________________________________________________________________________________ Zittauer Zumutungen Nach einem Nazi-Angriff auf Schwule, Lesben und Linke werden in Ostsachsen die Opfer zu Tätern gemacht Möchten Sie eine Wurst gewinnen? Dann suchen Sie sich ihre Lieblingsantwort auf die folgende Frage aus: Wie verharmlost man am besten einen Nazi-Übergriff auf Schwule und Lesben? Wem die Schlagzeile "Massenschlägereien zwischen 300 Linken und Rechten" gut gefällt, schreibt ein A auf eine frankierte Postkarte an unsere Adresse. Ein B wird notiert für den Satz des Zittauer Bürgermeisters Jürgen Kloß: "Es gibt immer einen, der provoziert, und einen, der sich provozieren läßt." Das C schließlich steht für den Erklärungsansatz von Polizeisprecher Uwe Horbaschk, es sei ein Fehler gewesen, gemeinsame Toiletten für die Öffentlichkeit und die Teilnehmer einer Schwulen- und Lesbenparty aufzustellen. Entscheiden Sie sich - die Gewinnerin oder der Gewinner erhält beim nächsten Zittauer Stadtfest eine Bratwurst auf unsere Kosten. Wenn Sie dann länger bleiben, können Sie vielleicht ähnliche Szenen erleben wie am vorletzten Wochenende, als die regionale Neonaziszene drei Tage lang linke und alternative Projekte angriff. Im Rahmen der offiziellen Feierlichkeiten hatte der schwul-lesbische Verein Rosa Power e.V. den Rathauskeller für eine Schwulen- und Lesbenparty angemietet. Doch bereits kurz nach der Eröffnung begannen rechtsextreme Jugendliche und organisierte Neonazis die rund 100 BesucherInnen zu provozieren. Nachdem einige rechte Schläger abgewiesen wurden, versammelten sich nur wenig später rund 30 bis 40 Neonazis, darunter Robert Pech vom Nationalen Jugendblock Zittau, im Hof des Rathauses und stürmten mit homophoben Parolen die Party. Die fünf Polizeibeamten vor Ort beschränkten sich aufs Zuschauen. Im Rathauskeller angekommen, begannen die Angreifer, auf Gäste einzuschlagen, "Heil Hitler" zu grölen und die Einnahmen zu stehlen. Oberbürgermeister Jürgen Kloß (CDU) gab den rechten Schlägern nach Augenzeugenberichten die Theke frei und erklärte einer Partybesucherin, "die Homosexuellen konnten ja froh sein, überhaupt den Keller nutzen zu dürfen". Später rechtfertigte Kloß seine Kumpanei mit den rechten Schlägern, unter denen sich auch sein Sohn befand, als deeskalierende Maßnahme. Die Bilanz des Freitagabends: Mehrere verletzte Partygäste, hoher Sachschaden und eine siegestrunkene rechte Szene. Die holte am nächsten Tag Verstärkung aus Dresden, Leipzig, Görlitz und Hoyerswerda, um am Abend eine Technoparty im linken Treffpunkt "Emil" anzugreifen. Dabei koordinierten sich die rund 150 Angreifer mit Handys und durch das Abhören des Polizeifunks. Mehrere Fensterscheiben und vor dem Club abgestellte Autos wurden beschädigt. Als sich die rund 120 Partygäste zur Wehr setzten, griffen rund 90 Beamte der Polizei und des BGS ein und nahmen 52 rechte Angreifer wegen Landfriedensbruchs vorläufig fest. In der folgenden Nacht griffen erneut rund 30 rechtsextreme Jugendlichen den Club an. Auch hier schritt die Polizei erst ein, als sich die rund 40 Besucher des "Emil" wehren wollten. In Zittau hat derweil das Rätselraten über die Ursachen der Angriffe begonnen. Die Veranstalter der schwul-lesbischen Party haben angekündigt, Dienstaufsichtsbeschwerden gegen die Polizei und den Bürgermeister zu stellen, da wegen eines ähnlichen Angriffs im vergangenen Jahr eine Sicherheitspartnerschaft vereinbart worden war. Außerdem soll die für den Abend angemietete Security-Firma, deren Angestellte ebenfalls nur zu den Zuschauern gehörten, verklagt werden. Bürgermeister Kloß und Polizeisprecher Horbaschk versuchen hingegen, die Schuld auf Opfer und Täter zu verteilen. Wo Horbaschk nur spontane Streitigkeiten über die gemeinsamen Toiletten für die Öffentlichkeit und die Teilnehmer der Schwulen- und Lesbenparty ausmachen kann, greift CDU-Mann Kloß auf die Dialektik zurück: "Ich will die Rechten nicht in Schutz nehmen, aber es gibt immer einen, der provoziert, und einen, der sich provozieren läßt." Hinzu kommt die Sorge um das Ansehen der Stadt: "Da haben 18 000 Leute das Stadtfest besucht, Tausende ein Konzert des Nocalm-Quintetts aus Kärnten gehört, da gab es einen fantastischen Königszug, und dann spricht jeder nur über diese Auseinandersetzung", ärgert sich Kloß. Erst nach einem kritischen Kommentar in der Sächsischen Zeitung sieht sich die Stadtverwaltung zu einer Kursänderung veranlaßt. Mittlerweile heißt es in einer Pressemitteilung: "Die Stadt Zittau ist zutiefst betroffen, daß ein eigentlich nichtiger Grund zu einer derartigen Eskalation führte." Die Verharmlosungsstrategien des Oberbürgermeisters gegenüber Rechtsextremen sind seit Jahren bekannt. So hatte Kloß 1994 die Ermordung des linken Jugendlichen Michael Gäbler durch Neonazis mit dem geistreichen Kommentar begleitet, daß das Problem der Gewalt damit beginne, wenn Fahrradfahrer den Fußweg benutzen. Der Nationale Jugendblock Zittau e.V., dem selbst der sächsische Verfassungsschutz nationalsozialistische Bestrebungen attestiert, verfügt seit mehreren Jahren in der Stadt über ein eigenes Haus, den "Nationalen Jugendklub". In diesem Jahr war der Club Ausgangspunkt für den vom NPD-Kreisverband Löbau-Zittau angemeldeten Holger-Müller-Gedenkmarsch mit rund 200 Neonazis. 1992 war der Neonazi Müller bei einem Angriff auf einen Flüchtling in Notwehr mit seinem eigenen Messer getötet worden. Seitdem wird er als Märtyrer gehandelt, die alljährlichen Aufmärsche waren immer wieder Ausgangspunkte für Übergriffe. Auch im Alltag halten sich rechtsextreme Jugendcliquen in Zittau nicht zurück. Angriffe auf Punk-WGs und Pöbeleien gegen Linke und MigrantInnen gehören zur Tagesordnung. Der Stadtjugendring reagierte darauf im letzten Jahr mit sogenannten "jugendpolitischen Stammtischen", bei denen auch schon einmal mit der NPD über deren Motto "Arbeit zuerst für Deutsche" diskutiert wurde. Diesen "Alltag zu stören" und "linke Gruppen vor Ort, die gegen rassistische Propaganda vorgehen", zu unterstützen, haben nun die OrganisatorInnen des in wenigen Wochen stattfindenden Anti-Grenz-Camps angekündigt. Denn das findet dieses Jahr in Lückendorf bei Zittau statt. Korinna Klasen Kontakt: Grenzcamp, c/o Forschungsgesellschaft Flucht und Migration, Gneisenaustr. 2a, 10961 Berlin; Tel: 030 - 693 56 70; Fax: 030 - 693 83 18. http://www.jungle-world.com/_99/30/10b.htm ________________________________________________________________________________ no copyright 1999 rolux.org - no commercial use without permission. is a moderated mailing list for the advancement of minor criticism. more information: mail to: majordomo@rolux.org, subject line: , message body: info. further questions: mail to: rolux-owner@rolux.org. archive: http://www.rolux.org