Titel "Swinders Lust" gibt. Dabei haben Public Enemy ja noch einen anderen wesentlichen Beitrag zum Selbstverständnis des Rap geleistet: Sie haben ihm eine Medientheorie gegeben. Und daran knüpft die aussichtsreichere Seite ihre heutigen Aktivitäten an. Mit dem viel zitierten Bonmot, Rap seidas CNN der Schwarzen, hatte Chuck D zu einer medientheoretischen Reflexion über die Rolle einer Kunst eingeladen, die in erster Linie die Kanäle des Ästhetischen, die für Kunst, Musik und Unterhaltung reservierten Medien und Medienverbände nur nutzt, um Nachrichten zu übermitteln. Tatsächlich konnte man in den vergangenen zehn Jahren in der ganzen Welt beobachten, wie die Hip-Hop-Kultur zu einem universalen Dress-, Musik- und Bewegungs-Code bestimmter urbaner junger Männer wurde. Und zwar hauptsächlich in irgendeiner Weise marginalisierter junger Männer ; von den nordafrikanischstämmigen Rappern in Marseille bis zum türkischen Breakdance-Ensemble im Berliner Wedding. Wie sehr sich PE auch immer wieder in der Metaphorik von Nachrichtensendern und Info-Agenturen gefallen, es sind natürlich nicht Informationen in deren Sinne, sondern nichtsprachliche, visuelle, körperbezogene Codes, Codes eines männlichen Körpergefühls, gegen dessen exklusiven und aggressiven Maskulinismus man auch alles Mögliche vorbringen kann, das aber in einem entscheidenden Punkt anders funktioniert als die Politik von PE: nämlich nicht ethnozentristisch und nationalistisch, sondern universell. Marginalisierte Männer in allen Teilen der Welt fühlen sich angesprochen, so dass eine Internationale von ; meist durch Rassismus benachteiligten ; Jungs entsteht, die nach wie vor attraktiv auch auf Markt und Mainstream und andere kulturelle Segmente wirkt. Der neueste und interessanteste Coup von PE an der medienpolitischen Front ist sicherlich der wichtigste Teil an dieser neuen Platte. Bevor es sie nämlich als Platte gab, konnte man sie für einen deutlich geringeren Preis als Soundfile herunterladen. Damit haben Public Enemy als erste auch kommerziell erfolgreiche Band einen Schritt getan, der tatsächlich die Macht der ;Big Six; angreift. Nun geht es nicht mehr darum, einen ästhetischen Kanal für die Verbreitung lebenspraktischer Identitätshilfen zu benennen und zu nutzen, sondern darum, sich ausschließlich ; bestimmte (noch) bestehende, rein technische Vorteile des neusten Medienverbundes, des Internets, zu nutzen und Preisgestaltung, inhaltlichen Einfluss und Oligopolismus der Medienindustrie direkt zu konfrontieren. Dass die Zielgruppe dabei wieder nicht die schwarze Unterklasse der US-Innenstädte sein wird ; die ist im Schnitt schlecht vernetzt, wie PE thematisieren ; und auch nicht das seltsame internationale Patchwork der Hip-Hop-Fans, ist vielleicht zweitrangig. Es werden auf jedem Fall nicht nur Nerds sein, sondern viele Aktivisten verschiedener kultureller Kojen und Nischen. Public Enemy haben, wie schon so oft, ihre internationalistischen Intuitionen praktisch über ihre nationalistischen Intentionen triumphieren lassen. In diesem Sinne sind ihnen auf der neuen Platte eben auch einige antikapitalistische Bonmots gelungen, die die Bibelstellen, die Apokalyptik und die paranoid-schwülstigen Beschwörungen schwarzer Opfer-Identität übertönen, etwa: "There´s no difference between black and white, except the green in between." The green, das ist der grüne Dollar, die Farbe des Geldes. DIEDRICH DIEDERICHSEN http://www.sueddeutsche.de/aktuell/feuill_e.htm /* http://www.publicenemy.com */ ________________________________________________________________________________ no copyright 1999 rolux.org - no commercial use without permission. is a moderated mailing list for the advancement of minor criticism. more information: mail to: majordomo@rolux.org, subject line: , message body: info. further questions: mail to: rolux-owner@rolux.org. archive: http://www.rolux.org