************ Sebastian Lütgert ************ Turbo-Folk plus Nato-Prop Nach dem Putsch der Zensur funkt auch die westliche Allianz auf 92.5. Katja Diefenbach sprach mit Gordan Paunovic, Mitbegründer von B 92 und Chef der Musikredaktion B 92 wurde in der Nacht vom 23. auf den 24. März geschlossen. Der Sender hatte als erster den Beginn der Nato-Bombardierungen angekündigt. Wie reagierte das Ministerium für Telekommunikation? Zu dem Zeitpunkt war offensichtlich, daß die Nato grünes Licht für ein Bombardement bekommen hatte. Es wußte nur niemand genau, wann das Bombardement beginnt. Wir hatten Informationen aus Quellen in Brüssel, daß dies in jener Nacht am frühen Morgen passieren sollte. Wir unterbrachen unser Programm, die Chefin der Nachrichtenredaktion ging auf Sendung und kündigte das an. Ein paar Stunden später tauchte Polizei zusammen mit einigen Leuten vom Ministerium für Telekommunikation beim Sender auf. Sie behaupteten, wir hätten die erlaubte Stärke unseres Sendesignals von 300 Watt überschritten und strahlten mit einem KW aus. Sie nahmen Equipment des Senders mit und erklärten, B 92 dürfe bis auf weiteres nicht mehr als UKW-Radio senden. Also machten wir die Web-Site weiter, auch das Web-Radio. Nachdem per Militär-Dekret eine vollständige Zensur verordnet worden war, gestaltete es sich allerdings ziemlich schwierig, das zu veröffentlichen, was wir veröffentlichen wollten. Am 2. April erschienen dann in Euren Büros Leute, die erklärten, sie würden jetzt den Sender übernehmen. Sie hatten einen Gerichtsbeschluß dabei, demzufolge B 92 eine Unterabteilung des Belgrader Rats der Jugend sei, der ehemaligen kommunistischen Jugendorganisation. Es war am frühen Morgen des 2. April, freitags, so gegen neun. Die Polizei holte Sasa Mirkovic, den Direktor von B 92, zu Hause ab und fuhr mit ihm zum Sender. Sie forderten alle Leute auf, die Station zu verlassen und versiegelten die Türen. Sie trugen diesen Gerichtsbeschluß bei sich. Damit war Mirkovic abgesetzt und Aleksandar Nikacevic eingesetzt. Wer ist dieser Nikacevic? Nikacevic ist eine berühmt-berüchtigte Figur der studentischen Proteste von 1991. Nikacevic war Vorsitzender der Union der Belgrader Studenten, einer Marionettenorganisation, wie sich später herausstellte. Er gehörte damals zur studentischen Delegation, die mit der Regierung verhandelte. Erst später wurde klar, daß er mit der Regierung zusammenarbeitet, die Auseinandersetzungen abwiegelt und versucht, die Welle des Protests gegen die Regierung zu brechen. Danach wurde es stiller um ihn. Leute, die der Regierung nahestehen, nutzen ihre Funktion oft für ein kleines Nebengeschäft. Nikacevic jedenfalls betrieb einen Club in Belgrad, in dem Euro-Disco lief und in den groteskerweise hauptsächlich Studis gingen. Vielleicht ist es ja ein Zeichen: Zwei oder drei Tage nach Nikacevics Übernahme von B 92 brannte sein Club ab. Aber zurück zum 2. April: Die Polizei verschwand mit der Aufforderung, daß alle MitarbeiterInnen am Montag zu einer Besprechung mit der neuen Sendeleitung erscheinen sollten. Ist jemand hingegangen? Manche waren sehr neugierig, auf die zu treffen, die den Sender an sich gerissen hatten, um zu hören, was sie planten. Das erste Aufeinandertreffen war witzig und unheimlich zugleich. Auf der einen Seite des Raums stand B 92, eine Ansammlung junger Leuten, relativ offen und ungezwungen, jedenfalls keinerlei sozialen Benimmregeln unterworfen; auf der anderen Seite saßen diese Jungs in ihren Anzügen, die ziemlich überrascht und konfus reagierten auf das, was sich gerade abspielte. Für sie war diese Situation genauso neu wie für uns. Keiner hatte Radio-Erfahrung, sie waren alle Teil des korrupten Umfelds der Sozialistischen Partei. Leider ist das Wort Sozialismus inzwischen vollkommen negativ besetzt. Die Sozialistische Partei Milosevics hat alle Werte der sozialistischen Idee ruiniert. Und diese drei Jungs gehörten zu ihrem System. Sie kamen alle aus verschiedenen Jugendorganisationen. Was haben sie vorgeschlagen? Sie gaben sich freundlich: B 92, kein Problem, wunderbar, alles okay. Das einzige Problem sei die alte Leitung, die korrupt, anti-serbisch, pro-westlich usw. gewesen sei. Aber wir, nein, wir sollten nicht gefeuert werden. Auf uns würde man zählen. Das neue Programm sollte so früh wie möglich anlaufen. Wir versuchten, das zu behindern. Leute, die sich vorstellen konnten, in den Sender zu gehen - es gab auch welche, die schon rein körperlich unfähig waren, den Ort aufzusuchen, an dem sie über zehn Jahre etwas aufgebaut hatten, was nun kaputt ging -, aber einige Leute entschieden sich, technisches Equipment rauszuholen, Teile des Musik-Archivs, was man kaum wieder in diesem Umfang aufbauen kann, relativ viele Platten und CDs, Sendeeinrichtungen. Nicht alles, nur das Wichtigste, was man vielleicht für zukünftige Aktivitäten braucht. Wir haben während dieser Guerilla-Operation der B 92-Übernahme versucht, ihnen die Sache so schwer wie möglich zu machen bis hin zu einigen Sabotageakten. Die neue Leitung ist in den Sender gekommen, und sie waren platt, was für ein gigantisches Spielzeug ihnen da in die Hände gefallen ist. Als sie die Telefonrechnungen sahen, konnten sie es gar nicht fassen. Bis heute haben sie noch nicht einmal realisiert, was alles zu B 92 gehört. Unser Kulturzentrum Cinema Rex wurde z.B. vollkommen in Ruhe gelassen. Das fiel uns selber erst nach ein paar Tagen auf. Wir sind hin und haben unser Medienlabor CyberRex abgebaut. Niemand von B 92 hat angefangen, für die neue Leitung zu arbeiten. Aber sie haben es trotzdem innerhalb einer Woche geschafft, den Sendebetrieb wiederaufzunehmen. Wenn man jetzt auf die Frequenz 92.5 geht, wie hört sich das an? Man muß wissen, daß wegen der Militär-Zensur nicht genau bekannt ist, was mit B 92 passiert ist. Es gibt jeden oder jeden zweiten Tag ein Treffen beim Ministerium für Telekommunikation oder bei der militärischen Zensurbehörde, auf denen alle HerausgeberInnen Instruktionen erhalten, was sie schreiben müssen, wenn sie wollen, daß ihr Blatt weiter erscheint. Nur die Wochenzeitung Vreme hat es geschafft, in einen längeren Artikel einen Satz über B 92 einzuschleusen, der durch die Zensur kam. Wer heute B 92 einschaltet, hört natürlich sofort, daß etwas passiert sein muß. Es werden nur Nachrichten der staatlichen Agentur Tanjug gesendet. Und dann das Musikprogramm! Es läuft nur Musik, die nicht mit einem Nato-Land in Verbindung gebracht werden kann, kein Rock'n'Roll, kein Englisch. Nur jugoslawischer Soft-Pop, Gehirnwäsche-Mainstream, den kein vernünftiger Mensch hören kann. Griechische und russische Musik, spanische Musik. Griechisch und Spanisch sind die einzigen Ausnahmen der Anti-Nato-Musik-Klausel. Okay, bei griechischer Musik ist klar, warum. Griechenland kritisiert die Nato. Aber das mit der spanischen Musik ist mir ein Rätsel. Vielleicht haben sie vergessen, daß Javier Solana aus Spanien ist. Aber sie haben etwas gemacht, was wir uns gewünscht haben. Denn unsere größte Sorge war, daß sie den Sender übernehmen und den musikalischen und kulturellen, sagen wir, alternativen Output beibehalten würden, daß sie sich locker und irgendwie liberal präsentierten und versuchten, sehr subtil nationale und patriotische Aussagen einzuschleusen. Du warst Chef der Musikredaktion von B 92 und bist als erster am 7. oder 8. April gekündigt worden. B 92 hat ja eine etwas seltsame Karriere hinter sich, von "explicit underground" zum Träger des MTV-Awards. Als wir 1989 anfingen, waren wir eine Crew von DJs, fast eine Freundesclique, Frauen und Männer. Das war ziemlich klasse, wir spielten, was uns gefiel. Wir sagten, kein Kompromiß mit dem kommerziellen Pop-Universum, der MTV-World, blabla. Niemals kommt Phil Collins oder Tina Turner auf den Plattenteller. Damals hatten wir einen Anti-MTV-Jingle. Zuerst hörte man die Stimmen von MTV-Moderatoren wie Bip Dann oder Steve Blane, dann das harte Knacken von brechendem Vinyl, krackckck! Dann die Stimme unseres Sprechers "Nicht Musik fernsehen, sondern hören!" Das war einer unserer besten Jingles. Okay, zehn Jahre später bekamen wir den MTV-Award. Wir haben ihn angenommen - wegen der internationalen Reputation. Es war übrigens kein Musikpreis, sondern eine sogenannte politische Auszeichnung: "Free your mind". Vorher haben ihn Greenpeace, amnesty und, ich glaube, Minefields, eine Anti-Minen-Organisation, bekommen. Ein Preis für Menschenrechte, demokratische Werte, Meinungsfreiheit und alles, was MTV so gefällt. Das Popuniversum hält eine ganze Reihe paradoxer Versprechen bereit, u.a. das individuelle Versprechen von Star-Werden, Glamour and Fame, ein Versprechen, das - was den Glamour nicht unbedingt schmälert - den kapitalistischen Verwertungszwängen unterworfen ist, dann das kollektive Versprechen von Ausgehen, Drogen, Zeit-Verschwenden, Musik-Hören, was sich - anders als das Star-Werden - manchmal einlöst und zum Teil mit angenehm diffusen Gefühlen gegen das Bestehende verbindet. Wo hat sich B 92 in diesem Universum befunden? Wir haben von Anfang an das aufgelegt, was ich als fortschrittlichen Pop mit starken politischen Bezügen bezeichnen würde, ein weites Spektrum von alternativem Rock über HipHop zu moderner elektronischer Musik, Drum'n'Bass, Techno, House. Tagsüber haben wir uns manchmal zurückgenommen, weil wir ältere HörerInnen nicht verjagen wollten und es uns wichtig war, mit unseren Infos viele Leute zu erreichen. Also haben wir die Basic Channel-Releases nicht um drei Uhr nachmittags gespielt. Trotzdem haben wir Musik und Politik nicht getrennt. Musik war ein politisches Statement. Das heißt, erstens, wir spielten keine Volksmusik, keinen Turbo-Folk, diesen nationalistischen Soft-Pop-Kitsch, der Anfang der Neunziger so populär war, keine Popmusik, die außer Kommerzialität nichts anderes transportiert. Der Mainstream, den wir sendeten, das waren Paul Weller, Portishead, Massive Attack usw. Zweitens, wir unterstützten den Belgrader Underground, spielten ihre Platten, luden sie zu Interviews ein. 1994 gründeten wir ein kleines Label und brachten ungefähr zwanzig, dreißig CDs raus. Um noch ein Beispiel zu nennen, was Musik für B 92 bedeutete: 1991, am 9. März, wurde B 92 das erste Mal verboten. Das war während der größten Demonstrationen gegen die Regierung, kurz vor dem Beginn des Krieges in Jugoslawien. 100 000 Leute waren auf der Straße. Eine der Hauptforderungen lautete, daß die nationalistischen Manipulationen in den Medien aufhören müssen. Die Polizei war überall, aber es waren nicht genug, um die Leute aufzuhalten. Es gab einen Riesen-Clash. Ein Demonstrant und ein Polizist starben. B 92 berichtete direkt von der Straße. Um sechs Uhr abends kam Polizei in den Sender und sagte: Schaltet sofort alles ab. Am selben Tag ließ der damalige serbische Repräsentant im mehrköpfigen Staatspräsidium, Borisav Jovic, Panzer in den Straßen aufrollen. Am nächsten Tag gingen die StudentInnen auf die Straße. Sie forderten den Abzug der Panzer und eine Sendeerlaubnis für B 92. Wir bekamen die Erlaubnis mit der Auflage, nicht mehr von den Demos zu berichten. Wir sagten: okay und spielten statt dessen Musik. Ich erinnere mich noch, die erste Platte war "Boys Are Back In Town", und dann "Police On My Back", "Fight the Power" etc. Die Musik erklärte, was auf den Straßen passiert, ohne daß wir Nachrichten brachten. In der momentanen Kriegssituation versucht die Sozialistische Partei, mit öffentlichen Rockkonzerten an Pop- und Jugendkultur anzudocken. Das hat nur am Anfang funktioniert. Es ging darum, die ganze Nation unter einem populären Zeichen zu vereinigen: die Zielscheiben-Symbole, die öffentlichen Konzerte, die Brücken-Wachen. Bei den Treffen auf den Brücken sah es zunächst danach aus, als ob sie ständig stattfinden würden. Aber das währte nur ganz kurz, danach wurden ein paar Leute, die eine halbe Stunde auf der Brücke standen, gefilmt: Immer schön in die Kamera gucken. Das wurde dann während der Hauptnachrichten zwischen 19 und 19 Uhr 30 ausgestrahlt. Leider handelt es sich hierbei wirklich um den Versuch, B 92-Praktiken zu covern: Wir haben einige große Open- Air-Konzerte in Belgrad organisiert. Das letzte fand am Internationalen Tag gegen Rassismus und Faschismus statt. Vor einem Jahr im Oktober waren über 20 000 auf einem Konzert gegen die Zensur von unabhängigen Medien. Das spektakulärste Ereignis war Anfang April 1992, als 60 000 Leute zu einem Konzert gegen den Krieg in Bosnien zusammenkamen - unter dem Motto "Ihr könnt auf uns nicht zählen". Die Konzerte jetzt sollen auch das Gefühl der Demos von 1996/97 simulieren, als es eine wirklich positive, fast karneval-artige Stimmung auf den Straßen gab. Organisieren Leute aus der Musikszene im Moment selber etwas? Der Underground Techno- und House-Spirit war ziemlich stark in den Neunzigern in Belgrad. Jetzt, während der Bombardierung, hat ein Club, der "Industria", den man vielleicht mit dem "Tresor" in Berlin vergleichen kann, jeden Tag von zwölf Uhr mittags bis neun Uhr abends auf. Dann müssen sie wegen des Luftalarms schließen. Ich würde nicht sagen, daß sie Partys machen. Es geht darum, zusammenzukommen und eine vage Stimmung aufrechtzuerhalten, die uns verbindet, irgend so ein Gefühl junger Leute, die gegen Milosevic und gegen die Bombardierung sind. B 92 hat als erstes Radio in Jugoslawien Techno gespielt. Schon 1989, also sehr früh, haben wir House aufgelegt. Viele Leute konnten damit nichts anfangen. Am Anfang gab's auch keine richtigen Clubs, um zu begreifen, was es mit dieser Musik auf sich hat. Wir spielten Techno meist nachts im Radio und hatten einen Kreis fanatischer Fans. Ich glaube, es war 1995: Als die ersten Sanktionen gegen Jugoslawien aufgehoben wurden, luden wir ziemlich viele DJs nach Belgrad ein. Wir sagten ihnen, es ist klar, daß wir euch keine hohen Gagen zahlen können, aber wenn ihr Lust habt, dann kommt. Und so legten DJ Hell, John Aquaviva, Laurent Garnier, Jeff Mills, Richie Hawtin usw. in Belgrad auf. Neben der Musik basiert Eure Medienpraxis darauf, "Fakten" zu senden und "objektiv" zu informieren. Unter umgekehrten Vorzeichen sind unabhängige Alternativmedien in der BRD entstanden. Am Anfang gab es das Konzept, "unterdrückte" Nachrichten zu senden. Das kommt Euch vielleicht noch am nächsten. Ansonsten ging es darum, die Mythen des bürgerlichen Journalismus zu dekonstruieren: Trennung von Nachricht und Meinung, Objektivität etc. Wir sind von einer ganz anderen Situation ausgegangen. Die Belgrader Regierung hat sich die gesamten neunziger Jahre hindurch auf eine nationale Medienpropaganda gestützt. Es gab keine Trennung von Kommentar und Nachricht, auch keine künstliche. Es gab nur Kommentar. Als klar wurde, daß das kommunistische System sich auflöst, verschwand der starke internationalistische, linke Jargon aus den Medien. Anstatt die Werte der Arbeiterklasse zu promoten, begann vor allem Milosevic mit der Nationalisierung aller Themen. Ich würde Deine These über den Mythos der Objektivität teilen, aber bevor wir uns semiologischen Überlegungen zuwenden, der Dekonstruktion der bürgerlichen Medien usw., müssen wir erst einmal die Ebene der Informationen erreichen. Seit dem Beginn der Kriege in Kroatien, in Bosnien und jetzt in Kosovo gibt es keine simple Nachrichten-Berichterstattung. Du kannst zwar sagen, was soll das überhaupt sein, Fakten? Aber B 92 hat sich entschieden, eine Radio-Station aufzubauen, die Informationen und Nachrichten bringt, die zuverlässig recherchiert sind. Wenn Du auf die B 92-Web-Site guckst, siehst Du unser Motto "Vertraue niemandem, auch uns nicht". 1989, im Gründungsjahr von B 92, wurde dem Kosovo der Status einer autonomen Provinz Serbiens entzogen. Ihr hattet bis vor kurzem den Plan, einen Sender auf einem Berg zwischen Montenegro und Kosovo zu errichten, um auch in das Kosovo zu senden. Dazu ist es nicht mehr gekommen. Wie sah Eure Kosovo-Berichterstattung aus? Wir haben weder eine nationale serbische Position noch eine nationale kosovo-albanische Position, die auch sehr stark ist, gefeatured. Wir hatten eine albanische Korrespondentin im Kosovo, Violeta Oroshi, und haben versucht, das zu berichten, was im Kosovo passiert, und das war ziemlich genau das Gegenteil dessen, was die staatlichen serbischen Sender brachten. Wenn es große Demonstrationen gab, sind Leute von unserer Belgrader Redaktion runtergefahren. Wir haben direkt von der Straße berichtet. In den letzten zwölf bis achtzehn Monaten hatten wir einen Mitarbeiter unserer Nachrichtenredaktion in Pristina. 1996 wurde B 92 das zweite Mal in seiner Geschichte geschlossen. Das war während der zweiten Welle großer Demos in den Neunzigern, aus der die Drei-Parteien-Opposition Zajedno entstand. Zajedno war größtenteils auch nationalistisch orientiert. Welche Position hatte B 92 in dieser Situation? 1996 berichteten wir alle zehn Minuten live von den Demos. Wir sagten, was passiert, wo die Leute lang gehen, wie man dazustoßen kann. Die staatlichen Behörden haben dann erneut den Sender geschlossen. Aber schon eine halbe Stunde später kam britische, amerikanische und deutsche Presse ins Radio und brachte sofort die Nachricht vom B 92-Verbot. Wahrscheinlich ging es der Regierung darum, einen weiteren Image-Schaden zu vermeiden. Der Minister für Telekommunikation sagte, B 92 hätte gar kein Sendeverbot. Es habe ein Kabelproblem gegeben, die Schließung sei nur zum Schutz der Redaktion gewesen. Das Wichtigste bei diesen Demonstrationen 1996/97 war der politische Wille für eine Veränderung, der auf der Straße spürbar wurde. Den Leuten, die demonstrierten, war bewußt, daß Zajedno keine gute Sache ist, weil diese Oppositionsgruppe eine unmögliche Mischung repräsentierte: Auf der einen Seite eine nationalistische Partei, SPO, die Partei der Serbischen Erneuerung von Vuk Draskovic, der dann bis vor kurzem der Regierungskoalition angehörte. Er ist, was man im Englischen einen loose bullet nennen würde, ein Querschläger, relativ unvorhersehbar in seinem Verhalten. Die Bürgerunion ist das genaue Gegenteil. Ihre Vorsitzende Vesna Pesic vertritt als einzige Parteipolitikerin in Serbien eine nicht-nationale Position und eine Anti-Kriegs-Position. Die Demokratische Partei betonte zwar immer ihre sogenannte demokratische Position, besaß aber einen starken nationalen Flügel, der aus den Intellektuellen bestand, die in den Achtzigern die nationalistische Wendung eingeleitet haben. Auch ich bin 1996/97 auf die Straße gegangen. Zajedno hat mir nichts bedeutet. Es ging allen darum, Milosevic loszuwerden, irgendeine Veränderung in Gang zu bringen. Wie wir sehen, hat es nicht geklappt. Radio B 92 wurde von der westlichen Presse sehr beachtet. Ihr habt täglich Sendungen von BBC und Radio Free Europe übernommen. Die serbische Regierung hat immer mit dem Argument gearbeitet, B 92 sei ein pro-westlicher Sender. Seit kurzem ist uns klar, daß wir ein großes Problem mit dem haben, was wir westliche Demokratien genannt haben. Die Nato-Aktion ist eine Konsequenz ihrer politischen Entscheidungen. Direkt nach dem Beginn des Bombardements haben wir ein Statement veröffentlicht, das die Nato kritisiert: Die Bombardierung wird das, was als "humanitäre Katastrophe" bezeichnet wird, nicht stoppen, sondern nur verschlimmern. Es wird Milosevics Regime nicht schwächen, aber den kleinen und fragilen Teil einer "zivilen Gesellschaft" in Jugoslawien vollkommen zerstören und extrem schwierige Bedingungen für unabhängige Medien, NGOs und viele politische AktivistInnen schaffen. Die westlichen Regierungen haben gedacht, wir sagen: "Vielen, vielen Dank. Wir begrüßen die Tatsache, daß ihr ganz Serbien bombardiert. Das wird uns in eine glanzvolle Zukunft führen." Dann hat der Westen mit einem Schwarz-Weiß-Schema - entweder für die Nato oder für Milosevic - gearbeitet. Ein totaler Scheiß. Aber wir machen keine Kompromisse. Wir sind gegen Milosevic und gegen das Bombardement. Es gab im Westen Vorstellungen, B 92 für die Nato-Propaganda zu benutzen, die du täglich auf CNN und den Nato-Briefings beobachten kannst. Es gab Vorschläge, außerhalb Jugoslawiens zu senden. Aber wir haben uns entschieden, still zu bleiben und zu warten. Wir lehnen es strikt ab, die Nato-Propaganda zu unterstützen. Milosevic, die Nato, beide Seiten haben nichts mit den Prinzipien zu tun, mit denen wir arbeiten. Die Nato sendet inzwischen teilweise auf Eurer Frequenz 92.5. Das zeigt, daß es Analogien zwischen dem gibt, was die serbische Regierung seit zehn Jahren und was die Nato gerade im Moment macht. Die Nato benutzte am Anfang des Krieges Sendeanlagen nahe der jugoslawischen Grenze, in Bosnien, Kroatien, Ungarn, um ihre Propaganda-Programme zu senden und um Radio Free Europe und Voice of America auszustrahlen. Nun haben sie ein Flugzeug eingesetzt, Commando Sol, mit dem schon bei anderen US-amerikanischen Militäraktionen in Haiti, in Irak usw. gearbeitet wurde. Commando Sol ist eine Art fliegende Radio- und TV-Station. An Bord sind UKW-Sender, MW-Sender und Fernsehsendeanlagen, eine komplett ausgestattete Crew. Sie strahlen über zwei Frequenzen aus. Eine ist 92.5, die Frequenz von B 92. Dahinter steht das Kalkül, das Image und die Popularität von B 92 zu benutzen. Die andere Frequenz ist 102.6, die Frequenz von Radio Kosava, der Station von Milosevics Tochter Marija Milosevic. Ihr Studio war in jenem Gebäude des ehemaligen Zentralkomitees des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens in Neu Belgrad, das vor ungefähr zwei Wochen von Missiles getroffen wurde. Die Nato setzt also nicht nur vom Himmel aus ihre Militärzensur durch, sie manipuliert auch das Image von B 92. Das spricht dafür, daß es gegenüber den jugoslawischen Medien nicht nur um "Kollateralschäden" geht, sondern daß die Nato vielleicht einen viel weiter gehenden Versuch unternimmt. http://www.jungle-world.com/_99/20/28a.htm ******************************************************************************** ROLUX h0444wol@rz.hu-berlin.de http://www2.hu-berlin.de/~h0444wol/rolux/