________________________________________________________________________________ Der Volksgruppenzoo Karl Heinz Roth Geschichtsrevisionismus im Krieg gegen Jugoslawien Seit Beginn der 90er Jahre hat der legitimationswissenschaftlich verbreiterte Hauptflügel der neudeutschen Geschichtswissenschaft in rasendem Tempo und oftmals im gleichzeitigen Nebeneinander typische Entwicklungsstadien zur Restauration einer an den großdeutschen Mythen orientierten Machtstaatsgeschichte durchlaufen.1 Zunächst wurde die Grundannahme ausgehebelt, daß Deutschland seit der Reichsgründung unter Bismarck einen autoritär- imperialistischen Sonderweg eingeschlagen habe. Darauf folgte die Abrechnung mit den Forschungsergebnissen der um Fritz Fischer gruppierten Historikerschule, die zu Beginn der 60er Jahre nachgewiesen hatte, daß die Hauptverantwortung für die Auslösung des Ersten Weltkriegs bei den deutschen Eliten gelegen hatte. In einem dritten Schritt konnte sodann die Weimarer Republik als Produkt eines ungerechtfertigten Diktatfriedens, der Versailler Verträge, delegitimiert werden. Damit war eine vierte Entsorgungsoperation eng verbunden: Der aberwitzige Versuch, die Präsidialkabinette der frühen dreißiger Jahre und die anschließende Machtübergabe an die Nazis mit der Notwendigkeit der Abwehr einer drohenden »bolschewistischen Revolution« zu rechtfertigen. Im Anschluß daran widmeten sich die Geschichtsrevisionisten einem besonderen Steckenpferd - der offenen Rehabilitation der NS-Diktatur. Der deutsche Faschismus wurde zum Paradestück des Geschichtsrevisionismus. Er wurde in Anlehnung an modernisierungstheoretische Konzepte in eine Art sozialer Revolution umgedeutet. Die NS-Bewegung habe die deutsche Gesellschaft endlich modernisiert, ihr eine ordentliche Aufstiegsmobilität verpaßt und sie an den Segnungen des technischen Fortschritts teilhaben lassen, hieß es in einer stattlichen Zahl von Einzelveröffentlichungen und Sammelpublikationen, die von den großen Medienkonzernen, allen voran der Verlagsgruppe der Axel Springer AG, massenhaft und medienwirksam vertrieben wurden. Wenn dem so war, dann konnten die auf die Niederlage der NS-Diktatur folgenden Jahrzehnte nur noch in den schwärzesten Farben gemalt werden. Sie wurden als ein mehr als vierzigjähriges Interregnum mit provinziell-föderalistischem Demokratieverständnis, zahnloser Außenpolitik, geopolitisch inadäquater Westbindung und Büßermentalität wg. NS-Verbrechen dargestellt. Es war höchste Zeit, so lautete die Botschaft, wieder »selbstbewußt« zu werden und zur »Normalität« imperialistischer Großmachtverhältnisse zurückzukehren. Entsprechend feierte man den Anschluß der DDR als Einlösung eines jahrzehntelang frustriert gebliebenen Kontinuitätsversprechens: Der »Rückruf in die Geschichte« wurde als Rückkehr zu imperialistischer Machtstaatlichkeit geschichtsmächtig. Das »geeinte« Deutschland avancierte in den Visionen der Geschichtsrevisionisten zur Vormacht »Mitteleuropas«, zur führenden Supermacht des alten Kontinents, deren Mission darin bestehe, die von zentrifugalen Tendenzen bedrohte Europäische Union eisern zusammenzuhalten. Das war aber nur die eine Seite des Selbstverständnisses. Die andere basiert auf einer wiederaufgelegten Doktrin des Eingriffsrechts der mitteleuropäischen Vormacht in die Nachbarschaft der Europäischen Union. Nachdem die Linke mit dem normativen Hinweis auf den repräsentativ-pluralistischen Verfassungsstaat zum Schweigen gebracht war, konnte unter Einbindung ihrer Renegaten darangegangen werden, eben diese normativen Grundlagen der BRD-Existenz zu zerstören und das im Grundgesetz verankerte Verbot des Angriffskriegs zu beseitigen. Die Art und Weise, in der die Geschichtsrevisionisten zu diesem Zweck die nationalen Minderheitenrechte in ein von der deutschen Vormacht definiertes »Volksgruppenrecht« umdeuteten, ist bislang kaum kritisch wahrgenommen worden.2 Auf diesem sensiblen Terrain des neudeutsch-imperialistischen Großmachtchauvinismus fehlte denn auch die publizistisch-propagandistische Begleitmusik weitgehend. Voraussetzung für die Etablierung eines neudeutschen »Volksgruppenrechts« war das sogenannte Schengener Abkommen, durch dessen Ratifizierung ein neuartiges Grenzregime zwischen der Binnenregion der Europäischen Union und ihrer äußeren Umgebung konstituiert wurde. Das Schengener Abkommen ist im wesentlichen durch deutsche Vorgaben geprägt. Es blockiert und sortiert nicht nur Flüchtlingsströme, sondern definiert auch einen unter direkter BRD-EU-Kontrolle stehenden »Cordon sanitaire« des DM-Euro-Blocks. Um das Grenzregime zu stabilisieren, hat die BRD mit zunehmender Intensität in die Innenpolitik der der Europäischen Union assoziierten Regierungen der Grenzländer eingegriffen.3 Von hier aus folgte in den letzten Jahren der nächste Schritt. Für das an die EU-Assoziierten anschließende äußere Vorfeld der Schengener Grenze sind neue Interventionsszenarien in Kraft gesetzt worden, die im Fall von Nationalitätenkonflikten oder anderer Destabilisierungsphänomene gestaffelte Integrations-, Entwicklungs- und Kriseneingriffe auf der Basis des restaurierten »Volksgruppenrechts« vorsehen. Das »Volksgruppenrecht« ist eine aus der geheimen Neben-Außenpolitik der Weimarer Republik und der frühen NS-Diktatur übernommene und wieder aufgelegte Doktrin, die je nach Maßgabe der deutsch-europäischen Vorfeldinteressen das Recht auf nationale Selbstbestimmung zum Sezessionsrecht so umbiegt, daß die den deutsch-europäischen Herrschaftsinteressen jeweils genehmen ethnisch-nationalistischen Minderheitengruppen mißliebige multinationale Territorialstaaten des Schengener Vorfelds destabilisieren und zerstören können. Den Verlautbarungen regierungsnaher Vordenker zufolge leben in Europa einschließlich seiner Randzonen etwa 100 Millionen Menschen, die innerhalb der jeweiligen Nationalstaaten Minderheiten darstellen und als Resonanzboden für eine nach den Interessen der deutschen Vormacht ausgerichteten »territorial-räumlichen Neuordnung« angesehen werden.4 Die ersten Experimente auf diesem Gebiet sind seit Anfang der 80er Jahre bei der Zerstörung der Jugoslawischen Föderation durchexerziert worden. Vor allem die Strukturkrise Jugoslawiens verleitete die Planungseliten des Auswärtigen Amts, des Bundesinnenministeriums und des Bundeskanzleramts zur Wiederbelebung der konzeptionellen Grundlagen einer ethnisch parzellierenden deutschen Neben- Außenpolitik. Während das Münchener Südost-Institut, das Institut für Ostrecht der Universität Köln und das Internationale Institut für Nationalitätenrecht und Regionalismus den ethnisch-nationalistischen Erosionsprozeß der Jugoslawischen Föderation fortlaufend analysierten und dabei das Interventionsmodell des »Volksgruppenrechts« wiederentdeckten, ermutigte die Hanns-Seidel-Stiftung seit Mitte der 80er Jahre den slowenischen und kroatischen Sezessionismus: Jeder Schritt weg von der Föderation wurde mit der Unterstützung ihrer Bemühungen um Erleichterungen der IWF-Auflagen gegenüber den nordjugoslawischen Teilrepubliken honoriert.5 Dieses Konzept ging Ende der 80er Jahre auf, als sich Serbien als größte Teilrepublik der Jugoslawischen Föderation seinerseits zu einer nationalistischen Flucht nach vorn entschloß. Es war ein mit politischer Praxis eng verzahnter stiller Geschichtsrevisionismus deutscher Denkfabriken, der den entscheidenden äußeren Anstoß zur Zerstörung Jugoslawiens gegeben hat. Während sich die Agonie Jugoslawiens nach einer Abfolge immer grausamerer Teil- Bürgerkriege langsam in Gestalt der Kosovo-Krise auf ihren Höhepunkt zubewegte, wurde seit der zweiten Hälfte der 90er Jahre dieses Experiment auf das gesamte ost- und südosteuropäische Vorfeld der Schengener Grenze ausgedehnt. 1996 wurde auf Initiative der Schleswig-Holsteinischen Landesregierung das Europäische Zentrum für Minderheitenfragen (EZM) gegründet, das seither zusammen mit der Bertelsmann-Wissenschaftsstiftung und dem Münchener Centrum für angewandte Politikforschung (CAP) für das Auswärtige Amt und das Bundesinnenministerium als Vordenker einer neuen Minderheitenpolitik tätig ist und inzwischen auch bei der neuen rosa-grünen Bundesregierung höchstes Ansehen genießt.6 In Ost- und Südosteuropa seien die Bevölkerungen ethnisch nicht homogen, heißt es. »Friedensstiftende« Eingriffe in die dort immer wieder virulent werdenden ethnischen Spannungen und Nationalitätenkonflikte setzten genaue Kenntnisse über die jeweiligen ethnischen Zusammenhänge und Konfliktursachen voraus. Um entsprechende Interventionen seitens der »Internationalen Gemeinschaft« vorzubereiten, wurden seit 1996/97 Krisenszenarien erarbeitet, die inzwischen sogar die Nationalitätenkonflikte in der Kaukasus-Region einbeziehen. 1997 haben darüber hinaus im Fall Kosovo, das zum Krisenbrennpunkt erster Ordnung deklariert wurde, erste »Vermittlungsaktionen« zugunsten der groß-albanischen Sezessionsbewegung stattgefunden. Während der BND seit 1996 die UCK militärisch ausrüstete,7 stellte das Europäische Zentrum für Minderheitenfragen in einem Positionspapier fest, daß der Sezessionswille der UCK zu unterstützen sei und der Anschluß des Kosovo an Albanien wegen der überwiegend albanischen Besiedlung dieser an Albanien angrenzenden Region ohne Schwierigkeiten bewerkstelligt werden könne.8 Durch die Aktivitäten des Europäischen Zentrums für Minderheitenfragen und des Centrums für angewandte Politikforschung haben SPD und Grüne somit rechtzeitig Anschluß an das ethnisch-sezessionistische Paradigma der Denkfabriken und Stiftungen im CSU-BND-Umfeld gefunden. Das Ziel der rosa-grünen Regierung ist jetzt offensichtlich, ihre Vorläufer bei der Neuinszenierung einer ethnisch parzellierenden Außenpolitik zu übertrumpfen. Jugoslawien soll endgültig in »ethnisch homogene« Komponenten zerstückelt werden, um dann den Wiederaufbau Südosteuropas unter dem Vorzeichen einer zudiktierten »Neuordnung« des Balkans vorantreiben zu können, wobei Kroatien an der Seite Sloweniens die Rolle eines deutsch-europäischen Satellitenstaats erster Ordnung zugedacht ist.9 Das Modell der »ethnischen Homogenisierung« wird inzwischen von den Geschichtsrevisionisten und wiederauferstandenen »Volkstumshistorikern« offensichtlich als Generalkonzept zur »Befriedung« von Nationalitätenkonflikten angesehen und von den solcherart »beratenen« Politikern der rosa-grünen Regierung als besonders überzeugende Variante der Einmischung favorisiert. Dabei stört es sie nicht einmal, daß diese Konzeption der ethnischen Zerstückelung zu territorialen Lösungsvorschlägen und Grenzziehungsmodellen führt, die exakt mit den Grenzziehungen der faschistischen Achse von 1940/1941 übereinstimmen. Die - insbesondere von den Deutschen betriebene - äußere Intervention spielte und spielt bei der Zerstörung des multinationalen, multikulturellen und selbstverwaltet-sozialistischen Jugoslawien eine bedeutende Rolle. Dennoch waren und sind die entscheidenden Krisenpunkte hausgemacht, wenn sie auch ihrerseits wiederum durch brutale Eingriffe des Internationalen Währungsfonds ausgelöst wurden. Seit Anfang der 80er Jahre geriet die Jugoslawische Föderation zusammen mit ihren Teilrepubliken in eine schwere Zahlungsbilanz- und Überschuldungskrise. Der Internationale Währungsfonds (IWF) intervenierte daraufhin prompt wie überall auf der Welt bei vergleichbaren Konstellationen. Es kam zu heftigen Massenkämpfen der jugoslawischen Bauern, Arbeiterinnen und Arbeiter gegen die steigende Massenerwerbslosigkeit im Zuge des beschleunigten Strukturwandels, die eine außergewöhnliche Intensität und Qualität erreichten.10 Die Funktionseliten der Teilrepubliken fühlten sich zunehmend bedroht, zumal die Streikenden nicht nur die Betriebe, sondern auch die Gewerkschafts- und Parteihäuser besetzten. Sie waren weder in der Lage, die von der Föderationsregierung mitgetragenen Deregulierungsauflagen des IWF uneingeschränkt durchzuführen, noch wußten sie, was sie dem Massenwiderstand entgegensetzen sollten. In dieser dramatischen Situation öffneten die Führungsschichten der Teilrepubliken nacheinander die ethnisch-sezessionistischen Ventile. Ihr Ziel war zunächst, die Folgekosten der IWF-Sanierung auf die anderen Teilrepubliken abzuwälzen und aus der Bredouille zwischen Massenkämpfen und IWF-Auflagen zu entkommen - auf Kosten der noch ärmeren Teilrepubliken. Vor allem die reichen Teilrepubliken Nordjugoslawiens (Slowenien und Kroatien) begannen ihre Transferzahlungen an die ärmeren Teilrepubliken einzustellen. Diese Politik des »beggar my neighbour« wurde zunehmend ethnisch-rassistisch mit der »angeborenen« Unterlegenheit der in der Einkommenshierarchie und Produktivität niedriger rangierenden Teilrepubliken und Autonomen Provinzen begründet. Jetzt schlug die Stunde der Geschichtsrevisionisten auch in den jugoslawischen Teilrepubliken. Ihnen wurde die Aufgabe zugewiesen, den ethnisch- nationalistischen Kurswechsel in massenwirksame Legitimationsmuster umzusetzen und das durch die Sozialkämpfe ins Wanken geratene Loyalitätsverhältnis zwischen den Eliten und den Bauern und Arbeitern auf »völkischer« Basis neu zu begründen. Besonders früh taten sie sich in Kroatien hevor. Ihr wichtigster Exponent war der spätere Präsident des sezessionistischen Kroatiens, Franjo Tudjman. Tudjman war Major der jugoslawischen Partisanenbewegung. In den 50er und 60er Jahren hatte er Karriere als Historiker gemacht und das Institut für die Geschichte der Arbeiterbewegung in Zagreb geleitet. In dieser Zeit profilierte er sich mit Studien über den NS-Völkermord in Südosteuropa. Anfang der 1980er Jahre bekehrte er sich zum ethnischen Sezessionisten.11 Als ein von anderen kroatischen Nationalisten gestarteter Versuch, die nicht-slawischen Illyrer des Altertums zu den Urahnen der »Kroatischen Nation« zu stilisieren, mißriet, scheute sich Tudjman nicht, auf die klerikalfaschistischen und antisemitischen Traditionsbestände des von den Nazis gegründeten und ausgehaltenen Kroatischen Ustascha-Staats zurückzugreifen, um die Herauslösung Kroatiens aus der Jugoslawischen Föderation zu rechtfertigen.12 Auch die pro-albanische Sezessionsbewegung des Kosovo versuchte zunächst, ihre Option zum Anschluß an Albanien mit einer gemeinsamen illyrischen - das heißt nichtslawischen - Sprache und Geschichte sowie der angeblich überwiegend albanischen Besiedlung des Kosovo seit dem Mittelalter zu rechtfertigen.13 Dieser kulturgeschichtlich begründete und allen historischen Tatsachen widersprechende Separatismus verlangte aber seit dem antijugoslawischen und antiserbischen Aufstand von 1981 nach einer härteren Gangart. Auch hier wurden die Politiker-Clans sofort großzügig mit den entsprechenden Geschichtsmythen bedient. Die bis dahin geleugnete Tatsache, daß die 1943 gegründete »Zweite Liga von Prizren« genauso wie die 1944 aufgestellte Albanische SS-Freiwilligen- Division (SS-Division Skanderbeg) die »ethnische Säuberung« des Kosovo von den Serben betrieben hatte, wurde jetzt als vorbildlich gerühmt. Auf dieser Grundlage schlossen sich dann 1995/96 pro-albanische Ex-Stalinisten und Neofaschisten zusammen und proklamierten die UCK als bewaffnete Unabhängigkeitsbewegung, deren Aufgabe es sein sollte, das Kosovo zum Piemont einer »groß-albanischen Erneuerung« zu machen. Aber auch die Führungsschichten Serbiens, der größten Teilrepublik, haben den Geschichtsrevisionismus ausgiebig als historische Legitimationswissenschaft für eine verhängnisvolle Wiedergeburt des großserbischen Nationalismus bemüht. 1986 verfaßte die Serbische Akademie der Wissenschaften eine historische Denkschrift, in der sie den großserbischen Führungsanspruch erneuerte, so wie er schon in den zwanziger und dreißiger Jahren das multinationale Jugoslawien als Produkt der Pariser Vorortverträge ruiniert hatte. Dabei wurde ausgerechnet dem Kosovo eine besondere Rolle zugewiesen. Wider alle geschichtliche Evidenz wurde behauptet, das Kosovo sei das »Jerusalem« Serbiens, weil auf dem im Kosovo gelegenen Amselfeld das erste Jugoslawische Kaiserreich von den Türken in der Schlacht von 1389 vernichtet worden sei und das Kosovo seither immer wieder als Ausgangspunkt zur Erneuerung serbischer Staatlichkeit fungiert habe. Nichts davon hält der historischen Überprüfung stand: Das erste Serbische Reich hatte sich schon Jahrzehnte zuvor in Fürstentümer aufgelöst, und auf dem Amselfeld hatten Serben (genauso wie Albaner und andere Nationalitäten) auf beiden Seiten gekämpft. Der Rekurs auf die Schlacht auf dem Amselfeld als der Begründerin der großserbischen »Staatsidee« ist ein Mythos. Trotzdem sollte auch diese historische Mystifikation auf makabre Weise geschichtsmächtig werden. Sie legitimierte 1989 die Aufhebung des Autonomie- Statuts für das Kosovo und die Einführung eines brutalen serbischen Apartheid- Regimes, das einen an sozioökonomischen Entwicklungsgefällen festgemachten Sozialkonflikt ethnisierte und damit die Voraussetzungen für die Auslösung eines blutigen »Volkstumskampfs« lieferte. Wir stehen somit im Jugoslawien-Krieg vor der paradoxen Situation, daß die äußeren Interventionsmächte - und dabei die BRD vorneweg - die inneren Nationalitätenkonflikte ungeheuer verschärfen, indem sie durch ihren Luftkrieg ein Neuordnungsmodell herbeibomben, das auf die endgültige Zerstückelung Jugoslawiens in ethnisch homogen parzellierte Ministaaten hinausläuft. Dies ist der Weg in die Barbarei, denn nationalstaatliche Grenzziehungen nach ethnischer, sprachlicher und kulturell-religiöser Homogenität können nur durch Massenvertreibungen und Massenmord durchgesetzt werden. Den entscheidenden Beitrag dazu haben die Matadore des historischen Revisionismus sowohl im Innern der Jugoslawischen Föderation als auch auf der Seite der Nato, insbesondere die BRD, geleistet. Der imperialistische Chauvinismus der Großmächte und die Sezessionismen der ehemaligen Teilrepubliken der Jugoslawischen Föderation werden strukturell gleichartig mit historischen Mythen und bevölkerungspolitischen Neuordnungsmodellen bedient. Ihr gemeinsames Ziel ist ein Schlachthaus nie endender »Volkstumskämpfe« um privilegierte Positionen im neoliberal deregulierten Wirtschaftskrieg. Es mag durchaus sein, daß viele der Akteure, insbesondere die von außen eingreifenden Aggressoren der Nato, sich dieser Zusammenhänge nicht bewußt sind. Aber genau dies ist die logische Konsequenz ihres Handelns, und im übrigen ist auch in diesem Fall Unwissenheit kein Argument. Eric Hobsbawm hat schon 1991 in seiner international breit rezipierten Studie Nationen und Nationalismus - Mythos und Realität seit 1780 auf die wichtigste Lektion aus der Geschichte der in diesem Jahrhundert begangenen Menschheitsverbrechen hingewiesen: Wer glaubt, nationalstaatliche Grenzen auf »ethnisch homogener« Grundlage ziehen zu können, öffnet den Weg zur Barbarei und initiiert eine neue Ära rassistisch- nationalistischer Massenverbrechen.14 1.Vgl. vor allem Uwe Backes u.a. (Hg.), Die Schatten der Vergangenheit - Impulse zur Historisierung des Nationalsozialismus, Frankfurt a. M./Berlin 1990; Karlheinz Weißmann, Rückruf in die Geschichte: die deutsche Herausforderung, Frankfurt a. M./Berlin 1992; Heimo Schwilk (Hg.), Die selbstbewußte Nation: »Anschwellender Bocksgesang« und weitere Beiträge zu einer deutschen Debatte, Frankfurt a. M./Berlin 1994. 2.Dabei gibt es gerade zu dieser Thematik eine umfangreiche Gutachten-, Handbuch- und Tagungspublizistik, die ihre revisionistischen Ziele offen benennt. Vgl. vor allem die Publikationen des Instituts für Ostrecht an der Universität Köln, des Juristischen Seminars der Universität Würzburg, der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildung, des Internationalen Instituts für Nationalitätenrecht und Regionalismus, der Kulturstiftung der Deutschen Vertriebenen, des Österreichischen Volksgruppenzentrums, der Föderalistischen Union Europäischer Volksgruppen, des Vereins für das Deutschtum im Ausland, usw. 3.Vgl. dazu die kritischen Analysen der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration (FFM), Berlin/Göttingen 1996 ff. 4.Vgl. Gerhard Seewann (Hg.), Minderheiten als Konfliktpotential in Ostmittel- und Südosteuropa, München 1995; Rainer Hofmann, Minderheitenschutz in Europa. Völker- und staatsrechtliche Lage im Überblick, Berlin 1995. 5.Vgl. die Konferenz- und Tagungsberichte in: »Mitteilungen der Hanns-Seidel- Stiftung«, München 1984-1988. 6.Vgl. Walter von Goldendach/Hans-Rüdiger Minow, Von Krieg zu Krieg. Die deutsche Außenpolitik und die ethnische Parzellierung Europas, 2. Aufl. Berlin 1998; Hans-Rüdiger Minow, »Ethischer Imperialismus«, in: KONKRET 5/99. 7.Christophe Chiclet, »Aux origines de l´Armée de libération du Kosovo«, in: »Le Monde Diplomatique«, Mai 1999, S. 6-7. 8.Die Denkschrift wird ausführlich zitiert bei Rüdiger Minow (Anm. 6). 9.In der FAZ werden inzwischen entsprechende Vorschläge und Denkschriften laufend veröffentlicht. 10.Vgl. dazu und zum folgenden die ausführliche Dokumentation in: »Die Ethnisierung des Sozialen: Die Transformation der jugoslawischen Gesellschaft im Medium des Krieges« (Materialien für einen neuen Antiimperialismus, Bd. 6), Berlin/Göttingen 1993. 11.Vgl. seine wichtigsten Publikationen aus dieser Zeit: Franjo Tudjman, Stirbt Kroatien? Hamburg: Ost-Dienst, 1981; ders., Nationalism in contemporary Europe, New York 1981; ders., Die Nationalitätenfrage im heutigen Europa, Bokatron 1986. 12.Franjo Tudjman, Das historische Schicksal des Volkes. Ausgewählte Aufsätze, übersetzt aus dem Kroatischen von Marko Zaric, Bad Kissingen 1997. 13.Vgl. zu diesem und zum folgenden Abschnitt die neue Studie von Noel Malcolm, Kosovo. A Short History, London 1998. Obwohl der Verfasser zugunsten der Kosovo- Albaner Partei ergreift, referiert er in seiner Auseinandersetzung mit den Geschichtsmythen der ex-jugoslawischen Nationalismen den aktuellen kritischen Forschungsstand. 14.Eric J. Hobsbawm, Nationen und Nationalismus. Mythos und Realität seit 1780, Frankfurt a.M./New York 1991, S. 157 f. Von Karl Heinz Roth erschien kürzlich in der Reihe »konkret texte« als Bd. 19: »Geschichtsrevisionismus. Die Wiedergeburt der Totalitarismustheorie« http://www.infolinks.de/konkret/1999/07/roth.htm siehe auch: Nordbukowina vs. Transistrien #22 http://www2.hu-berlin.de/~h0444wol/rolux/archive/064.txt ________________________________________________________________________________ no copyright 1999 rolux.org - no commercial use without permission. is a moderated mailing list for the advancement of minor criticism. more information: mail to: majordomo@rolux.org, subject line: , message body: info. further questions: mail to: rolux-owner@rolux.org. archive: http://www.rolux.org