________________________________________________________________________________ Natographie von Felix Reidenbach Propaganda ist nicht, wenn gelogen wird - das ist Lügen. Natürlich können Lügen Propaganda sein, aber nicht, wenn sie geglaubt werden - sie erscheinen dann einfach als Nachrichten. Propaganda ist, wenn so auffallend gelogen wird, daß eine Mitteilung nicht einmal als der Versuch einer Glaubhaftmachung glaubwürdig erscheint. Propaganda geht es nicht mehr um blinde Gefolgschaft als um sehende. Der Regelverstoß offene Lüge propagiert als dessen Kostprobe den Regelverstoß unmittelbar und schlechthin. Propaganda ist, wenn Verteidigungsminister Scharping den Kriegsgegnern im Parlament ein Bildmaterial entgegenhält, das bekanntlich mit jeder Grabbeltisch-Technik gefälscht werden könnte, und zum Beweis für etwas, das diese nie bezweifelt haben. In den ersten Kriegswochen - als es, moralisch dibbernd und im Walde pfeifend, noch darum ging, öffentlich Gefolgschaft zu organisieren - wurden Bilder vorgeführt und 'zugänglich gemacht', war seitens der Politik, Medien, Militär von "Bildern" besonders häufig die Rede. "Die Bilder" fungiert als ein Textbaustein, der in den Kriegsdarstellungen oft an der Stelle eingesetzt wird, an der in anderen Zusammenhängen "die Zahlen" steht: "Dazu können wir erst Stellung nehmen, nachdem wir die Zahlen ausgewertet haben", "wenn man sich die Zahlen ansieht", "die Zahlen, die uns bis jetzt vorliegen". Die Ausdrücke "Bilder" und "Zahlen" werden dabei nicht nur an gleichartigen Satzpositionen eingefügt, sie werden für diese auch in gleicher Weise passend gemacht - als Torsi - denn eigentlich gemeint sind Abbilder und Anzahlen. Es ließe sich für einen bloßen Zufall der deutschen Sprache und eine unwichtige Abschleifung halten, daß beiden Begriffen die Vorsilbe genommen wird; die Interessenlage hinter dieser eher unbewußten Ausdrucksweise ist aber wie man weiß so wenig deutsch oder zufällig wie die Interessen, denen maskulinisierende Pluralbildungen entsprechen (zB. "Politiker" statt "PolitikerInnen") - und so gesehen ist auch im Fall "Bilder" die umgangssprachliche Reduzierung aufs 'Wesentliche' nicht unbedingt eine Bagatelle. "Bild", "Zahl", das klingt einfach wuchtiger, autonomer, absoluter als Abbild und Anzahl, weil es keinerlei Relation, keine Gemachtheit thematisiert, geschweige den potentiell strittige Abbild- und Zählverfahren problematisiert. "Die Zahlen", das drückt den Kurzschluß aus: rechnerisch korrekt, also durchweg unbezweifelbar, auch moralisch. Erst neulich sagte es wieder jemand im Fernsehen, diesmal der CDU-Politiker Wissmann: "Sie können gegen alles argumentieren, nur gegen Adam Riese nicht" - das hieße ergänzt für "die Bilder": "...und gegen Günter Fielmann auch nicht." Die Rede von Bildern anstatt von Abbildern bestimmt zwar nicht, aber sie begünstigt Verwischungen. Die "Bilder", die die Öffentlichkeiten der NATO-Staaten zu sehen bekommen, werden zumeist nicht als die unmittelbaren Dokumente verbreitet, als die der Ausdruck sie vorstellt. Die "Bilder" werden nach dem Bild-im-Bild-Prinzip publiziert, als Abbilder zweiten Grades. Zum Beispiel: In der Zeitung erscheinen Abbilder von NATO-Funktionären und Journalisten, die Abbilder erzielter Bombentreffer zeigen bzw. ansehen, Oder: auf dem Fernsehschirm erscheint das Abbild von Scharping, der den Bundestagsabgeordneten im Parlament Abbilder zerstörter Dörfer hinhält. Diese Abbild-Veschachtelung geht logischerweise mit einer Betrachter-Verschachtelung einher. Das Mitabbilden der urteilenden Zwischenöffentlichkeit Journalisten weist der Medienöffentlichkeit eine distanzierte, positiv neutrale Rolle zu. Darin unterscheidet sich die NATO-Propaganda von altmodischeren Formen: wurde die mitabgebildete Zwischenöffentlichkeit früher noch mit der Endverbraucher- Öffentlichkeit gleichgesetzt und als 'Volksganzes' angebrüllt, ob es den totalen Krieg wolle, fragen gegenwärtig eher Journalisten Journalisten, ob 'die Menschen' den Krieg wohl noch eine Weile mittrügen. Die direkte Adressierung der Öffentlichkeit durch Staatsvertreter empfindet man heute als rückständig, als unfreiwillig komisch, als lächerlich. Eine Öffentlichkeit, die direkter Adressierung glaubt, ist sich selbst suspekt. Je indirekter die Kundgabe, desto besser. Mit der zunehmend häufigen Publikation demoskopischer Erhebungen, auch mit dem zunehmenden Einladen sogenannter Parteienforscher in Politik-Talkshows, wird die Verschachtelung der Öffentlichkeiten drittgradig. Nach dem Hinzubitten eines Demoskopen hat die TV-Öffentlichkeit vorab schon beurteilt, was eigentlich gerade erst öffentlich werden soll. Soeben hat in Israel ein Ministerpräsidenten-Kandidat seine Kandidatur zurückgezogen, weil es demoskopisch schlecht für ihn aussah und er "logisch denken" könne. Die Angabe solcher Gründe in Fällen von Kandidatur-Verzicht sollte verboten werden. Die Summe aus Lüge und Propaganda nochmal in Worten. Was an den sogenannten NATO-Briefings und Scharping-Pressekonferenzen wahr sein könnte - die Echtheit der Luftaufnahmen - ist gelogen insofern, als mit diesen Abbildern die Zwischenöffentlichkeit der parlamentarischen Kriegsgegner zu Beweismaterialskeptikern umetikettiert wird. Und was an der Vorlage der Luftaufnahmen glaubhaft sein könnte - der Versuch eines Beweises - ist Propaganda insofern, als kein Mensch derart verschummerte Bilder als den wirklich ernstgemeinten Versuch einer Glaubhaftmachung durchgehen lassen kann. Eine tatsächliche Echtheit der "Bilder" wird nur bedingt behauptet. Hingegen unbedingt wird behauptet, daß es überhaupt Fälschungen sein könnten - sozusagen nach dem Popperschen Falsifikationskriterium: daß wahr nur sein kann, was auch falsch sein könnte. Die Zwischenöffentlichkeiten aus Journalisten in Brüssel und Kriegsgegnern im Bundestag fällt visuell und auf ernst gedreht die Rolle von Tonband-Lachern zu. Wirklich echt oder echt komisch ist aufs Ganze gesehen egal. Es reicht, wenn die 'Zuschauer draußen' kapieren, um was für ein Genre es sich jeweils handelt, und ansonsten nicht ausrasten. Lüge und Propaganda schließen einander also aus, stehen aber nicht im Widerspruch zueinander. Diese etwas eigentümliche Wechselschaltung ist nicht jedem, der sich im Fernsehen an ihrer Bedienung versuchen darf, ohne weiteres geläufig, manche müssen sich die Gebrauchsanleitung erstmal laut vorlesen: "Und- jetzt-so-deut-lich-lü-gen-daß-es-je-der-se-hen-kann." Zum Beispiel Fischer. Sagt im Bundestag, daß er dem russischen Außenminister eigentlich zur Diskretion verpflichtet sei, aber. Oder auf dem Parteitag, daß er als Außenminister nicht reden könne, wie er wolle, jedoch. Oder Özdemir. Sagt, kann sein, daß Fischer nicht alles sagen könne, was er wolle, nämlich. Und Sabine Christiansen. Sagt, daß wir ja alle wüßten, daß man sowas eigentlich nicht diskutieren dürfe, aber das mit dem Tyrannenmord, murmel, da gäbe es doch so Organisationen und Leute, die man beauftragen könne. All diese Offenheiten sind Auswirkungen der Abbildverschachtelung und zugleich deren Nutzung, weil es offenbar selbst für die öffentlichen Akteure schwierig und nicht unbedingt opportun ist, sich jeweils mit ihren Äußerungen ausschließlich einer der Zwischen- oder Endverbraucher-Öffentlichkeiten zuzählbar zu machen. Als keinesfalls irgendeiner der Öffentlichkeiten zurechenbar präsentiert sich die NATO, wenn die das 60er- jahrehafte Aussehen ihrer Luftaufnahmen mit der notwendigen Geheimhaltung tatsächlich erreichter Qualitätsgrade begründet. Das Theater mit den "Bildern" beherrschte wie gesagt die ersten Wochen der Kriegsnormalisierung. Nach wenig mehr als einem Monat Bombardierung und bei anhaltender Eskalation titeln Spiegel und Focus schon wieder "Sozialmafia" und "Sex-Lexikon", hat Schröder, sonst gehts danke, sich und Deutschland bei den Chinesen "ohne Wenn und Aber" entschuldigt, - bei Balkanesen wenn überhaupt nur mit Aber - und fallen zum grünen Weiterbombenbeschluß die Parteipromis einander in dieser typisch verklemmten Herzlichkeit in die Arme, wie wenn man sich ganz doll verspricht, bis zum nächsten Mal jetzt aber echt nicht wieder so schrecklich lange Zeit vergehen zu lassen. (spex, magazin für popkultur, 6/99) ________________________________________________________________________________ no copyright 1999 rolux.org - no commercial use without permission. is a moderated mailing list for the advancement of minor criticism. more information: mail to: majordomo@rolux.org, subject line: , message body: info. further questions: mail to: rolux-owner@rolux.org. archive: http://www.rolux.org