************ Sebastian Lütgert ************ "Die Nato verseucht das Land" Interview mit Branka Jovanovic, Vorsitzende der jugoslawischen Grünen Die Journalistin Branka Jovanovic ist seit 1993 Chefin der Neuen Grünen Partei Jugoslawiens und seit 1996 Ehrenvorsitzende der Ökologischen Partei Albaniens. Mit dem Beginn der jugoslawischen Erbfolgekriege Anfang der neunziger Jahre engagierte sie sich sowohl in Deutschland als auch in Jugoslawien in Antikriegsgruppen. Frau Jovanovic hat als Gast am Parteitag der Grünen in Bielefeld teilgenommen. Sie haben Louise Arbor, die Chefanklägerin des Den Haager Kriegsverbrechertribunals, aufgefordert, die Nato-Angriffe von einer Expertengruppe untersuchen zu lassen, um eine mögliche Klage vorzubereiten. Was werfen Sie der Nato vor? Es geht sowohl um die ökologische als auch die wirtschaftliche Zerstörung Jugoslawiens - und um die Zerstörung der Gesundheitswesen. In der letzten Nacht (das Interview wurde am 16. Mai geführt) beispielsweise hat die Nato wieder eine Munitionsfabrik der jugoslawischen Armee in Rakovica, in der Nähe von Belgrad bombardiert. Wir kennen die Wirkung dieser Waffen, die Hunderte von hochgiftigen Stoffen enthalten, aus dem Bosnien-Krieg: Kindern, die in Bombenkratern gespielt haben, sind die Nägel abgefallen, teilweise sterben die Hände einfach ab. Man kann sich vorstellen, was bei den Angriffen auf die Munitionsfabriken ins Grundwasser, ins Trinkwasser geht. Die Nato behauptet ja immer, daß sie nur militärische Ziele angreift. Inzwischen sind auch Chemiewerke bombardiert worden: die Düngemittelfabrik in Pancevo, die nur zehn Kilometer von Belgrad entfernt liegt, und eine Produktionsstätte für Chlor in Baric. Wenn da etwas schiefgeht, dann ist Belgrad praktisch unbewohnbar. Und nicht nur Belgrad. Durch den Wind würden die Gifte auch nach Rumänien und Ungarn weitergetragen. Hinzu kommt, daß Raffinerien in ganz Jugoslawien getroffen wurden. Wer sich mit Raffinerie-Chemie auskennt, der weiß, daß dabei viele Giftstoffe in die Luft freigesetzt werden. Ist das Kosovo selbst auch betroffen? Gestern gab es einen besonders schweren Angriff, bei dem ungefähr 90 Tomahawks und Cruise Missiles explodiert sind. Angeblich sollen dabei jugoslawische Bodentruppen angegriffen worden sein. Doch auf diese Weise wird das Kosovo in großem Ausmaß zerstört - ohne daß die Nato zwischen Armeestellungen und Dörfern unterscheidet. Ein Teil der Nato-Legitimation bestand ja darin zu behaupten, mit den Angriffen würden die Flüchtlinge geschützt. Können die noch in ihre Herkunftsorte zurückkehren, wenn der Krieg einmal vorbei ist? Absolut nicht. Durch die Angriffe sind der Boden und das Wasser dort in weiten Teilen verseucht. Was die Situation besonders schlimm macht, ist, daß hier viel Land- und Wasserwirtschaft betrieben wurde. Es ist völlig absurd, daß immer von der Rückkehr der Flüchtlinge gesprochen wird: Alle Brücken ins Kosovo sind zerstört. Es gibt nur noch den Weg nach Pristina. Dazu muß man wissen, daß das Kosovo ökonomisch immer vom Rückhalt Serbiens und eines weiteren jugoslawischen Raums gelebt hat. Ich frage mich, wie eine ökonomische Perspektive für das Kosovo aussehen soll. Welches Interesse könnte die Nato haben, das Land auch ökologisch zu ruinieren? Langfristig scheint das Ziel der Kriegsführung zu sein, das Land von Grund auf zu zerstören - nicht nur materiell, sondern auch psychologisch. Die Menschen sollen völlig entmutigt werden. Welche Rolle hat Europa für das Nachkriegs-Jugoslawien denn vorgesehen? Ich glaube zum einen nicht, daß man die für den Aufbau nötigen Summen zur Verfügung stellen kann. Man benötigte 200 Milliarden Dollar, um Jugoslawien wieder in den Vorkriegszustand zu versetzen. Woher soll eine solche Summe kommen? Das zweite Problem kennt man aus Bosnien: Die Aufbauhilfen fließen in die Kanäle des IWF. Bei den betroffenen Menschen selbst kommt nur sehr wenig an. Profitieren wird davon vor allem die ausländische Industrie. Die jugoslawische Bauwirtschaft wird für den Aufbau gar nicht benötigt werden. Die gut ausgebildeten Arbeiter werden im Ausland Arbeit suchen müssen, große Teile der intellektuellen und produktiven Elite werden das Land verlassen - und Jugoslawien wird in eine noch tiefere Armut absinken. Der Nutzen für den Westen könnte sein, daß hier eine billige und giftige Industrie eingerichtet werden kann, wie es sie seit dem Kriegsende auch in Kroatien gibt. Ich befürchte, daß man hier sogar Atommüll abladen will - wegen der geologischen Vorteile, die Jugoslawien für eine solche Lagerung bietet. Die Zustände, die Sie beschreiben, klingen wie die in einem Dritte-Welt-Land. Es ist sogar schlimmer. Man kann sich in Deutschland gar nicht vorstellen, was alles zerstört worden ist. Man muß es gesehen haben. Unsere Industrie ist zerbombt worden, die meisten Menschen praktisch arbeitslos, für die junge Generation gibt es kaum noch Chancen. Außerdem werden wegen der Verseuchung des Bodens landwirtschaftliche Erzeugnisse auf lange Zeit nicht mehr exportiert werden können. Sie haben die Berichterstattung über den Nato-Angriff auf die Kosovo-Ortschaft Korisa sowohl in Deutschland als auch in Jugoslawien miterlebt. Der deutsche Verteidigungsminister Rudolf Scharping behauptet, daß die Flüchtlinge von der jugoslawischen Armee als menschliche Schutzschilde mißbraucht wurden. Das halte ich für schlimme Propaganda. Ich möchte Herrn Scharping bitten, daß er benennt, welches militärische Objekt sich in dem Dorf befunden haben soll. Ich bin keine Militärexpertin, aber ich werde dorthin reisen, um vor Ort festzustellen, was passiert ist. Heute z.B. hat die Nato die Nachricht verbreitet, daß der serbische Generalstab in einem Krankenhaus, in dem Tausende von kranken Menschen untergebracht sind, getagt hat. Wenn dieses Krankenhaus demnächst angegriffen wird, wird es sicherlich auch heißen, das serbische Militär sei schuld. Welche Rolle kann die Opposition nach Ende des Krieges spielen? Es ist sehr schwer, dazu etwas zu sagen. Das Land ist derart zerstört, daß wir wirklich nicht wissen, was in zwei, drei Monaten sein wird. Eine Armut von diesem Ausmaß ist alles andere als eine gute Grundlage für die Demokratie. Jugoslawien vor dem Krieg, das ist etwas vollkommen anderes als danach: Es kann zu sozialen Unruhen kommen, die Milosevic hinwegfegen könnten. Genausogut könnten aber auch die Rechtsradikalen noch mehr Einfluß gewinnen. Allerdings könnte sich auch ein neues demokratisches Zentrum bilden. Aber das wird davon abhängen, wie es mit der Wirtschaft weitergeht, wem das Geld zufließt und wer davon partizipiert. Aus Bosnien weiß man, daß dort die politischen Eliten das Geld erhalten haben, die nicht an einer Demokratisierung interessiert waren. Es kann auch hier passieren, daß diejenigen, die das meiste Geld haben, als Wirtschaftselite auftreten, Monopole bilden und wir eine Art südamerikanisches Modell erhalten: Armut plus autoritäres Regime. Auch ein chilenisches Modell will ich nicht ausschließen. Reale Chancen auf eine Ablösung Milosevics hatte in den letzten Jahren eigentlich nur das inzwischen zerbrochene Zajedno-Bündnis. Sind Zoran Djindjic, Vesna Pesnic oder der montenegrinische Präsident Milo Djukanovic Kräfte, auf die auch Sie setzen? Mit der Partei von Djindjic arbeiten wir zusammen. Aber durch seinen wahnsinnigen Beschluß, die letzten Wahlen zu boykottieren, ist er isoliert. Inzwischen hat er das Land verlassen, während die anderen bekannten Oppositionellen im Land geblieben sind und viele dafür auch Gefängnisstrafen in Kauf genommen haben. Zuerst den Che Guevara spielen und dann sagen, man gehe aus Sicherheitsgründen außer Landes, und die anderen ihrem Schicksal überlassen - das geht nicht. Ich persönlich würde mir wünschen, daß dieses demokratische Zentrum gewinnt, aber das ist auch nur so ein Vorkriegswunsch. Was alle Partein in Jugoslawien zu einen scheint - auch die der Opposition -, ist der Nationalismus. Gibt es daraus einen Ausweg oder wird er nach Ende des Krieg noch zunehmen? Die Kriegserfahrung führt sicherlich zu einem Radikalismus - und es ist leicht, ihn zu mißbrauchen. Es muß deshalb aber nicht unbedingt in die nationale Richtung gehen, auch wenn die Gefahr besteht, daß die Leute aus ihrer Unzufriedenheit heraus rechtsradikale Parteien wählen. Die Ursachen für die Ausbreitung des Nationalismus liegen tiefer: Nach dem Zerfall Jugoslawiens hat er sich in allen Teilstaaten immer stärker ausgebreitet. Was natürlich auch mit der frühen Anerkennung Kroatiens und Sloweniens durch die Europäische Gemeinschaft zusammenhängt. Nachdem Kroatien anerkannt wurde, hat auch Serbien auf die Klärung der Nationalfrage gepocht - was legitim ist, wenn ein Staat zerfällt. Richtig ist aber auch, daß die nationale Frage mißbraucht wurde, um Wählerstimmen zu gewinnen. 1991 hat Deutschland mit seiner Anerkennungspolitik den Zerfall Jugoslawiens zumindest beschleunigt ... Die Einmischung Deutschlands ist ein Zeichen dafür, daß sich das kollektive Bewußtsein dort verändert hat. Ich war schon 1991 sehr erschrocken - obwohl ich persönlich keine Angst vor Deutschland, sondern im Gegenteil, sehr viel Vertrauen in die Nachkriegsgeneration habe. Aber man muß sich nur anschauen, wen die deutsche Außenpolitik unterstützt hat - Tudjman, Izetbegovic, Rugova, die UCK: Das alles sind Nachfolger nazistischer und nationalistischer Bewegungen aus dem Zweiten Weltkrieg. Tudjman hat in Kroatien von der Symbolik und Ideologie her die direkte Nachfolge des Ustascha-Staats angetreten. Hans-Dietrich Genscher hat mit der Anerkennung Sloweniens und Kroatiens die Zerstörung des Staates Jugoslawien in Gang gesetzt - und jetzt kriegen wir von Fischer den Endschlag auf den Kopf. Das stört uns am meisten - auch wenn Serbien natürlich keine gute Rolle gespielt hat in den letzten Jahren. Bei Ihrem Deutschland-Besuch haben Sie auch den Kriegsparteitag Ihrer Schwesterpartei miterlebt. Sind die deutschen Grünen nach ihrem Beschluß noch Ansprechpartner für Sie? Ich denke, daß ein tiefer Riß durch die Grünen geht. Da gibt es wirklich prinzipielle Unterschiede zwischen Mitgliedern, mit denen ich weiterhin sehr gut zusammenarbeite, die gut informiert und kritisch sind - und Parteioberen wie Joschka Fischer. Ich will mich nicht in die inneren Angelegenheiten der Partei einmischen, aber Fischer erinnert mich wirklich manchmal an den Direktor eines US-amerikanischen Instituts für strategische Studien. Ich sehe zwischen ihm und einem Zbigniew Brzezinski kaum einen Unterschied in der Ideologie: Sein so hochgelobter Friedensvorschlag ist für mich nichts anderes als ein getarnter Rambouillet-Plan. Interview: Markus Bickel http://www.jungle-world.com/_99/21/05a.htm ******************************************************************************** ROLUX h0444wol@rz.hu-berlin.de http://www2.hu-berlin.de/~h0444wol/rolux/