________________________________________________________________________________ [Diese Übersetzung kann Fehler enthalten | es ] Gilles Deleuze zu den Menschenrechten [Deutsch] [...] Diese ganze Achtung für die Menschenrechte, eigentlich hat man fast Lust, hassenswerte Vorschläge zu machen. Die ist dermaßen Teil dieses weichen Denkens der armseligen Periode, von der wir gesprochen haben. Die ist pure Abstraktion. Die Menschenrechte, was ist das denn? Das ist etwas rein Abstraktes. Das ist leer. Genau das, was man über das Begehren [désir] gesagt hat, bzw. was ich über das Begehren versucht habe zu sagen. Das Begehren, das besteht nicht darin, ein Objekt zu errichten [ériger], zu sagen: ich begehre das hier. Man begehrt nicht, zum Beispiel, die Freiheit et cetera. Das ist null. Man findet sich in Situationen. Nehmen wir zum Beispiel das aktuelle Beispiel in Armenien. Das ist gerade erst gewesen. Was ist die Situation? Wenn ich richtig verstanden haben, man kann mich korrigierne, aber wenn man mich korrigiert, ändert das nicht viel. Es gibt diese Enklave in einer anderen sowjetischen Republik, es gibt diese armenische Enklave. Gut, das, das ist eine Situation. Die erste Sache. Es gibt da dieses Massaker, da, wo die Türken, es scheinen irgendwie Türken [oder: "türkischer Abstammung" oder was Deleuze hier auch immer meint] gewesen zu sein, ich weiß nicht, aber zumindest soweit man es aktuell weiß, ich nehme an es sei so, wo sie also die Armenier einmal mehr massakriert haben, in ihrer Enklave. Die Armenier haben sich in ihre Republik geflüchtet [se réfugient], sage ich, Du korrigierst alle meine Fehler, und da, da gibt es ein Erdbeben. Man glaubt, bei Marquis de Sade zu sein. Arme Menschen sind durch die schlimmsten von Menschen erlebten Heimsuchungen [épreuves] gegangen, und kaum sind sie da ankommen, am sicheren Ort, ist es die Natur, die ihn zerstört. Ich will sagen, man sagt: Die Menschenrechte. Aber letztlich ist das eine Rede für die Intellektuellen, und für hassenswerte Intellektuelle, und für Intellektuelle, die keine Ideen haben. Zuerst, bemerke ich, daß diese Erklärungen der Menschenrechte niemals gemacht sind in Funktion für die Leute, die das interessiert, die Gesellschaften von Armeniern, die Gemeinschaften [communautés] von Armeniern et cetera. Ihr Problem, das sind nicht die Menschenrechte. Was ist das? Voilà: eine Anordnung [agencemen *1]. Wie ich gesagt habe, das Begehren, das ist immer über agencements. Voilà un agencement. Was ist möglich, um diese Enklave abzuschaffen oder um etwas zu machen, daß diese Enklave leben kann [soit vivable]? Was ist das, diese Enklave da drinnen? Das, das ist eine Frage des Territoriums. Was werden sie annehmen, was Gorbatschow aus dieser Situation ziehen wird, was wird er machen, damit es diese, von allen Seiten bedrohenden Türken ausgelieferte armenische Enklave nicht gibt? Das ist keine Frage der Menschenrechte. Das ist keine Frage von Gerechtigkeit [justice]. Das ist eine Frage von Rechtsprechung [jurisprudence]. Alle Schandtaten, die der Menschen erfährt, sind Fälle. Das sind keine Dementis zu abstraktem Recht. Das sind abscheuliche Fälle. Man wird sagen, daß diese Fälle sich ähneln, aber das sind denn Situationen von Rechtsprechung. Das armenische Problem da, das ist typisch für das, was man ein Problem von Jurisprudenz nennen wird. Es ist außergewöhnlich komplex. Was soll man machen, um die Armenier zu retten, und daß die Armenier sich selber aus dieser Situation retten? Und weiter, dieses Erdbeben da. Ein Erdbeben hat auch immer Ursachen, Konstruktionen die nicht gut waren, die nicht gemacht waren, wie sie hätten sein müssen. Alles das sind Fälle von Rechtsprechung. Handeln für die Freiheit, revolutionär werden, das heißt in der Jurisprudenz zu operieren. Wenn man sich an die Justiz [justice: Justiz, Gerechtigkeit] wendet, die Gerechtigkeit existiert nicht, die Menschenrechte existieren nicht. Was zählt, ist die Rechtsprechung. Es die Erfindung von Recht. Nun, die, die sich damit zufriedengeben, an die Menschenrechte zu erinnern und sie wieder zu zitieren, die sind debil. Es handelt sich nicht darum, die Menschenrechte anzuwenden. Es handelt sich darum, Rechtsprechungen da zu erfinden, wo, für jeden Fall, das nicht mehr möglich sein wird. Das ist etwas ganz anderes. Ich nehme ein Beispiel, das ich sehr gerne mag, weil es das einzige Mittel ist, um zu verstehen [faire comprendre] was das ist, die Rechtsprechung. Die Leute verstehen da nicht, zumindst nicht alle. Die Leute verstehen nicht sehr gut. Ich, ich denke an die Zeit, als es verboten wurde, in Taxis zu rauchen. Vorher hat man in Taxis geraucht. Die ersten Taxifahrer, die verboten haben in den Taxis zu rauchen, haben Auseinandersetzungen ausgelöst, weil es Raucher gab. Und es gab einen, der war Anwalt. Ich hatte immer eine Leidenschaft für die Rechtsprechung, für das Recht. Wenn ich keine Philosophie gemacht hätte, hätte ich Recht [j'aurais fait du droit] gemacht, aber eben kein Menschenrecht, ich hätte Rechtsprechung gemacht. Weil das das Leben ist. Es gibt keine Menschenrechte, es gibt Leben, es gibt Rechte des Lebens. Nur das Leben ist Fall für Fall. Also, die Taxis. Es gibt einen Typ, der nicht will, daß man ihm das Rauchen in einem Taxi verbietet. Er macht einen Prozeß im Taxi. Ich erinnere mich sehr gut, weil ich mich damit beschäftigt habe, die Urteilsbegründungen zu bekommen. Das Taxi wurde verurteilt. Heute ist das keine Frage mehr. Es wird den gleichen Prozeß geben, das Taxi wird nicht verurteilt werden, es wird der Benutzer sein, der verurteilt wird. Aber am Anfang wurde das Taxi verurteilt. Unter welchen Begründungen? Das, sobald er ein Taxi nimmt, ist er Mieter. Also, der Benutzer eines Taxis wurde als Mieter aufgefaßt. Ein Mieter hat das Recht, bei sich zu rauchen. Er hat das Recht zur Benutzung und darauf zu bestehen [droit d'appui]. Es ist, als ob er etwas mietet. Es ist, wie wenn mein Vermieter mir sagen würde: nein, Du wird nicht bei Dir rauchen. Doch, wenn ich Mieter bin, kann ich bei mir rauchen. Also wurde das Taxi als eine rollende Wohnung aufgefaßt, deren Benutzer der Mieter war. Zehn Jahre später, das ist komplett verallgemeinerbar, gibt es praktisch keine Taxis mehr, in denen man im Namen von wer-weiß-ich rauchen kann. Das Taxi wird nicht mehr als Miete einer Wohnung verstanden, es wird verstanden als ein öffentlicher Service. In einem öffentlichen Service hat man das Recht, das Rauchen zu verbieten. Das ist alles Rechtsprechung. Es ist keine Frage von Recht auf dies oder auf das. Es ist eine Frage der Situation, und der Situation, die sich entwickelt [qui évolue]. Und für die Freiheit zu kämpfen, das ist in der Tat, Rechtsprechung zu machen [faire de la jurisprudence]. Nun da scheint mir das Beispiel der Armenier typisch. Menschenrechte, was will das sagen? Das will sagen: ah, die Türken, sie haben nicht das Recht, die Armenier zu massakrieren. Ok, die Türken haben nicht das Recht, die Armenier zu massakrieren. Und dann? Das ist wirklich debil. Oder schlimmer, ich glaube das ist dermaßen hypokrit, da, dieses ganze Denken der Menschenrechte. Das ist null, philosophisch ist das null. Und die Schaffung von Recht, das ist nicht die Erklärung der Menschenrechte. Die Arbeit [création], im Recht, ist die Rechtsprechung. Es gibt nur das was exisiert. Also: kämpfen für die Rechtsprechung. Es ist das, links zu sein. Das ist, Recht zu machen. [...] L'Abécédaire de Gilles Deleuze, avec Claire Parnet, Vidéo Éd. Montparnasse, 1996 *1 http://userpage.fu-berlin.de/~eistein/index.shtml?obj/2-2-0282.shtml html-version: http://userpage.fu-berlin.de/~eistein/index.shtml?obj/5-73-1996-D.shtml ________________________________________________________________________________ no copyright 1999 rolux.org - no commercial use without permission. is a moderated mailing list for the advancement of minor criticism. more information: mail to: majordomo@rolux.org, subject line: , message body: info. further questions: mail to: rolux-owner@rolux.org. archive: http://www.rolux.org